#dimi_07: Didaktische Reduktion

Warum weniger mehr ist und sich Fachexpert*innen entspannen können

„Wohin mit dem ganzen Stoff?“ – das fragen sich viele Trainer*innen, wenn es darum geht, ein Seminar zu konzipieren. Nicht selten haben die Auftraggeber*innen eine hohe Erwartung und eine lange Liste an Themen, die im Seminar unbedingt vorkommen sollen. Häufig kommt es dabei zu einer Diskrepanz zwischen der verfügbaren Zeit und den zu vermittelnden Inhalten.

Was du als Trainer*in tun kannst, um herauszufinden, welche Lerninhalte für dein Seminarthema absolute Priorität haben und welche du „sidelinen“ oder ganz weglassen kannst, um den klaren inhaltlichen Fokus zu wahren, darum geht es in diesem Blogbeitrag.

Bevor wir in das heutige Blogthema einsteigen, sollten wir uns die Essenz des letzten Blogbeitrags (#dimi_06) noch einmal herholen, denn Lernziele und Lerninhalte sind immer gemeinsam zu denken. Die Lernziele definieren, was die Lernenden am Ende können sollen. Wissen ist ein wichtiger Teil von Kompetenz. Aber eben auch nur ein Teil – in der (gewerkschaftlichen) Erwachsenenbildung geht es darum, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten die Lernenden am Ende des Seminars entwickelt haben. Etwas zu wissen, aber mit diesem Wissen nichts tun zu können, erfüllt diese Anforderung nicht.

Dieser Beitrag befasst sich mit den Lerninhalten und wie du diese so reduzieren und strukturieren kannst, dass sie für die Lernenden klar und nachvollziehbar sind. Dies erhöht nicht nur die Klarheit über den inhaltlichen Fokus, sondern schafft auch die nötige Zeit für das Verankern des Wissens, ohne das die Lerninhalte schnell vergessen werden.

Martin Lehner, ein deutscher Didaktiker, durch den das Thema der didaktischen Reduktion sehr populär wurde, bringt das wohlbekannte Stoffmengenproblem folgendermaßen auf den Punkt: „Je höher die Stoffmenge, desto geringer die Lernqualität.“

Als Trainer*innen sind wir nicht nur Wissensvermittler*innen, sondern in erster Linie Lernbegleiter*innen und Lernermöglicher*innen. Deshalb gehört es zu unserer Aufgabe, die Lerninhalte durch die Lupe der Lernenden zu sehen und je nach Zielgruppe und definierten Lernzielen eine fachkundige Auswahl aus dem Wald der Themen zu treffen. Dieser Schritt ist – gerade wenn wir uns als Trainer*innen stark in der Rolle der Fachexpert*in verankert fühlen– nicht selten eine Herausforderung. Wer kennt nicht den Gedankengang: „Aber die Themen sind alle wichtig und eh schon total reduziert. Zudem wurde ich ja auch wegen meiner Fachkompetenz „gerufen“, die muss ich wohl auch unter Beweis stellen.“ Hier stoßen wir wieder auf das Rollenverständnis, mit dem wir uns schon in #dimi_02 beschäftigt haben: Bin ich als Trainer*in hauptsächlich Fachexpert*in oder Lernbegleiter*in?

Doch gehen wir mal davon aus, dass du diese Grundsatzfragen schon geklärt hast und du dich nun mit dem Festlegen der Lerninhalte befassen möchtest.

Zwei Arten, zu reduzieren

Sprechen wir von der didaktischen Reduktion so bezieht sich diese einerseits die Stoffmenge (Stoffreduktion) andererseits auf die Inhalte (Inhaltsreduktion). Während sich die Stoffreduktion um die Stoffmenge dreht, so beschäftigt sich die Inhaltsreduktion mit den Fragen, wie wir die Lerninhalte so aufbereiten, dass diese einfacher verständlich und für die Lernenden leichter fassbar werden.

