#dimi_22: Lernen 24/7 – die neue Freiheit des Lernens

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Selbstlernkompetenz: Grundlage oder Selbstverständlichkeit

Lernen wird immer mehr zum „SOLOTRIP“. Online-Lernangebote sprießen wie Schwammerln aus dem Boden. Arbeitgeber:innen erwarten, dass sich ihre Mitarbeiter:innen mittels E-Learning weiterbilden, schaffen dafür aber selten die nötigen Rahmenbedingungen. Dass Lernen im Alleingang nicht so einfach ist, wie es klingt, wissen die meisten inzwischen aus eigener Erfahrung.

Dieser Blogbeitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie selbstgesteuertes Lernen gelingen kann und warum der Faktor Motivation dabei eine wichtige Rolle spielt.

Klingt spannend, dann geh‘ doch gleich auf Weiterlesen.

Selbstlernkompetenz als Voraussetzung….

Wer Neues lernen will, scheitert nicht am Angebot, sondern sehr häufig an der Selbstlernkompetenz. Diese wird meist selbstverständlich vorausgesetzt. Als professionelle Trainer:innen werden wir  immer häufiger zu „Lerndesigner:innen“: Die Fragen, die wir in dieser veränderten Welt vermehrt stellen sollten, sind:

  • Welche Kompetenzen brauchen die Lernenden, damit sie angebotenes Wissen nicht nur konsumieren, sondern die Lerninhalte verstehen, verarbeiten und mit eigenen Erfahrungen verknüpfen können?
  • Welche Hilfestellungen können wir als Trainer:innen anbieten, um Lernkompetenz zu fördern?
  • Was können wir in unserer Rolle als Lernbegleiter:innen beitragen, dass der Aufwand, den Lernen immer mit sich bringt, die erwarteten Lernerfolge bringt und neue Aufgaben besser, leichter oder professioneller erfüllt werden können?

In diesem Blogbeitrag fokussiere ich mich auf einen wesentlichen Aspekt der Selbstlernkompetenz, nämlich die Kompetenz des einzelnen Lernenden den Lernprozess zu gestalten. Weitere Gesichtspunkte, wie die Unterstützung der Lernenden durch gezielte Lernbegleitung und die Bedeutung von ausgeklügelten Lerndesigns, sowie die Nutzung von Lerngruppen, werde ich im #dimi_23 erklären.

Grundsätzlich halte ich Selbstlernkompetenz für alle synchronen und asynchronen Lernformate relevant, in welcher Kombination diese auch angeboten werden. Einen Überblick über den Begriffsdschungel findest du hier. Aufgrund der allgemeinen Bedeutung der Selbstlernkompetenz beziehen sich meine Überlegungen nicht auf ein spezifisches E-Learning Format, sondern betreffen unterschiedlichste Lernsituationen. Gerade bei der teilweisen oder gesammelten Verlagerung von Lerninhalten in den virtuellen Raum wird die Selbstlernkompetenz besonders relevant.

Selbstlernkompetenz ist die Fähigkeit, sich Dinge selbst anzueignen. Das inkludiert auch die Fähigkeit, eigene Wissenslücken zu erkennen und initiativ zu werden, um Antworten auf Problemstellungen zu finden, die sich im Beruf oder Alltag stellen. Dabei wird immer häufiger auf virtuelle Lernangebote zurückgegriffen. Es wimmelt nur so vor Online-Kursen und Lernangeboten. Von 10-minütigen Erklärvideos auf You-Tube, TED-Talks und MOOCS (Massive Open Online Course) bis hin zu mehrwöchigen ausgefeilten Trainingsangeboten, die auf der organisationsinternen Lernplattform zur Verfügung gestellt oder fixer Bestandteil des „Onboardings“ sind. Lernen ist gekennzeichnet von einer zunehmenden Individualisierung , Deinstitutionalisierung und einer Deregulierung konstatiert Faulstich bereits 1999 (vgl. Faulstich 1999:26). Wie wahr diese vor 20 Jahren noch revolutionäre Aussage geworden ist!

