Lerngruppen als Lernressource
Begleitende Lerngruppen sind ein fixer Bestandteil vieler Lehrgänge, egal ob diese in Präsenz oder als E-learning angeboten werden.
Auch wenn diese nicht bei allen Lernenden beliebt sind, zeigt die Erfahrung, dass funktionierende Lerngruppen den Erfolg von Lernprozessen eindeutig erhöhen. Was es braucht, damit diese auch den gewünschten Lernerfolg bringen, erfährst du in diesem Blogbeitrag.
Unter Lerngruppen verstehe ich eine über einen längeren Zeitraum bestehende Gruppe, die gemeinsam einen Lernprozess durchläuft und sich über den kollegialen Austausch sowie das gemeinsame Bearbeiten von Aufgaben weiterbringt. Lerngruppen sind oft Element eines Lehrganges. Sie werden häufig im Kontext von E-learning z.B. MOOCs, um die selbstorganisierten Lernphasen mit sozialen Interaktionen mit Gleichgesinnten zu bereichern. Diese entstehen im online Setting schwer von selbst. Lerngruppen sind oft der einzige Ort, wo sich die Lernenden in Person treffen, um miteinander zu lernen und zu arbeiten. Lerngruppen bekommen damit eine wichtige soziale und inklusive Funktion. Die Teilhabe an einer „learning community“ ist ein integraler Bestandteil erfolgreicher Lernprozesse.
Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Lerninhalten ermöglicht die Zugehörigkeit zu einer Lerngruppe das Klären vieler kleiner Fragen, die ohne den Austausch mit anderen Lernenden zu einem Gefühl der Orientierungslosigkeit führen können. Allein die Bestätigung, dass andere ähnliche Erfahrungen machen und die gleichen Fragen haben, kann Lernende enorm entlasten.
Nicht alle Lernenden kommen mit den gleichen Voraussetzungen in den Lernprozess. Selbstlernkompetenz (#dimi_22) kann nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden, nicht alle können oder wollen selbstgesteuert und selbstorganisiert lernen. Wenn wir als Trainer*innen oder Lerndesigner*innen Lerngruppen erfolgreich nutzen wollen, ist es hilfreich, besser zu verstehen, was die einzelnen Lernenden unterstützt und was Gruppen hilft, das kollegiale Lernen in einer Lerngruppe zu einer positiven und wertvollen Erfahrung werden zu lassen.
Wozu brauchen wir die anderen?
Lernen ist ein Prozess der Verarbeitung von Wissen, indem wir aus dem Gelernten eine Synthese schaffen. Einfacher gesagt geht es darum, dass das Wissen, das vermittelt wird, auch verstanden wird, um dann „richtig“ angewandt zu werden. Dieser Prozess wird in einer gestalteten Lernumgebung von der Trainer*in begleitet. Missverständnisse und Fragen können dabei unmittelbar geklärt werden. In asynchronen E-learning Formaten sind die Lernenden häufig auf sich selbst gestellt. Ein Online-Kurs bietet meist unterschiedliche Features, die sicherstellen, dass die Lerninhalte auch richtig verstanden wurden. Quizzes bieten die Möglichkeit der Überprüfung. Zuordnungsaufgaben oder Lückentexte regen dazu an, das Gelernte in eine Aufgabe zu übertragen. Das Erfassen komplexer Zusammenhänge, kritisches Denken und das Finden von Problemlösungen geht in vielen Fällen über das Beantworten von Quizfragen hinaus und braucht einen intensiveren Austausch in bspw. Lerngruppen. Allgemein gilt, dass höhere Kompetenzstufen, wie sie Bloom in seinen Taxonomiestufen beschrieben hat, einer umfassenderen Auseinandersetzung bedürfen. Mehr dazu im #dimi_06.
Gemeinsam klüger werden….
Vielen Lernenden hilft es enorm, wenn sie Lerninhalte gemeinsam mit anderen erarbeiten bzw. das erarbeitete Wissen mit anderen diskutieren und verfestigen können. Im Austausch bekommen sie die Gelegenheit, die Lerninhalte in eigenen Worten zu fassen und anderen die Zusammenhänge, die sie erkennen, zu erklären. Dies ist eine Möglichkeit, das Wissen aktiv zu verarbeiten und zu verankern. Gerade bei E-learning Kursen, aber auch bei Vorträgen besteht die große Gefahr des passiven Konsumierens von Lerninhalten. Alles, was dazu beitragen kann, die Lernenden in den aktiven Lernmodus zu bringen, unterstützt dabei, das Wissen besser zu verankern. Tauschen sich die Lernenden in einer Lerngruppe aus, erkennen sie wesentlich leichter, ob sie das Gelernte auch wirklich verstanden haben. In der gemeinsamen Diskussion oder beim Bearbeiten von Aufgabenstellungen werden sie auf Missverständnisse oder Lücken aufmerksam und machen sich idealweise gemeinsam auf die Suche nach den richtigen Antworten. Im Handbuch zur Gestaltung von MOOCs, das von CONEDU herausgegeben wurde, wird auch darauf hingewiesen, dass Lernenden, die an einer wie sie sie nennen, Begleitgruppe teilnehmen, den Kurs häufiger abschließen.
