#dimi_09: Diversity

Wie auf Verschiedenheit in Lerngruppen eingegangen werden kann

Photo by Brittani Burns on Unsplash

Dass unsere Gesellschaft und die Menschen, die dieser angehören, vielfältig, also divers sind, ist mittlerweile in der breiten medialen und politischen Diskussion angekommen.

Häufig wird dies aber vorwiegend in einer problematisierenden Weise diskutiert. Wie diese Diversität genauer aussieht, wie sie sich im Seminaralltag zeigt und wie sie im Umfeld der (gewerkschaftlichen) Erwachsenenbildung gelebt und positiv genutzt werden kann, damit befassen wir uns im heutigen Blogbeitrag.

Stell‘ dir mal eine deiner „typischen“ Seminargruppen vor! Wer sind diese Lernenden? Welche Hintergründe bringen sie – bezogen auf ihre Herkunft, Bildungsgeschichte, ihr Geschlecht und Identität und ihren Erfahrungshintergrund im Allgemeinen mit? Da sind Franz, Özgül, Henriette und Maurizio. Doch welche Personen stehen hinter diesen Namen und was bringen sie an Geschichten und Erfahrungen mit? Wie nehmen sie sich selbst wahr und was zeigen sie von ihrer Identität? Was passiert, wenn sie gemeinsam ein Seminar besuchen? Was kann ich als Trainer*in beitragen, damit alle Lernenden am Lernprozess teilhaben können?

Die Diversität einer Seminargruppe wird möglicherweise nicht sofort sichtbar und allein die Namen verraten noch gar nichts über die Personen selbst. Möglicherweise führt der Versuch, dir Personen aufgrund ihrer Namen vorzustellen, zu Zuschreibungen, die beim besseren Kennenlernen der Gruppe als solche entlarvt werden. Die Verschiedenheit der Personen kann sich auf eine Vielzahl von Aspekten beziehen. Manche dieser Faktoren, wie zum Beispiel das Alter oder Geschlecht einer Person, sind sichtbar – und deshalb auch einfacher wahrnehmbar. Dies bedeutet aber noch lange nicht, dass diese auch leichter angesprochen werden können oder das Ansprechen zu einer sicheren Lernumgebung beiträgt.

Oft geht es darum, sich als Trainer*in der Dimensionen von Diversität bezogen auf Alter, Genderrollen, körperliche Möglichkeiten etc. bewusst zu sein und diese in der Planung eines Seminar mitzudenken (z.B. bei der Auswahl von Methoden oder dem Erstellen von Arbeitsunterlagen). Im Seminarraum selbst kommt dann eine sehr herausfordernde Aufgabe auf uns zu, nämlich das Schaffen eines inklusiven und sicheren Lernraums für alle Lernenden.

Wie erkenne ich die Vielfalt meiner Lerngruppe?

Um sich ein besseres Bild über die einzelnen Aspekte der Vielfalt machen zu können, eignet sich das „Diversitätsrad“. Dieses Modell, das von Gardenswartz und Rowe (2002) entwickelt und seither aktualisiert und weiterentwickelt wurde, hat das Ziel, die unterschiedlichen Dimensionen von Diversität auszuleuchten.
Die inneren Dimensionen des Diversitätsrades, auch Kerndimensionen genannt, betreffen alle Dimensionen, die im Rahmen von Antidiskriminierungsgesetz und Gleichstellungsgesetz beschrieben werden. Die gewerkschaftliche Bildungsarbeit sieht sich dem Vorantreiben dieser Prinzipien verpflichtet und bietet dazu zahlreiche Seminare sowie Tools und Handreichungen an. Ein dazu passendes REFAK Seminar, Seminar für alle – Bildung braucht Beteiligung“, wird übrigens 2022 wieder angeboten.

Wozu nützt uns das Erkennen der Vielfalt?

Video zum Experiment- ein Projekt zum Umgang mit Vielfalt

Grundsätzlich suchen wir in der Begegnung mit neuen Menschen immer nach Orientierung. Unbekannte Personen werden auf Ähnlichkeiten und Unterschiede gescannt. Das Erkennen von Ähnlichkeit erzeugt, ganz generell gesagt, ein erstes Gefühl von Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit. Das Wahrnehmen von Unterschieden weckt im positiven Sinne Interesse und Neugierde, im negativen Skepsis und Vorsicht sowie möglicherweise Barrieren.