Wir wissen aus Erfahrung, dass selbstgesteuertes Lernen mit speziellen Herausforderungen verbunden ist und Selbstlernkompetenz nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Die Lernenden scheitern gerade in selbstgesteuerten Lernformaten an Lernwiderständen oder am zu geringen Glauben an sich selbst (vgl. Buddenberg 2010:8). Auch die Fähigkeiten zum kritischen Denken, das für die Verankerung von Wissen enorm wichtig ist, ist beim Lernen im Singlemodus schwieriger. Denn gerade die Diskussion mit anderen fördert das kritische Denken, da die eigenen Gedanken artikuliert und begründet werden müssen.

Die Europäische Union versucht im Rahmen der der LifeComp  (Europäische Rahmen für persönliche, soziale und lernbezogene Schlüsselkompetenzen) diesen umfassenden Kompetenzen, die Lernen unterstützen, Rechnung zu tragen. Die beschrieben Schlüsselkompetenzen werden dabei in die Bereiche persönliche Kompetenz, soziale Kompetenz und Lernkompetenz untergliedert und sollen als konzeptioneller Rahmen für unterschiedlichste Bildungsformate dienen.

LifeComp tree of competences describes nine competences, organised in three areas: The „personal“ area (P1, P2, P3), the „social“ area (S1, S2, S3) and the „learning to learn“ area (L1, L2, L3)
© EU 2020, creative commons (CC BY 4.0)

Lernen ohne Zwang

Lernen funktioniert besser, wenn dieses auf Freiwilligkeit beruht. Zwang und Druck gelten generell als „Abturner“. In der Motivation macht es einen Unterschied, ob ich mir selbst einen Wissensbereich erschließen will oder ob der Impuls von außen, z.B. von Vorgesetzten, kommt. E-learning Formate scheinen neben der Freiwilligkeit aufgrund der höheren Flexibilität durchaus als attraktive Angebote. Beim Entscheiden für ein bestimmtes Lernformat kommen diese beiden Aspekte häufig zum Tragen und beeinflussen unsere Entscheidungsmotivation. Diese Form der Motivation reicht jedoch nicht aus, um einen Lernprozess langfristig aufrecht zu erhalten. Egal ob selbstgewählt, empfohlen oder verpflichtet: Die meisten selbstgesteuerten Lernprozesse scheitern am Durchhaltevermögen der Lernenden.

Den Schwung mitnehmen

Haben sich Lernende für einen Kurs entschieden, dauert es häufig nicht lange, dass die Anfangsmotivation, die der Entscheidung folgt, abnimmt und das Dranbleiben mühsam wird. Jetzt braucht es eine anständige Portion an Disziplin. Dieses sperrige Wort ruft in vielen von uns eher negative Assoziationen hervor. Disziplin hat mit Strenge, Durchhalten und mit langweiligen Routinen zu tun. Die Schlüsselfrage ist nun: Schaffe ich es, eine Tätigkeit über einen längeren Zeitraum hindurch aufrecht zu erhalten? Aus anderen Lebensbereichen wissen wir, dass nur das wiederholte Tun zum Erfolg führt – egal ob ich auf einen Marathon trainieren, Klavier lernen oder im Fitness-Center „meinen Body shapen“ will. Auch beim „Lernen im Singlemodus“ des Online-Kurses ist das Entwickeln einer passenden „Lernpraxis“ ein wesentlicher Teil des Erfolgs. Hier ein paar hilfreiche Tipps, wie es gelingen kann.

In einem Selbstexperiment, meine Französischkenntnisse über einen Online-Kurs zu verbessern, (darüber erzähle ich später noch genauer) stieß ich auf ein interessantes Modell des ungarischen Sprachwissenschaftlers Zoltán Dörnyei. Er analysiert, welche Grundvoraussetzungen Lernende brauchen, um eine Fremdsprache zu erlernen. Denn, gerade das Erlernen einer Fremdsprache braucht eine anständige Portion an Konsequenz und Durchhaltevermögen und eignet sich also optimal, um der Frage der Aufrechterhaltung der Motivation für das Lernen nachgehen.

