#dimi_18: Zusammenarbeit als Lernprinzip

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Wie kann ich als Trainer*in einen sicheren Rahmen für kollaboratives Lernen schaffen?

Hatten wir das nicht schon? Warum noch ein #dimi zu diesem Thema? Die Antwort ist, dass das Schaffen eines kollaborativen Lernklimas eine der zentralsten Fragen in der Gestaltung von Lernprozessen ist und daher viel Aufmerksamkeit verdient.

Dieser Blogbeitrag beschäftigt sich mit der Frage, was dazu beträgt, dass eine Gruppe gut ins Arbeiten kommt und welche Voraussetzungen ich als Trainer*in dafür schaffen kann.

Ich werde anhand des SCARF Modells erklären, warum Gruppenarbeiten und andere Formen des kollaborativen Lernens unbewusst viel Stress erzeugen können und was wir als Trainer*innen dazu beitragen können, dass der Stress zu einer positiven Lernzone werden kann.

Um gut an den #dimi_17 anschließen zu können, bringe ich die wichtigsten Aussagen noch einmal auf den Punkt:

  1. Kollaboratives Lernen ermöglicht das Verarbeiten von Wissen: Lernen geht nicht ohne die intensive Auseinandersetzung mit den Lerninhalten und die Interaktion der Lernenden untereinander. Gemeinsames Diskutieren, Recherchieren und Finden von Lösungen ist ein Kernelement eines erfolgreichen Lernprozesses.
  2. Kollaboratives Lernen braucht einen sicheren Rahmen: Das Schaffen dieses sicheren Rahmens ist eine zentrale Aufgabe der Trainer*innen. Dass dies gerne unterbelichtet bleibt, mag mit den eigenen Ängsten als Trainer*innen zu tun zu haben. Die Begleitung von Gruppenprozessen ist eine Aufgabe, die viel soziales Feingefühl braucht und auf die Trainer*innen oft wenig vorbereitet sind.
  3. Kollaboratives Lernen unterstützt den Kompetenzerwerb: Die gewerkschaftliche Bildungsziele orientieren sich an einer Vielzahl von Kompetenzen – wenn wir diese Bildungsziele ernst nehmen, kommen wir nicht darum herum, uns zu überlegen, wie diese entwickelt werden können. Kollaboratives Lernen liefert dazu einen wichtigen Beitrag. Dieses Lernen liegt quer zu den Lerninhalten und braucht neben der Aufmerksamkeit der Trainer*innen eine klaren Rahmen, der durch die Lehrgangsleitung mitgetragen und aufrechterhalten wird.

Ging es im #dimi 17 vorwiegend darum, ein Grundverständnis für das kollaborative Lernen zu schaffen, so soll der Fokus dieses Blogbeitrags auf der Rolle der Begleitung durch die Trainer*innen sein. Ein hilfreiches Modell, auf das ich mich dabei beziehen möchte, ist das SCARF Modell nach David Rock.

Das Modell beschreibt, wie sich das soziale Miteinander auf das Lernen auswirkt und liefert interessante Anhaltspunkte für die Begleitung von Lernprozessen, in denen Trainer*innen die Lernenden in den Mittelpunkt rücken. Es gibt wertvolle Hinweise darauf, wie Stressreaktionen, die häufig in Kleingruppen entstehen, in denen die Lernenden selbstständig an ihren Lernaufgaben arbeiten, in eine produktive Richtung gelenkt werden können. Bezogen auf den Lernprozess geht es also um die Frage, was dazu führt, dass sich die Lernenden auf das Lernen in der Gruppe einlassen und diesen für die Kompetenzerweiterung nützen können.

SCARF steht für…

  • S: Status
  • C: Certainty (Sicherheit)
  • A: Autonomy (Autonomie)
  • R: Relatedness (Bindung)
  • F: Fairness

Schauen wir uns die einzelnen Aspekte des SCARF Modells genauer an und wie diese in der Zusammenarbeit von Lernenden in Erscheinung treten. Ich werde versuchen, mögliche Gedanken der Lernenden zu beschreiben und daraus Ideen für die Begleitung abzuleiten.

S für Status

Im ersten Schritt der Gruppen- oder Projektarbeit formiert sich die Arbeitsgruppe, in der jede*r Einzelne zunächst mit der eigenen Positionierung innerhalb dieser Gruppe beschäftigt ist.

