#dimi_04: Gewerkschaftliches Lernen

Was Bildung zur Ermächtigung beitragen kann

Nachdem sich #dimi_03 mit dem Thema Lernen im Allgemeinen beschäftigt hat, widmet sich #dimi_04 der Frage, was wir unter Lernen in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit verstehen und wie wir als Trainer*innen dieses gezielt fördern und unterstützen können.

Du erfährst hier mehr über die Kompetenzen, die in gewerkschaftlichen Lernsettings entwickelt werden sollen und wie sich diese Anforderungen auf die didaktischen Prinzipien auswirken. Am Schluss gibt’s auch ein paar Ideen für Methoden und Erklärungen, wie der Einsatz dieser Methoden noch mehr Sinn machen kann.

Was genau verstehen wir unter gewerkschaftlicher Bildungsarbeit und wer ist die Zielgruppe?

„Der gewerkschaftliche Seminarraum ist nicht da, um Wissen in die Köpfe anderer zu flößen, sondern um gesellschaftliche und betriebliche Verhältnisse zu reflektieren und eine soziale Bindung für Ziele gesellschaftlicher Veränderung zu fördern!“ schreibt Gerhard Gstöttner-Hofer im #thedi_21: Gegenmacht “bilden” – Teil 3.

In der gewerkschaftlichen Bildung geht also um mehr als um die reine Vermittlung von Wissen. Es geht um die Entwicklung von Kompetenzen, die dazu beitragen, dass Betriebsrät*innen, gewerkschaftliche Funktionär*innen und alle gewerkschaftlich Aktiven imstande sind, gesellschaftliche Ungerechtigkeiten wahrzunehmen, zu benennen und entschlossen dagegen anzugehen.

Fragen zur Zielgruppe bleiben dabei stets im Fokus und leiten die Planung:

  • Wer sind meine Teilnehmer*innen?
  • Welchen Bezug hat das Thema meiner Bildungsveranstaltung zur Realität meiner Teilnehmer*innen in ihrer Funktion als Betriebsrät*in, Gewerkschaftssekretär*in oder Lehrgangscoach?
  • Was brauchen sie konkret, um ihre gewerkschaftlichen Aufgaben optimal ausüben zu können?
  • Wie kann ich einen Praxistransfer in ihre Arbeitsrealitäten bestmöglich unterstützen?

Welche Inhalte und Themen prägen die gewerkschaftliche Bildungsarbeit?

Um gesellschaftliche Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, ist eine grundlegende Kenntnis von bspw. Arbeits- und Sozialrecht oder Volks- und Betriebswirtschaft eine wichtige Wissensgrundlage. Daher sind diese Themen Fixstarter vieler gewerkschaftlicher Bildungsformate (wie der SOZAK, der BRAK oder der Gewerkschaftsschule). Wissen ist eine Form der Macht. Das vermittelte Wissen entwickelt im gewerkschaftlichen Kontext vor allem dann seine Kraft, wenn es gezielt eingesetzt wird, um Gerechtigkeit herzustellen. Um dieses Wissen wirksam einsetzen zu können, bedarf es ganz spezifischer Kompetenzen. Kompetenzen bauen auf Wissen auf. In diesem Sinne ist Bildung im gewerkschaftlichen Kontext immer auch eine Form der Ermächtigung.

Für Trainer*innen, die diese umfassenden Wissensgebiete vermitteln sollen, stellt sich dabei immer wieder die Frage, wie dies gelingen kann. Den Expert*innen fällt das Aussortieren erfahrungsgemäß schwer, weil alles wichtig und relevant erscheint. Das Ziel der Wissensvermittlung im Auge zu behalten, dient dabei als hilfreicher Anker: Neben den Fakten und Theorien geht es konkret darum, dass die Teilnehmer*innen lernen, Hintergründe von Benachteiligungen zu analysieren und Handlungsstrategien zu entwickeln. Die Entwicklung der Analyse- und Handlungsfähigkeit muss somit als fixer Bestandteil jeder Wissensvermittlung gesehen werden – hier kommt wiederum die Didaktik ins Spiel, denn Frontalvorträge reichen dafür nicht aus. Im #dimi_06 befassen wir uns übrigens eingehend mit dem Thema Lernziele. Dabei erfährst du mehr darüber, wie du nicht nur Wissen vermitteln, sondern die Entwicklung von Kompetenzen fördern kannst.

Welche Kompetenzen sollen entwickelt und gefördert werden?

Welche Fähigkeiten und Kompetenzen brauchen unsere Teilnehmer*innen in ihren unterschiedlichen (gewerkschaftlichen) Rollen? Was können wir tun, um die Entwicklung dieser Kompetenzen zu ermöglichen?

Eine Projektgruppe aus Bildungsverantwortlichen aller Träger der gewerkschaftlichen Bildung (VÖGB, Gewerkschaften, Arbeiterkammern) arbeitet seit einigen Monaten an der Frage: Wie entwickeln wir „Gegenmacht“-Kompetenz in unserer tägliche Arbeit mit Funktionären/-innen und Betriebsräten/-innen? Dieses Projekt ist Teil eines breiteren Strategieprozesses im ÖGB.

Gewerkschaftliche Bildung ist immer auch politische Bildung, meint Sabine Letz in Bezug auf die Ziele der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Konkret geht es dabei nicht nur um die Stärkung der schon genannten Analyse- und Kritikfähigkeit, sondern auch um Fähigkeiten der Selbstorganisation und der Entwicklung von Widerständigkeit, wie auch im #thedi_21 beschrieben.