Diese Formen der didaktischen Reduktion betreffen unterschiedliche Phasen der Seminarplanung und reichen bis zur Umsetzung und Durchführung des Seminars. In der Folge erfährst du, wie du genau vorgehen kannst:

  1. In der Planung der Lerninhalte: genauer genommen in der Konzeption des Seminars oder auch eines Lehrgangs
  2. In der methodischen Umsetzung: Darbietung der Inhalte, Unterstützen des Praxistransfers

Welche Fragen stelle ich mir in der Planungsphase?

  1. Sachanalyse: Gehen wir zunächst zur didaktischen Reduktion, die gleich zu Beginn wichtig ist. In der ersten Planungsphase lege ich, basierend auf den (kompetenzorientierten) Lernzielen, die Lerninhalte fest und überlege, in welcher Reihenfolge diese angeboten werden. Doch bevor ich diesen Schritt machen kann, brauche ich mehr Klarheit darüber, was bezogen auf das Erreichen der Lernziele wichtig und bedeutungsvoll ist und was zwar interessant, aber nicht essentiell ist. Wir nennen diesen Schritt auch die „Sachanalyse“.

Martin Lehner nutzt dafür ein einfaches Modell und nennt dies die Sieben der Reduktion“. Stell‘ dir einfach vor, statt der zwei Seminartage nur zwei Stunden oder gar nur 15 Minuten zur Verfügung zu haben. Welche Themen würdest du weglassen, welche würdest du trotzdem in deine Planung aufnehmen? Diese kleine Vorstellübung hilft meist im ersten Priorisieren der Lerninhalte.

Hilfreich ist auch das Erstellen einer Mindmap zum Seminarthema. Dabei wird meist sehr schnell klar, welche Themen die Hauptstränge und welche eher Nebenstränge sind. Eine solche Mindmap kann nicht nur dir selbst beim Strukturieren der Inhalte helfen, sondern kann auch die Lernenden unterstützen, einen Überblick über das Wissensgebiet zu bekommen. Diese Art von Mindmaps nennen wir dann auch „Wissenslandkarten“. Diese können wir auch gemeinsam mit den Lernenden erarbeiten oder sie anregen, eine solche für sich selbst zu erstellen und neue Erkenntnisse während des gesamten Lernprozesses dort einzutragen. So unterstützen wir die Lernenden beim Erlangen von Überblickswissen, das wesentlich zum Verstehen und Einordnen des neuen Wissens in den bestehenden Erfahrungsschatz beiträgt. Doch dazu mehr im Teil zur methodischen Umsetzung im Seminar selbst.

2. Didaktische Analyse: Habe ich die wichtigsten Lerninhalte herausgearbeitet, starte ich mit der Grobplanung. Nutze ich, wie in #dimi_05 vorgestellt, ein Trainingsdesign, so geht es hier zunächst um das Befüllen der Spalte der Lerninhalte. Das klingt nach einem einfachen und pragmatischen Schritt. In der Praxis beinhaltet dieser jedoch komplexe Überlegungen: Welche Inhalte bauen logisch aufeinander auf? Welche Lerninhalte müssen zuerst bearbeitet werden, damit die folgenden verstanden werden können? Welche sind möglicherweise leichter zugänglich und eignen sich als sanfter Einstieg? Welche sind möglicherweise kontrovers und deshalb nicht als letztes zu diskutieren, weil möglicherweise viele Fragen aufgeworfen werden?

Dieser Schritt wird auch als didaktische Analyse bezeichnet und bezieht die Zielgruppe in das planerische Gedankenspiel mit ein. Welches Vorwissen ist vorhanden? Wie nahe oder fern stehen die Lernenden dem zu vermittelnden Wissen? Welche Bedeutung hat es für ihre eigene Praxis?

Wie setze ich die didaktische Reduktion methodisch um?

