#geb: Solidarität – ähm, bitte was?

„Solidarität!“ ist eine der häufigsten Antworten, wenn Gewerkschafter:innen nach ihren wichtigsten Werten gefragt werden. Stellen wir die Frage: „Wie zeigt sich Solidarität konkret in euren Kursen, Seminaren und Vorträgen?“ ernten wir oft ratlose Blicke. Die Verbindung zwischen Gewerkschaft und Solidarität ist auf eine Art und Weise selbstverständlich geworden, dass ein Nachfragen im besten Fall verständnislos und im schlimmsten Fall mit dem Vorwurf der Blasphemie quittiert wird. So ist aus dieser Gemengelage unser Seminar Solidarität lernen, lehren, erleben entstanden.

Was heißt Solidarität heute?

2016 haben wir – selbst neugierig das Kommende erwartend – dieses Seminar erstmals durchgeführt. Die Teilnehmer:innen haben Passant:innen auf der Straße zum Thema Solidarität befragt und waren oftmals mit Ahnungslosigkeit konfrontiert. Der Begriff entpuppte sich als ein dem Wortschatz entschwundenes Etwas. Das hat sich in den letzten Jahren durch Pandemie, Geflüchtete und Ukrainekrieg verändert. Forderungen nach Solidarität sind in aller Munde und damit auch weg von Gewerkschaft und Arbeiter:innenbewegung, wo Solidarität eigentlich hingehört. Wie und wohin hat sich die Interpretation des Wortes Solidarität entwickelt? Wer vereinnahmt diesen Begriff heute? Von wem wird Solidarität als gewerkschaftliches Alleinstellungsmerkmal verneint?

Mit diesen Fragen, die wir hier so stehen lassen wollen, gehen wir in das nächste Solidaritäts-Seminar (2023) und sind gespannt auf intensive Auseinandersetzungen zum Begriff Solidarität. Der so sich entwickelnde Austausch – basierend auf dem jeweils eigenen Erleben von und dem Umgang mit Solidarität – wirft immer neue Fragen auf. Als Konstante in unseren Seminaren erwies sich das Solidaritätslied von Brecht und Weil: Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht, beim Hungern wie beim Essen, die Solidarität.“ Der Text umreißt, was Solidarität als Begriff der Arbeiter:innenbewegung meint.

Solidarität in der Erwachsenenbildung konkret werden lassen

Wir nicken als Referent:innen in der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung Solidarität als Wert „oben drüber“ recht schnell ab. Gemeinsam und miteinander statt gegeneinander und in Konkurrenz, da gehen wir alle selbstverständlich mit. Was aber heißt das konkret für unsere Seminare, Kurse und Vorträge?

Die Inhalte der gesamten gewerkschaftlichen Bildung haben unterschiedlich intensive Verknüpfungen zu Solidarität. Nehmen wir nur das Beispiel Arbeitsrecht. Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: „Arbeitsrecht ist geronnener Klassenkampf“. Urlaubsregelungen, Arbeitszeitbegrenzungen und Kündigungsschutz sind solidarisch durch die Gewerkschaften erkämpft worden. Kollektivvertragliche Verbesserungen sind wohl das Beispiel gewerkschaftlicher Solidarität. Ziel ist es (bzw. muss es sein), dass in allen unseren Veranstaltungen und Kursen inhaltlich wie konzeptionell solidarisches Denken und Handeln Platz hat. Die Frage „Wie stabil ist deren solidarisches Fundament gemauert?“ bedarf in ihrer Beantwortung letztlich auch eines hohen Maßes an Fähigkeit zur Selbstkritik und den Mut, bislang gewählte Pfade zu verlassen (Siehe auch den #geb-Beitrag zu „Gegenmacht in der Bildungsarbeit“).

Von der Haltung zur Gestaltung

Im Lauf der Zeit haben sich aus unseren Solidaritäts-Seminaren heraus einige Eckpunkte manifestiert, die bei der Planung und Gestaltung von Fortbildungen so etwas wie einen „Must have“-Charakter haben.

