#thedi: Gegenmacht „bilden“ – Teil 4

Saul Alinsky – Taktiken zum Mächtigsein

Saul Alinsky (CC: Philip Taucher)

Entweder werden wir einen Weg finden oder uns einen bauen.“

Taktik bedeutet, das zu tun, was man kann, mit dem was man hat. (…) In der Welt des Gebens und Nehmens ist die Taktik die Kunst des richtigen Gebens und Nehmens. Wir wollen uns hier mit der Taktik des Nehmens beschäftigen, nämlich wie die Habenichtse den Besitzenden Macht nehmen.

(Beide Zitate Saul Alinsky, Anleitung zum Mächtigsein)

„Yes we can“ Gegenmacht organisieren.

Ein genialer Kopf in Sachen „Gegenmacht“-Aufbau war der Amerikaner Saul Alinsky (1909 bis 1972). Er ist Ahnvater des Community-Organizings und war auch als gewerkschaftlicher Organizer bei der C.I.O. (Congress of Industrial Organizations) aktiv.

Die Keimzelle seines Wirkens: das alte Chicagoer Schlachthofviertel „Back to the Yards“, das in sozialer Hinsicht traurige Berühmtheit hat. In diesem Elendsviertel gelang es ihm in den 1940er-Jahren aus bisher verfeindeten ethnischen Gruppen, eine schlagkräftige Bürgerorganisation aufzubauen, in dem sie sich auf Basis ihrer gemeinsamen existenziellen Interessen organisierten. Spannend ist, dass viele der erfolgreichen Wahlkampfstrategien von Barack Obama auf Ideen von Saul Alinsky aufbauen.

Saul Alinsky und die von ihm unterstützen Nachbarschaftsorganisationen konnten dort Gegenmacht aufbauen, wo es keinen institutionell organisierten Interessenausgleich gab. Es lohnt sich also, auf seine Erfahrungen zu schauen, wenn wir uns damit auseinandersetzen, wie Interessen durchgesetzt werden können, wenn institutionellen Kanäle zunehmend versanden und somit auf die Bildung von Gegenmacht aufgebaut werden muss. Dies wird in diesem #thedi genauer beleuchtet.

Taktik-Highlights aus der Werkzeugkiste von Alinsky

Alinsky hat uns in seinen Schriften auch ein richtiges Regelwerk an Machttaktiken hinterlassen. Manche davon können unsere Planungen und Designs für Workshops und Klausuren, wo es um Gegenmacht-Bildung geht, ganz praktisch inspirieren:

1. Macht ist nicht nur das, was du besitzt, sondern das, von dem der Gegner meint, dass du es hast.

In der Bildungsarbeit können wir diese Taktik zum Beispiel nutzen, um an konkreten Fällen aus der Praxis IST-Analysen anzuleiten:

  • Worin vermutet unser Konfliktgegenüber unsere realen Machtressourcen? Wie können wir genau diese Stärken im Konflikt hervorkehren?
  • Welche realen Machtquellen hat unser Gegner wirklich? Wenn wir Gegenmacht aufbauen möchten, müssen wir genau hinsehen und so manche „Schein“-Macht des Gegenübers wird entzaubert. Denn „die Macht des Establishments liegt nicht in ihm selbst, sondern in deiner Vorstellung seiner Macht“, sagt Alinsky.

Um Zusammenhänge in Bildungssettings sichtbar zu machen, bietet sich zum Beispiel folgende Form der kollegialen Beratung an.

2. Die Drohung hat in der Regel mehr abschreckende Wirkung als die Sache selbst.

Verdeutlicht an einer Aktionsidee, die Alinsky im Playboy-Interview (1972) schildert und die diese Regel bestätigte: Ein Kaufhaus stellte diskriminierend keine „Farbigen“ ein. Alinsky plante mit einer Bürgerplattform Gegenmaßnahmen. Man ließ durchsickern, dass massenweise „Farbige“ im schönsten Sonntagsgewand mit Bussen zum Einkauf in dieses riesige Kaufhaus gebracht werden. Plangemäß würden sie natürlich nichts kaufen, aber für Staus in den Abteilungen, für Verwirrung sorgen und „weiße“ Kund*innen völlig verstören. Nachdem die Anzahlung für die Busse überwiesen war, gab die Geschäftsleitung des Kaufhauses allen Forderungen nach.

Übrigens gab es eine ähnliche Aktion der „Allianz für den freien Sonntag“ im Spar-Supermarkt am Bahnhof Linz, nachdem dieser im neuen Bahnhofsgebäude auch sonntags aufsperrte. Hunderte Gewerkschafter*innen drängten sich zwischen den Regalen, ohne zu kaufen. Alle Einkaufswägen waren besetzt. Spar knickte damals letztlich ein. Die Häme und die „Gaudi“ der Teilnehmenden steht bei beiden Aktionen Pate.