Habe ich die Inhalte grob festgelegt, stelle ich mir weitere planerische Fragen, die jedoch schon stärker methodischer Natur sind. Grundsätzlich dreht sich nun alles um die Frage, wie kann ich die Lerninhalte so präsentieren, dass sie für die Lernenden verständlich und verarbeitbar sind. Hier können wir grundsätzlich zwei Aspekte unterscheiden:

Wissen strukturieren und verständlich vermitteln

Einerseits können wir uns die Frage stellen, wie wir das Wissen so strukturieren und präsentieren können, dass es leichter erfassbar wird. Dazu eignen sich Strukturhilfen wie die bereits genannten Wissenslandkarten. Auch die Verwendung von Modellen aus dem jeweiligen Fachgebiet unterstützen das Erfassen von komplexen Inhalten. Führen wir diese Strukturhilfen möglichst früh im Training ein, unterstützen wir die Lernenden bei der Verknüpfung der neuen Inhalte mit bestehendem Wissen. Das Schaffen von Verknüpfungen stellt einen wesentlichen Beitrag für das Verankern von Wissen dar. Das Nutzen von Analogien und Bildern, die an die eigenen Erfahrungen anknüpfen, dienen als weiterer Versuch, die Lerninhalte zu konkretisieren. Hier kann es jedoch wichtig sein, dass ich als Trainer*in Erfahrungen von Teilnehmer*innen, die bspw. in der Vorstellrunde genannt wurden, wieder aufgreife und in einem weiteren Schritt mit den jeweiligen Lerninhalten verknüpfe, um die Zusammenhänge und das größere Ganze der Struktur wieder sichtbar zu machen.

Verarbeiten von Wissen fördern

Neben der Darbietung der Lerninhalte ist die Verarbeitung des Wissens durch die Lernenden selbst einer der wesentlichsten Aspekte der erfolgreichen Wissensvermittlung. Erinnerst du dich noch den Lehr-Lern-Kurzschluss nach Holzkamp, den ich in #dimi_03 erklärt habe?

„Wo gelehrt wird, wird nicht automatisch gelernt.“

Klaus Holzkamp 2004

Diese Aussage bietet die Grundlage für alle Überlegungen, die wir anstellen, um Lernen aktiv zu gestalten. Im Sinne der didaktischen Reduktion treffen wir hier eine Auswahl im Sinne des exemplarischen Lernens. Übungen wie das „Schwärzen“ können helfen, das Reduzieren auf das Wesentliche erlebbar zu machen. Klug gewählte Übungs- und Anwendungsbeispiele bieten die Möglichkeit, bestimmte Aspekte eines umfassenden Lerninhalts beispielhaft zu erproben und das Vernetzen der Inhalte mit der Praxis zu unterstützen. So schaffen wir „Inseln der Verständlichkeit“ – idealerweise ermöglichen wir dadurch kleine AHA-Erlebnisse, die einen Domino-Effekt an Einsichten nach sich ziehen und den Transfer in die Praxis möglich machen.

All diesen Methoden liegt der Ansatz des handlungs- oder problemorientierten Lernens zugrunde. Prototypisch für diesen Lernzugang ist die Nutzung von Praxisbeispielen, die unterschiedlich umfassend erarbeitet werden. Dies reicht vom Lösen von Beispielen in einfachen Murmelgruppen bis hin zum Einsatz ausgefeilter Fallstudien oder Planspiele. Ein Beispiel aus der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit ist der Praxisfall, wie er im Rahmen der SOZAK eingesetzt wird.

Und so landen wir bei der Frage der Lerninhalte schlussendlich wieder beim Thema der Kompetenz. Denn nur Lerninhalte, die ich verstanden habe, führen zu lebendigem Wissen, das genutzt und im Interesse der Arbeitnehmer*innen eingesetzt werden kann.

„Töricht ist, wer die Schüler so viel lehren will, wie er wünscht, und nicht so viel, wie sie fassen können.“ Johann Amos Comenius

Zum Weiterlesen:

Genannte (und auch andere) Bücher können HIER im Webshop des ÖGB-Verlags versandkostenfrei bestellt werden.

Autorin: Margret Steixner

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