Fragen, die sich die Lernenden dabei meist im Stillen stellen, sind:

  • Wer übernimmt hier die Führung? Passt mir das oder nicht?
  • Will ich die Person unterstützen oder nervt mich dieses Verhalten?
  • Wie stehe ich zum Rest der Gruppe? Wie sehen mich die anderen?
  • Werde ich als kompetent wahrgenommen? Wen nehme ich als kompetent wahr?
  • Habe ich Einfluss auf die anderen?
  • Werden meine Vorschläge und Ideen aufgegriffen und gibt es Personen, die diese bestätigen und unterstützen?
  • Gibt es andere, die meine Kompetenz in Frage stellen könnten?

Reflexion für die Lernbegleitung: Nehme ich wahr, dass es in einer Gruppe festgefahrene Rollen gibt (z.B. dominante Personen, strebsame Personen…) kann ich mir überlegen, ob und wie ich die Rollen aufbrechen möchte, indem ich z.B. diese Beobachtung mitteile und anrege, über diese Muster nachzudenken und möglicherweise neue Rollen bewusst als Lernfeld zu definieren und diese auszuprobieren. Als Trainer*in rege ich in der Folge eine Reflexion darüber an, was idealerweise zu einer Erweiterung der Kompetenzen führt.

C für Certainty (Sicherheit)

Der Aspekt Sicherheit kann als das Bedürfnis der / des Einzelnen nach einem „sicheren Lernort“ beschrieben werden. Die Mitglieder einer Kleingruppe interagieren im Zuge einer Gruppenarbeit intensiv miteinander. Es kann zu subtil wirkenden Aus- und Einschlussszenarien kommen, die ich als Trainer*in möglicherweise gar nicht mitbekomme. Bereits die Phase der Gruppenfindung kann für Lernende mit Stress und Unwohlsein verbunden sein. Ähnlich der Situation des „Wählens“ für Teamsportarten im schulischen Turnunterricht wird auch in der Gruppenfindungsphase gewählt. Den Lernenden stellt sich die Frage: „Darf ich dabei sein, wo ich gerne dabei wäre?“ Im Kern geht es dabei um die Frage der sozialen Anerkennung und die Frage nach der Sicherheit in der Gruppe. Sicherheit entsteht auch durch das Erleben, dass Übertretungen oder Verletzungen von Gruppenregeln thematisiert werden.  

Reflexion für die Lernbegleitung: Das Konzept der verstehenden Zuwendung (Joachim Bauer) beschreibt die Rolle der Lernbegleitung als „eine Balance zwischen verstehender Zuwendung und Führung“. Verstehende Zuwendung bezieht sich auf die Anerkennung der Lernenden als ganzer Mensch, sprich mit unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen und Kompetenzen. Unter dem Aspekt Führung versteht er die Bedeutung, klare Werthaltungen zu vertreten und für diese einzustehen. Im Sinne des sicheren Rahmens heißt das auch, dass problematische Verhaltensweisen, die in der Zusammenarbeit sichtbar werden, (subtile oder offensichtliche Bloßstellungen oder Kränkungen, Ausschluss) von der Lernbegleitung nicht ignoriert bzw. ein sicherer Rahmen zur Besprechung geschaffen wird.  

A Autonomy (Autonomie)

Das Erleben von Autonomie stellt für viele Lernende eine Grundvoraussetzung für Motivation dar. Lernende, die sich aus verschiedenen Aspekten eingeschränkt fühlen, gehen oft in den Widerstand. Dieser wird nicht selten gleich zu Beginn einer Gruppenarbeit deutlich, indem bspw. die Aufgabenstellung hinterfragt oder „kreativ abgewandelt“ wird. Bedürfnisse, die hier wirksam werden, sind: Habe ich das Recht, mich als Individuum „frei“ zu bewegen, selbst Entscheidungen zu treffen, selbst zu gestalten und meine Individualität unter Beweis zu stellen?

Reflexion für die Lernbegleitung: Als Lernbegleiter*in bewege ich mich hier im Spannungsfeld zwischen Rahmen und Freiheit. Was schafft die nötige Klarheit und wo können sich die Lernenden als selbstwirksam erleben? Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, den Arbeitsauftrag (WAS) klar abzustecken und den Lernenden Gestaltungsspielraum in der Umsetzung (WIE) zu geben oder sogar bewusst zur freien Gestaltung einzuladen. Die Botschaft an die Lernenden wäre dann: „Überlegt selbst, wie ihr am besten zu dem vereinbarten Lernziel kommt und erklärt mir dann warum ihr diesen Weg gewählt habt.“