Neben Seminaren und Werkstattformaten, die sich spezifisch der Entwicklung der Fähigkeiten zur Gegenmacht widmen, zeigen sich diese auch in den leitenden Prinzipien der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Was bedeutet das konkret? Einerseits ist es wichtig, dass wir als Trainer*innen diese Fähigkeiten vorleben. Auch Erwachsene lernen am Modell, sei es an Trainer*innen, aber auch an anderen Teilnehmer*innen und deren Erfahrungen als bspw. Betriebsrät*innen.

Als Trainer*in lebe ich Kritikfähigkeit, indem ich Kritik möglich mache, aushalte und kritische Themen, die im Seminarraum auftauchen, offen anspreche. So wird der Seminarraum zu einem Übungslabor, in dem kritisches Denken und Widerstände Platz bekommen und geübt werden. Den Erfolg eines Seminars messe ich dann nicht mehr unbedingt daran, dass alle zufrieden und „gesättigt“ nach Hause gehen, sondern daran, ob auch „Knirschzonen“ benannt und genutzt wurden.

Ein weitere Kompetenz, die eine zentrale Rolle innerhalb des gewerkschaftlichen Lernens hat und als leitendes Prinzip in jeder Bildungsveranstaltung verankert sein muss, ist die Entwicklung von Solidarität. Solidarität kann als treibende Kraft gewerkschaftlicher Arbeit angesehen werden. Als Trainer*innen der gewerkschaftlichen Erwachsenbildung sollten wir uns die Frage stellen, ob und wie wir solidarisches Handeln im Training ermöglichen und fördern oder auch unüberlegt unterbinden. Viele Übungen und Motivationsanreize bauen auf dem Prinzip der Konkurrenz. Wie Solidarität in den gewerkschaftlichen Trainingsalltag integriert werden kann, wird regelmäßig Rahmen eines REFAK- Seminars erforscht.  

Welche Methoden und didaktischen Überlegungen bringen uns dabei weiter?

Word-Cloud zu Gegenmacht erstellt im Rahmen der Zertifizierungswerkstatt 2020

Es gibt viele Wege, Fähigkeiten, die dem Bilden von Gegenmacht zugrunde liegen, gezielt zu fördern. Ein wichtiger Planungsschritt jeder Bildungsveranstaltung ist die Auswahl von Methoden, die den Lernprozess optimal unterstützen. Geht es darum, die Teil- und Mitbestimmung zu fördern, wähle ich Methoden, die bspw. dazu dienen, dass die Teilnehmer*innen unterschiedliche Meinungen entwickeln und diese im geschützten Rahmen des Seminars erproben können. Genannt sei hier bspw. die Pro/Contra Diskussion oder die Meinungsrunde. Rollenspiele in unterschiedlichen Variationen bspw. in Form einer (in Kleingruppen vorbereiteten) Beratungssituation oder einer inszenierten Podiumsdiskussion können dabei ideale Lernsettings abgeben. Diese können optimal auf das jeweilige Seminarthema oder aktuelle politische Debatten zugeschnitten werden.

Auch zeitintensivere Methoden wie Planspiele oder Fallanalysen unterstützen neben der Entwicklung von Analyse- und Kritikfähigkeit auch die Reflexionskompetenz. Dabei kann es auch sinnvoll sein, neben den aktiven Rollen auch Beoachter*innenrollen mit spezifischen und durchdachten Beobachtungsaufgaben zu vergeben. Diese Rollen erweitern die Wahlmöglichkeiten und tragen den unterschiedlichen Persönlichkeiten der Teilnehmer*innen Rechnung, erhöhen aber auch die Qualität der Reflexion, die einen wesentlichen Teil des Lernerfolgs darstellt.

Die genannten Methoden können dem erfahrungs- bzw. handlungsorientierten Lernen zugeordnet werden. Zentral ist dabei die Grundidee, dass Lernen immer unterschiedliche Ebenen des Erlebens braucht, um schlussendlich in die eigene Praxis transferiert werden zu können. Der beschriebene Lernzyklus reicht vom konkreten Tun und Ausprobieren über das Reflektieren der Lernerfahrung, bis hin zur theoretischen Einordung. Mehr dazu in den folgenden Beiträgen.

Lust zum Weiterlesen?

  • Allespach, Martin; Meyer, Hilbert; Wentzel, Lothar (2017): Politische Erwachsenenbildung. Ein subjektwissenschaftlicher Zugang am Beispiel der Gewerkschaften. 2. Auflage. Marburg: Schüren.
  • Derichs-Kunstmann, Karin; Schnier, Victoria (2018): Gewerkschaftliche Bildungsarbeit – Erwachsenenbildung in der gewerkschaftlichen Trägerschaft. In: Tippel, Rudolf; von Hippel, Aiga (Hrsg.): Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. 6., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
  • Letz, Sabine (2017): Gewerkschaftliche Bildungsarbeit – was ist das überhaupt? Online verfügbar unter erwachsenenbildung.at.
  • Schratter, Daniela; Steinklammer, Elisabeth; Taucher, Philip (2019): Qualität ist kein Zufall. Praxisberichte aus der Qualitätssicherung in der Erwachsenenbildung.

Genannte (und auch andere) Bücher können HIER im Webshop des ÖGB-Verlags versandkostenfrei bestellt werden.

Autorin: Margret Steixner

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