Das Abwiegen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden erleben wir auch im Seminarraum. Als Trainer*in kann ich bereits zu Beginn eines Seminars eine inklusive Lernatmosphäre unterstützen, indem ich versteckte Gemeinsamkeiten sichtbar mache, z.B. in Form einer gezielt gewählten Vorstellungsmethode wie. Zudem loten die Lernenden aus, wie sicher sie sich in der neuen Gruppe fühlen und wieviel von ihrer gesamten Identität sie einbringen oder welche Aspekte sie verbergen. In meiner Funktion als Trainer*in gestalte ich diesen Rahmen maßgebend mit. Das Festlegen von Gruppenregeln kann eine Möglichkeit sein, um das gemeinsame Hochhalten eines respektvollen Umgangs als Norm festzulegen. Wie diese Regeln eingehalten werden bzw. ob ich Übertretungen anspreche und sichtbar mache, hängt erstens von meinem eigenen Bewusstsein für diskriminierende Verhaltensweisen, die der Wertschätzung von Vielfalt entgegenlaufen, ab. Zweitens baut der Zugang auch darauf auf, ob ich als Trainer*in über die Fähigkeiten verfüge, Übertretungen anzusprechen bzw. entstehende Spannungen und Konflikte konstruktiv anzugehen und für das gemeinsame Lernen fruchtbar zu machen. Seminare, wie „Wer moderiert, wer räumt auf!“ , bieten die Möglichkeit diese Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

Wie schaffe ich eine Lernatmosphäre, die inklusiv ist und Vielfalt fördert?

Welche Situationen fallen dir ein, wenn du an Diversität im Seminaralltag denkst? Situationen, die mir dabei in den Sinn kommen sind z.B. ein scheinbar humorvoll gemeinter Kommentar, der dazu führt, dass sich ein/e Lernende in Bezug auf die eigene Person oder die Gruppe, der sie/er sich zugehörig fühlt, gekränkt wird und sich in der Folge innerlich vom Seminar abmeldet. Kann ich solche Dynamiken wahrnehmen und adäquat darauf regieren, schaffe ich die Möglichkeit, gesellschaftliche Dimensionen von Ausgrenzung in den Seminarraum zu holen und als Lernsituation zu nutzen. In diesem Sinne bietet jede Bildungsveranstaltung, auch wenn sie sich nicht direkt um das Thema Diversität dreht, die Möglichkeit, gesellschaftliche Ungerechtigkeiten bewusst und auch für die Arbeit als z.B. Betriebsrat nutzbar zu machen.

Ich kann methodische Überlegungen treffen, die eine gleichberechtigte Beteiligung aller Teilnehmer*innen unterstützen. Das klingt vielleicht banal, aber wenn wir ehrlich sind: Wie schnell passiert es, dass eine Person bereits in der Vorstellrunde und möglicherweise während des gesamten Seminars viel mehr Raum als andere einnimmt und andere Personen oder Minderheitenmeinungen außen vor blieben. Oder dass Personen, die nicht in ihrer eigenen Muttersprache sprechen, Lern- und Übungsmöglichkeiten entzogen werden, weil ein Arbeitsauftrag zu komplex gestaltet ist. Wie schnell entsteht eine Dynamik, die auf die Weiterentwicklung jener Personen abzielt, die ohnehin bereits viele Fähigkeiten genießen und dadurch weitere Privilegien erwerben. Wir sprechen hier vom berühmten Matthäus Effekt, der auch in Lerngruppen oder in Kleingruppenarbeit sehr schnell wirksam werden kann.

Wie können wir den inklusiven Anspruch mit Leben füllen?

Nun stellst du dir womöglich folgende Frage: Was kann ich als Trainer*in tun, um Anerkennung von Diversität nicht nur als leeres Motto stehen zu lassen, sondern dieses in meine Seminarpraxis zu integrieren? Im Handbuch: „Diversity Dynamics: Activating the Potential of Diversity in Training” werden folgende Prinzipien beschrieben, die eine diversitätsbewusste Haltung in der Bildungsarbeit kennzeichnen und auch geeignet sind, um konkrete Handlungsweisen für Trainer*innen abzuleiten.