Impressionen der Aktion gegen die Sonntagsöffnung am Linzer Bahnhof

Ein Aktions-Auswahlkriterium muss für die Akteur*innen immer sein: „Ich habe Lust drauf!“ Dazu passt eine weitere Taktik-Regel Alinskys:

3. Spott ist manchmal eine starke Waffe & eine gute Taktik macht deinen Leuten Spaß.

Aktionen sollten sich Alinsky zufolge außerdem an vier Prinzipien orientieren: Einfallsreichtum, Legalität, Aufsehen und Effektivität.

4. Verlasse niemals den Erfahrungsbereich der eigenen Leute.

Im Fokus des Handelns standen für Alinsky immer die ganz konkreten Menschen mit ihren Problemen, ihrer Erfahrungswelt, ihrer Würde als Individuen, die unbedingten Respekt verdient.  „Egal, wie einfallsreich deine Taktik ist, wie raffiniert deine Strategie, du bist verdammt, bevor du überhaupt anfängst, wenn du nicht das Vertrauen und den Respekt der Menschen gewinnst; und das passiert nur, wenn du ihnen vertraust und sie respektierst.“

Bei beteiligungsorientierten Taktiken müssen wir die Menschen als Expert*innen ihrer Problemwelten und der darin schlummernden Lösungswege und -methoden ernst nehmen. Wo immer diese Beteiligung gelingt, tragen die Kolleg*innen Aktionen in Arbeitskämpfen mit Herz und Kreativität mit, wie etwa Beispiele aus dem Bereich der Sozial- und Pflegeberufe zeigen. Umgekehrt rät Alinsky:

5. Wo immer es möglich ist, verlasse den Erfahrungsbereich des Gegners.

In Machtauseinandersetzungen müssen unsere Aktionen überraschen, Situationen schaffen, die nicht erwartet werden und die den Gegner aus der Routine bringen. In dieser Taktik steckt viel Raum für Kreativität. Bildung kann Räume öffnen, die diese Kreativität ermöglichen. Worauf wir hier in der Bildungsarbeit setzen können, ist die Erkenntnis, dass unsere Teilnehmer*innen ihre Gegner meist viel besser kennen als sie denken. Warum also nicht einmal ein Rollenspiel einsetzen, um dieses Wissen sichtbar zu machen? Wie das gehen kann, wird euch hier genauer erklärt.

Und „einfach zum Nachdenken“ noch ein paar weitere Taktiken nach Saul Alinsky:

6. Zwinge den Gegner dazu, nach seinen eigenen Gesetzen zu leben.

Finde sein „Leitbild“ und was ihm an „Image“ am wertvollsten ist. Wo sind die Widersprüche? Und wenn’s hart auf hart geht, sagt Alinsky: „Personalisiere den Gegner“. Es soll kein Zweifel daran bestehen, wer für den Zustand verantwortlich ist und dafür, dass sich nichts im Sinne der Betroffenen ändert.

7. Der Druck darf niemals nachlassen bis Zugeständnisse auch tatsächlich in die Realität umgesetzt worden sind.

Wenn es um etwas geht, brauchen wir einen gut durchdachten und realistischen Eskalationsplan und es muss ein glaubwürdiger „plan to win“ sein, der immer noch Reserven hat, den Druck weiter zu erhöhen.

8. Wähle eine „Zielscheibe“ – Personalisiere das Unrecht.

Wie auch Bert Brecht gesagt haben soll: „Das Unrecht hat Namen und Adresse.“ Die Frage ist immer, wer ungerechte Zustände herbeiführt und aufrecht hält. Wir sollten also auch bei IST-Analysen in Konfliktsituationen bearbeiten, welche Organisationen oder konkreten Personen hier besondere Verantwortung tragen und wie wir diese entsprechend adressieren können.

9. Der Preis für einen erfolgreichen Angriff muss eine konstruktive Alternative sein.

Ein lohnendes Ziel ist nicht primär, etwas zu verhindern, sondern ganz konkrete, realistische Perspektiven zu zeichnen, wie die Lebenssituation der Betroffenen am Ende besser sein wird (Widerständigkeit braucht Hoffnung auf Veränderung, wie hier beschrieben).

10., 11., 12. … lies nach bei Alinsky. Viel Spaß!

Zum Anschauen

Zum Weiterlesen

  • Saul D. Alinsky, Anleitung zum Mächtigsein. Ausgewählte Schriften, Göttingen 21999 (alle Zitate in diesem Beitrag sind diesem Buch entnommen).
  • Saul Alinsky und die Industrial Areas Foundation, Vollständige deutsche Übersetzung eines Interviews mit der Zeitschrift Playboy, ab 3/1972, wiederveröffentlicht in der Internetzeitschrift „The Progress Report“ ab 5/2002; übersetzt ins Deutsche Frank Theves, 7/2010

Genannte (und auch andere) Bücher können HIER im Webshop des ÖGB-Verlags versandkostenfrei bestellt werden.

Autor: Gerhard Gstöttner-Hofer

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