Lerngruppen als „safe space“
In einer Lerngruppe sind die Lernenden unter sich. Dies befördert in vielen Fällen die Offenheit und den Austausch. Die meisten Lernenden tun sich leichter, in einer kleinen Gruppe Fragen zu stellen und mitzuteilen, wo sie sich nicht auskennen oder Widersprüche wahrnehmen. Sich darüber auszutauschen, ist ein wichtiger Teil des Lernprozesses, wie zahlreiche Studien bestätigen. „In diesem geschützten Rahmen fiel es den TeilnehmerInnen leichter ihre Fragen zu stellen, als in einem Forum mit mehreren hundert LeserInnen.“ (Ebner/Schön/Käfmüller 2015, S. 202ff).
Die Moderation einer Lerngruppen kann von den Lernenden selbst übernommen, die Inhalte selbst gestaltet werden. Auch hier empfiehlt sich die Klärung von Rollen und Aufgaben, wie in dem hier vorgestellten Leitfaden zu „learning circles“ beschrieben.
Neben selbstorganisierten Lerngruppen, in denen häufig die Wiederholung und Vertiefung der Lerninhalte zentral ist, besteht die Möglichkeit Lerngruppen gezielt für die Erarbeitung von inhaltlichen -Aufgaben einzusetzen. Dafür ist es wichtig, dass wir als Trainer*innen oder Lernbegleiter*innen verstehen, was wir beitragen können, um diesen sicheren Rahmen zu schaffen und das Lernen in der Gruppe zu befördern.
Den Rahmen setzen und Struktur geben
Mal vorweg: Individualisierte Lernsettings, die ein Teil der neuen Lernwelt sind, verändern die Rolle der Trainer*innen. Werden in klassischen Lernsettings die Aufgaben stark an der Wissensvermittlung aufgehängt, besteht die Rolle im E-learning Bereich in der grundlegenden Konzeption eines Online-Kurses (das Erzeugen von „Content“ in Form von Lernvideos, Aufgaben und Quizzes), aber auch in der Begleitung des Lernprozesses. Auch in Präsenzformaten, die die Selbstlernkompetenz der Lernenden befördern, kommt es zu einer Verschiebung der Rollen und Aufgaben. Egal ob on- oder offline: ein gut durchdachtes Lerndesign wird immer bedeutsamer. Sprich: Wenn ich die Lernenden mehr in die Selbstverantwortung für ihren Lernprozess bringen will, konzentriere ich mich als Trainer*in stärker auf Überlegungen, wie die Lernenden dargebotenes Wissen verarbeiten können, anstatt es nur zu konsumieren. Gelingt dies, kann ich als Trainer*in im Lernprozess selbst in den Hintergrund treten, um so zur Lernbegleiter*in werden.
Konkret beziehen sich die vorgeschalteten Designaufgaben auf zwei Bereiche:
- Aufbereitung der Lerninhalte
- Gestaltung des sozialen Miteinanders
1. Aufbereitung der Lerninhalte
Schauen wir uns zunächst mal den ersten Punkt an, nämlich die Frage der Aufbereitung der Lerninhalte. An welchen Stellschrauben kann ich drehen bzw. an welchen Stellen setze ich die Schrauben an? Die erste Frage, die ich mir dabei stellen sollte, ist, welche Themenbereiche für den spezifischen Kurs wirklich zentral sind. Dabei empfiehlt sich im ersten Schritt, die mutige didaktische Reduktion, wie im #dimi_07 ausführlich beschrieben.
Geht es nun um den nächsten Schritt, nämlich darum, dass die Lernenden das, was sie gelernt haben, mit der eigenen Lebenswelt verknüpfen und das Gelernte umsetzen, steht und fällt der Lernprozess mit der Erstellung von sinnvollen Aufgabenstellungen. Gehe ich nun – im Sinne des Themas dieses Blogbeitrags davon aus, dass diese Bearbeitung in einer Lerngruppe stattfindet, so orientiere ich mich als Trainer*in an zwei Aspekten:
Ist die Aufgabe klar formuliert und trotzdem herausfordernd und lebensnah genug? Schauen wir uns diese Aspekte genauer an, ergeben sich weitere wichtige Gesichtspunkte, die die Bearbeitung der Aufgabenstellung beeinflussen können. Nehme ich als Lernbegleiter*in die Unterschiedlichkeit der Lernenden als positive Ressource mit in den Blick, bietet es sich an, die Zusammensetzung von Lerngruppen bewusst zu wählen. Unterschiedliche Vorerfahrungen oder Wissensniveaus können dazu beitragen, dass komplexere Aufgaben von einer heterogenen Gruppe gemeinsam gelöst werden können, während beim zufälligen Zusammenwürfeln die Gefahr der Bildung von Gruppen mit ähnlichen Wissensniveaus größer ist. Somit entsteht leichter eine Unter- bzw. Überforderung.