Dörnyei unterscheidet in seinem Prozessmodell drei Phasen. Angelehnt an sein Modell habe ich die wichtigsten Aspekte und Fragen zusammenfassend dargestellt.

Die Entscheidungsmotivation ermöglicht mir den Einstieg in einen Lernprozess. Nun brauche ich in der zweiten Phase des Lernprozesses eine anständige Portion an Ausführmotivation. Dabei ist entscheidend, ob ich mir ein realistisches Ziel gesteckt habe und, ob es auch langfristig attraktiv genug ist. Das Erhalten der Ausführmotivation über einen längeren Zeitraum ist besonders herausfordernd und sehr eng mit Selbstlernkompetenz verbunden.

Zurück zu meinem Selbstexperiment und die Erkenntnisse, die ich daraus in Bezug auf die „Ausführmotivation“ gewonnen habe.

  • Dranbleiben ist echt „ZACH“: Ich hätte nicht gedacht, WIE schwierig es ist, eine Lernroutine zu erhalten. Erst nutze ich die Abendstunden, um meine Lernvideos zu schauen und entsprechende Quizze zu absolvieren. Nach einer urlaubsbedingten Unterbrechung der Routine ist die Wiederaufnahme schwierig. Ich habe das Gefühl, „aus dem Rhythmus zu sein“ und am besten noch einmal ganz von vorne anzufangen. Das ist frustrierend und führt zunächst mal zum Einschleichen einer gewissen Wurstigkeit, die ich erst bewusst überwinden muss. Ich schaffe den zweiten Anlauf und bleibe dran.
  • Na, schau es geht ja eh! Ich schaffe es die Routine wieder aufzunehmen und beobachte folgendes: Je intensiver ich mich dem Lernprozess widme, desto klarer wird der Fortschritt sichtbar. Das Erkennen des Fortschritts steigert meine Motivation und die Freude am Lernen enorm. Auf einmal ist es gar nicht mehr so schwierig, die Routine zu erhalten.
  • Augen zu und rein ins Vergnügen: Es macht echt Spaß meine neu erworbenen Fähigkeiten gleich in die Umsetzung zu bringen. Ich verliere die Scheu, Französisch zu sprechen, und mach mir weniger Gedanken über das Fehlermachen (mit der Betonung auf weniger). In manchen Situationen geht das Reden schon leicht genug, dass es Spaß macht und das fühlt sich ziemlich gut an.

Verbindet man diese Erfahrungen mit dem vorgestellten Prozessmodell ergeben sich folgende Anregungen für die Lernenden:

  • Schätze deine Zeit realistisch ein und plane diese so, dass du auch Fortschritte wahrnehmen kannst. Blockiere dir fixe Zeiten und Orte für’s Lernen, für die du nicht ständig kämpfen musst, weil die volle Inbox im Hintergrund tickt.
  • Bei der Planung der Routine ist es wichtig, realistisch zu planen und Ausnahmen einzukalkulieren, damit diese nicht zur Ausrede werden. So vermeidest du das Gefühl des „Aus-dem Schritt Seins“ und kannst schneller zu einer Regelmäßigkeit zurückkommen (3x wöchentlich auf längere Zeit ist besser als 5x, wenn es dann nicht gehalten werden kann).
  • Verknüpfe das Lernen mit realen Situation, wo du das Gelernte ausprobieren kannst und warte nicht, bis du alles endlich gut genug und perfekt kannst. Das Wahrnehmen von Erfolg passiert im Kopf und spielt gerade bei selbstgesteuerten Lernprozessen eine wichtige Rolle, da im Gegensatz zum Lernen in Präsenz wenig soziales Feedback im Sinne von Bestätigung, Aufmunterung, aber auch Nachahmung stattfindet. Deshalb ist Lernen ein Prozess und nicht ein Produkt, denn Lernen passiert im Tun.

Frei nach dem Motto: „Der Weg ist das Ziel….“ oder wie es André Heller es ausdrückt:

„Ich möchte mich lernend verändern. Ich möchte gerne etwas weniger blöd sterben als ich geboren bin.“

Material zum Weiterlesen:

Autorin: Margret Steixner

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