  • Empathische Haltung
  • Unterschiedliche Perspektiven zulassen
  • Raum für Kommunikation unterschiedlicher Meinungen
  • Bewertungen vermeiden
  • Emotionen anerkennen
  • Stigmatisierung im Training vermeiden
  • Unterschiede nicht problematisieren
  • Keine Annahmen und Vermutungen über Personengruppen anstellen
  • Fragen stellen
  • Perspektiven von Minderheiten stärken
  • Auf Sprechanteile achten
  • Entscheidungsprozesse strukturieren
  • Meta-Reflexion fördern
  • Ansatz des Verbündet-Seins

Und wie lebst du diese Prinzipien?

Im Seminar „Heterogene Bildungshintergründe“ beschäftigen wir uns eingehend mit der Frage, wie mit Unterschieden – hier besonders bezogen auf die Bildungshintergründe – gearbeitet werden kann und versuchen, diese am Beispiel von fiktiven Figuren erlebbar zu machen. Die daraus entstandenen didaktischen Prinzipien können in der Seminardokumentation oder in diesem Praxisbericht nachgelesen werden.

Zum Weiterlesen

  • Padlet mit einer Sammlung zu Diversität und Vielfalt in der Erwachsenenbildung
  • Abdul-Hussain, Surur; Hofmann, Roswitha (2013): Begriffserklärung Diversität. Hier zum Nachlesen.
  • Website Charta der Vielfalt – für Diversity in der Arbeitswelt. Hier zum Nachlesen.
  • Neues VÖGB/AK-Skriptum: Miko-Schefzig, Nadja; Dumepelnik, Rotija: Umgang mit Vielfalt und Diskriminierung in der Arbeitswelt. Verlag des ÖGB. HIER online verfügbar.
  • Bendl, Regine; Hanappi-Egger, Edeltraud; Hofmann, Roswitha (2012): Diversität und Diversitätsmanagement. 1. Aufl. Stuttgart, Wien: UTB GmbH; Facultas (UTB Wirtschaftswissenschaften, Sozialwissenschaften, 3519.
  • Czollek, Leah Carola; Perko, Gudrun; Czollek, Max; Kaszner, Corinne (2019): Praxishandbuch Social Justice und Diversity. Theorien, Training, Methoden, Übungen. Mit E-Book inside. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Weinheim: Juventa Verlag ein Imprint der Julius Beltz (Pädagogisches Training).
  • Fahrun, Heike; Skowron, Eliza; Zimmermann, Nils-Eyk (Hg.) (2014): Diversity Dynamics: Activating the Potential of Diversity in Trainings. A Handbook for Facilitators in Active Citizenship Education. HIER online verfügbar.
  • Hansen, Klaus P. (2009): Kultur, Kollektiv, Nation. 1. Aufl. Passau: Stutz (Schriften der Forschungsstelle Grundlagen Kulturwissenschaft, Bd. 1).
  • Rathje, Stefanie (2014): Multikollektivität. Schlüsselbegriff der modernen Kulturwissenschaften. In: Stephan Wolting, Stefanie Rathje und Stefan Strohschneider: Kultur und Kollektiv. Festschrift für Klaus P. Hansen. 1., Aufl., neue Ausg. Hg. v. Stephan Wolting. Berlin: wvb Wissenschaftlicher Verlag Berlin, S. 39–59. HIER online verfügbar.
  • Steixner, Margret (2007): Lernraum Interkultur. Von interkultureller Erfahrung zu interkultureller Kompetenz. Wien: Südwind (Forum). HIER online verfügbar.
  • Steixner Margret (2011): Leitfaden für Euro-Betriebsräte (GPA): Interkulturelle Kompetenz für Euro-Betriebsräte. Interkulturelle Herausforderungen und Lösungsstrategien. HIER online verfügbar.
  • Uehlinger, Christa (2013): Miteinander verschieden sein. Interkulturelle Kompetenz als Schlüssel zur global vernetzten Welt. Zürich: Versus (Versus kompakt).

Genannte (und auch andere) Bücher können HIER im Webshop des ÖGB-Verlags versandkostenfrei bestellt werden.

Autorin: Margret Steixner

Lust auf mehr? Zu allen Beiträgen der Serie kommst du HIER!

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