R Relatedness (Bezogenheit, Verbundenheit)

In kollaborativen Lernsituationen wird unser menschliches Grundbedürfnis nach Verbundenheit deutlich. Schafft es eine Gruppe, gemeinsam zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zu gelangen, erhöht dies die Motivation und Lernbereitschaft. Gelingt es nicht, leidet die Zusammenarbeit meist gravierend. Das Erleben der Lernenden dreht sich hier um alle Aspekte, die bereits beschrieben wurden, aber auch um den Bereich der Fairness. Ich möchte auch noch einmal auf die Unterscheidung zwischen Kooperation und Kollaboration, die ich in #dimi_17 beschrieben habe, hinweisen. Das Ergebnis eines kollaborativen Lernprozesses ist eines, das erst aus dem fruchtbaren Zusammenwirken der Gruppe entstehen kann.

Reflexion für die Lernbegleitung: Auch hier gilt für mich das Motto: Weniger WAS und mehr WIE! Dies bedeutet, dass nicht nur die Lernergebnisse einer Gruppe zählen, sondern auch die Art und Weise, wie sie diese erreicht haben. Als Lernbegleiter*in kann ich diesen Rahmen beeinflussen, indem ich die Lernenden anrege, ihren Lernprozess zu beobachten und zu beschreiben, indem ich bspw. Reflexionsfragen vorgebe oder moderierte Reflexionsrunden einplane und die Gruppe auf diese Weise unterstütze und begleite.

F Fairness

Das Empfinden von Fairness ist enorm wirksam im Kontext des kollaborativen Lernens. Viele Konflikte, insbesondere, wenn es um umfangreichere Gruppen- oder Projektarbeiten geht, drehen sich um diesen Aspekt: Wer übernimmt wieviel einer Aufgabe? Wer liefert die Ergebnisse zu vereinbarten Zeit? Wer stellt sicher, dass diese in eine präsentierbare Form gebracht werden? Die bekannten Phänomene der Gruppenarbeit, wie bspw. der „Freerider-Effekt“ kommen hier voll zur Geltung. Erfahrungsgemäß spaltet sich die Gruppe hier häufig am Anspruch der Perfektion. Ein Großteil der Arbeit bleibt an denen hängen, die selbst einen hohen Anspruch haben und sich für die mittelmäßigen Ergebnisse der Gruppe schämen und dann in Eigenregie noch weitere Stunden investieren, um das Gruppenergebnis zu „behübschen“.

Reflexion für die Lernbegleitung: Als Lernbegleiter*in ist es aus meiner Sicht sinnvoll, den Anspruch an die Präsentation der Lernergebnisse (inhaltliche Abschlusspräsentation, gemeinsame Abschlussarbeit) stark zu reduzieren und mir klar zu werden, welche Lernziele die Lernenden erreichen sollen. Dabei macht es Sinn, die Lernenden anzuregen, den Lernprozess genauer unter die Lupe zu nehmen und zu beschreiben, welche Fragen sie sich gestellt haben, wie sie zu Antworten gefunden haben und zu welchen Ergebnissen sie gelangt sind. Es können auch unterschiedliche Arten von Beiträgen ins Bewusstsein gebracht und die Gruppe angeregt werden, eine faire Verteilung von Beginn an zu verhandeln und die Verantwortlichkeiten offenzulegen.

Kollaboration ist mehr als die Summe der Einzelbeiträge

Um diese Art des Lernens möglich zu machen, bekommt die Begleitung des Lernprozesses eine zentrale Rolle, die Trainer*innen bewusst gestalten und strukturieren sollten. Die inhaltlichen Lernziele werden durch einen ganzheitlichen Blick auf die angestrebten Kompetenzen erweitert.

Das Entwickeln einer echten und tragfähigen Feedback-Kultur ist ein Fixpunkt jedes kollaborativen Lernprozesses. Diese Fähigkeiten entwickeln sich nicht aus dem Blauen Heraus, sondern müssen systematisch in die Lernarrangements integriert werden. Die Aufgabe der Trainer*in ist es, dabei mithilfe von durchdachten Fragen die Diskussion anzuregen, aber auch selbst als Rollenmodell zu wirken, indem kritische Punkte angesprochen und das Finden von Lösungsansätzen angeregt wird.

Für mich ist dieser Teil der Arbeit mitunter der interessanteste, weil sich daraus enorm spanndende Fragen ergeben, die viel Stoff zum Nachdenken und Diskutieren liefern. Wie siehst du das?

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Autorin: Margret Steixner

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