  1. Als Referent:innen belehren wir nicht von „oben herab“, sondern agieren auf einer Ebene mit den Teilnehmer:innen.
  2. Wir nehmen eine unterstützende Haltung ein und organisieren den Lernprozess. Konkret wird das, indem wir die Erfahrungen der Teilnehmer:innen zum Thema als „Schatzkiste“ in den Lernprozess einbauen.
  3. Um miteinander arbeiten zu können ist an Stelle einer Ansammlung von Individuen eine funktionierende Lerngruppe notwendig. Dafür geben wir Zeit und Raum zum Austausch in wechselnden Konstellationen.
  4. Wir binden Teilnehmer:innen in die Gestaltung ein (zum Beispiel durch ein Steuerungsblitzlicht oder die Vergabe von Wächter:innenfunktionen) und vermeiden sowohl Über- als noch mehr Unterforderung.
  5. Das gemeinsame Arbeiten an den Lerninhalten darf und soll auch Spaß machen. Das soll Erlebnislernen sein wie andere gewerkschaftliche Aktionen auch.

Spezielle Methoden für Solidarität?

Eine spezielle „Toolbox Solidarität“ gibt es nicht. Es kommt darauf an, wie wir Methoden einsetzen.

Im Solidaritätsseminar haben wir unsere Methoden-Toolbox durchforstet und geprüft, wie einzelne Methoden unter dem Vorzeichen der Solidarität eingesetzt werden können. Das sind oft Kleinigkeiten: Gemeinsam Kärtchen schreiben statt allein. Energizer, die auf Kooperation basieren statt auf Konkurrenz. Projektlernen, wie zum Beispiel als Team Kurzfilme zum Thema erstellen. Die Dokumentationen der vergangenen Solidaritätsseminare (siehe unten) sind eine Fundgrube für methodische Anregungen.

Und zum Schluss

Solidarität verfügt weder über einen abgezirkelten Beginn noch über ein getaktetes Ende. Vielmehr erfordert der Umgang damit stets aufs Neue viel Aufmerksamkeit und ein vitales und ständiges Wechseln von Positionen.

Gelingt uns ein Stück gelebter Solidarität in unserer gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, dann gibt es am Ende der Veranstaltung ein Ja auf folgende Fragen:

  1. Haben wir uns gemeinsam neues Wissen und Können erarbeitet (statt beigebracht bekommen)?
  2. Haben wir gemeinsam Kraft getankt und können wir ermutigt an unsere gewerkschaftliche Arbeit gehen?
  3. Haben wir haben neue Mitstreiter:innen kennen gelernt?
  4. Wurde ein solidarischer Umgang mit Widerständen und Meinungen außerhalb der gewerkschaftlichen Norm gepflegt?
  5. Wissen wir, wo unsere politische Heimat ist und wofür wir kämpfen?

Um das zusätzlich zu unseren inhaltlichen Lernzielen zu erreichen, müssen wir Leitfäden und Konzeptionen kritisch durchforsten und ändern. Solidarisches Lernen braucht intensive Vorbereitung.

Zum Weiterlesen

Autoren: Ulli Lipp und Helmut Ruß
Illustrationen: Julia Stern


Nach der Sommerpause:
Vom Deutschkurs zum IT-Tandem: Wie GEB die Vielfalt in der Lehre fördert

Für viele Trainer:innen ist es ein Albtraum: die einen Teilnehmer:innen sind völlig überfordert, die anderen gähnen, tratschen oder tippseln gelangweilt am Handy. Lerngruppen in der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung sind äußerst heterogen. Es bedarf viel Energie und Kreativität, um Lernprozesse für alle gut zu gestalten. Geht das überhaupt? Ja! Wir haben Tipps und Beispiele, wie Arbeiten mit heterogenen Gruppen gelingt.

Neugierig geworden? Dann haltet die Spannung bitte bis nach unserer Sommerpause im Herbst, wenn es wieder heißt: Gewerkschaftliche Erwachsenenbildung, what’s that?


Lust auf mehr? Zu allen Folgen der Serie #geb – Gewerkschaftliche Erwachsenenbildung kommst du HIER!

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