Ein weiterer Punkt, der die Bearbeitung von Gruppenaufgaben spannender und herausfordernder macht, ist die Vergabe von unterschiedlichen Subaufgaben. Die Mitglieder erarbeiten z.B. einen Themenbereich, der ein Puzzleteil der gemeinsamen Aufgabe darstellt. Dies fördert die gleichwertige Beteiligung der einzelnen und beugt so dem bekannten Free-Rider Effekt vor. Weitere typische Gruppenphänomene habe ich in #dimi_14 beschrieben.
Beim Entwickeln von Lernaufgaben ist es zudem wichtig, dass diese machbar sind. „Designer*innen“ von Lernprogrammen sollten ein realistisches Bild der Aufgaben entwickeln und die unterschiedlichen Lerntempi berücksichtigen. Es ist sehr frustrierend für die Lernenden, wenn sie die angegebenen Lernzeiten konstant nicht einhalten können. Das kreiert ein Gefühl der Mangelhaftigkeit, die dem Lernprozess nicht zuträglich ist und auch in Gruppen häufig zu Widerständen und Konflikten führt.
Um die Lernenden im Prozess der Bearbeitung der Aufgabenstellung zu unterstützen, ist es hilfreich, ihnen ein sogenanntes Kooperationsskript mitzugeben. Dieses beschreibt die einzelnen Arbeitsschritte und die jeweiligen Ergebnisse (z.B. 1. Verteilen der Subaufgaben, 2. Individuelle Recherche 3. Zusammenfassung der Ergebnisse auf einer Seite,……). Je klarer dieser Rahmen gesetzt ist, desto entlasteter ist die Gruppe im Ausverhandeln der richtigen Interpretation, in der sich Perfektionist*innen und Minimalist*innen in die Haare kommen können.
2. Gestaltung des sozialen Miteinanders
Kommen wir ganz zum Ende zu einem sehr zentralen Aspekt, der den Erfolg von Lerngruppen sehr stark beeinflusst: nämlich das soziale Miteinander innerhalb von Lerngruppen. Was kann ich als Trainer*in tun, um dieses Miteinander zu gestalten, obwohl ich in diesen selbstorganisierten Lernphasen nicht präsent bin, weil sich die Lernenden typischerweise außerhalb treffen.
Julia Eberle und Sebastian Strauß berichten im Podcast PotentiaLLL von ihrem Projekt KoLiBRI. In diesem haben sie mit Studierenden an kooperativen und interdisziplinären Lernprozessen geforscht und den Mehrwert von gemeinsamem Lernen untersucht. Dabei kommen sie zu einer spannenden Einsicht. Der Erfolg von Lerngruppen hängt neben den gut durchdachten Aufgabenstellungen noch stärker vom sozialen Zusammenspiel der Gruppe ab. Die Reflexion dieses Miteinanders mithilfe von sogenannten „Group Awareness Tools“ bereichert den Lernprozess, indem einfache Frage zum sozialen Miteinander das Augenmerk auf dieses lenken und so zu einem integralen Teil des Lernprozesses werden. Das Positive dabei: diese Kollaborationsfähigkeit ist nicht nur willkommenes Nebenprodukt des Lernprozesses, sondern eine zentrale Kompetenz, die die Lernenden in ihrem Arbeitsumfeld brauchen und nützen können.
Damit schließen sie wunderbar an mein Plädoyer für kooperatives Lernen im #dimi_17 und #dimi_18 an und schließe damit die #dimi-Serie für das Jahr 2023. Im Jahr 2024 warten zwei weitere Beiträge auf euch.
“Stay tuned and keep learning.“
Zum Weiterstöbern und Vertiefen:
- Aschemann, Birgit (Hg.) (2017): MOOCs in der Erwachsenenbildung: So gelingen sie. Conedu. Hier online verfügbar.
- Eberle, Julia; Strauß, Sebastian: Kooperatives Lernen. Podcast PotentiaLLL
- Rath, David (2016): The Keys to Designing Successful Open Course Experiences. Ed Tech Trends
Autorin: Margret Steixner
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