Seminarinhalte abspecken und ansprechend vermitteln
02.-04.10.2023
Trainerinnen: Anja Centeno Garcia, Lisa Mayr-Sinnreich
Viel Stoff, aber zu wenig Zeit? Bei den TeilnehmerInnen bleibt wenig hängen? Zu viel Stoff verstopft den Durchblick und schmälert den Lernerfolg. Dieses Seminar schafft definitiv Abhilfe.
Das Programm im Überblick
- „Mein Inhalt und ich“ – Vorstellrunde mit Storycubes
- In eigenen Inhalten schwelgen („3 Brillen“, Fachlandkarte, Elevator Pitch)
- Die Zielgruppe im Blick (Persona erstellen)
- Interaktive Inputs zu Wahrnehmungs- und Lernpsychologie
- Inhalte strukturieren, reduzieren und vermitteln (Kaffee-ABC, Leiter des Erzählens, Siebe der Reduktion)
- Arbeit an eigenen Materialien und kollegiale Fallberatung für geplante Projekte
- Feedback in Kleingruppen
Inhalte beurteilen und auswählen
Nach einer Vorstellrunde unter dem Schlagwort „Mein Inhalt und ich“ und einer ersten Reflexionsrunde über die eigenen Inhalte stellt Anja das von ihr erarbeitete Modell der „3 Brillen“ vor:
Inhalt betrachten durch drei Brillen
Wir lernen unter zwei Bedingungen besonders gut: Etwas macht uns Spaß (bereitet uns Freude) und/oder wir erkennen darin einen Sinn, am besten beides. Das gilt auch für die Motivation durch Inhalte. In der Lehre heißt das, den Sinn sichtbar bzw. nachvollziehbar zu machen.
Der Blick auf die Inhalte erfordert drei „Brillen:
1. Fachliche Struktur und Bedeutung der Inhalte
2. Didaktische Relevanz (Bedeutung der Inhalte für das Lernen und/oder die berufliche Praxis)
3. Pragmatische Aspekte (Ziele, Zeit, Zielgruppe)
Inhalte auf den Punkt gebracht
Der Elevator Pitch hilft uns dabei, das eigene Lehrangebot ansprechend und zielgruppengerecht auf den Punkt zu bringen. Wir stellen uns dabei vor, wir haben nur eine Liftfahrt lang Zeit, um jemandem anderen möglichst interessant und verständlich unseren Inhalt zu „verkaufen“ (zu „pitchen“). Es helfen uns dabei die klassischen W-Fragen (wer, was, wann, wo, warum und wie).
Was euch bei der Präsentation gefallen hat:
- erzeugt Bilder im Kopf
- vermittelt Persönliches
- setzt Ziel vor Augen
- verlangt Körpersprache/Blickkontakt
- verspricht Exklusivität
- braucht logische Struktur (z.B. Konflikt-Lösung-Nutzen)
- spricht die Sinne an
- wirkt „authentisch“/echt
- ist nah an der Realität
- birgt Überraschungen
- enthält Versprechen („Ihr lern…“, „Ihr könnt danach…“
Die Werbebotschaft
Eine dem Elevator Pitch ähnliche Übung ist das Formulieren einer „Werbebotschaft“ für unsere Inhalte. Dabei geht es darum, die Kernaussage oder zentrale Botschaft, die wir vermitteln wollen, in einem knackigen und eingängigen „Claim“ zu verpacken. Natürlich fällt dabei vieles Inhaltliche weg, aber die Übung zwingt uns, unsere vielschichtigen Inhalten auf das hin abzuklopfen, was im Kern stehen bleiben soll. Von dieser Kernbotschaft aus gedacht lassen sich dann die Inhalte arrangieren, wobei die Kernbotschaft bleibt, indem immer wieder ein Bezug zu ihr hergestellt wird (vgl. „Leiter des Erzählens“ unten).
Fazit: Beim Vermitteln ist es wichtig, klar zu kommunizieren. Präsentationen mit gutem Blickkontakt, bildhafter Sprache, konkreten Beispielen, Fragen und einer logischen Struktur bleiben besonders gut in Erinnerung.
Inhalte strukturieren – mithilfe der „Leiter des Erzählens“
Die Leiter des Erzählens hilft uns, abstrakte, schwer erfassbare Informationen zu vermitteln. Der Trick dabei: Wir steigen möglichst konkret in ein Thema ein – die „unterste Sprosse“ der Leiter des Erzählens dient dazu, den Alltagsverstand anzusprechen, was am besten mit starken und konkreten Sprachbildern funktioniert. So lässt sich das Thema „Arbeitsplatzsicherheit“ beispielsweise mit dem Begriff „Schutzhelm“ oder einer Anekdote von einer Baustelle konkretisieren bzw. illustrieren. Mit diesem Bild landen die Lernenden auf der ersten Sprosse der Abstraktionsleiter. Von dort aus gilt es die Leiter zu den abstrakteren Informationen und Metathemen hinaufzuklettern.
Wichtig bei dieser Methode: Konkret zu sein alleine reicht nicht! Man muss auf der Leiter auf und ab steigen, also immer wieder zwischen konkreten Bildern und abstrakteren Informationen wechseln. Anders gesagt: Im Meer der Abstraktion ausreichend Inseln der Verständlichkeit schaffen. So gelingt die nachhaltige Verankerung von Inhalten!
Eure Fachlandkarten
Die TeilnehmerInnen beleuchten ihre Inhalte durch die verschiedenen Brillen und visualisieren sie anschließend in Form einer Fachlandkarte. Wo sind Gipfel und Täler der Inhalte? Was liegt nah am Thema, was weit weg? Wie stehen die Inhalte zueinander? Hier geht es weder um Kreativität, noch um zeichnerisches Können. Sondern darum, ein Gefühl für die eigenen Inhalte zu entwickeln.
Die Methode „Fachlandkarte“ kann man u.a. bei Martin Lehner oder hier nachlesen.
Die Zielgruppe im Blick
Wie heißt es so schön? „Wer an alle denkt, denkt an niemanden!“ Wer ein Seminar, einen Vortrag oder eine Veranstaltung plant, skizziert am besten eine fiktive Teilnehmerin/einen fiktiven Teilnehmer. Je konkreter wir diese „Persona“ vor Augen haben, umso leichter fällt es uns, auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Diese Punkte helfen dabei:
- Warum besucht er/sie das Seminar?
- Was wünscht er/sie sich?
- Wie möchte er/sie Wissen vermittelt bekommen?
- Was wird er/sie im Alltag umsetzen?
- Was weiß er/sie nach einem Jahr noch?
Weitere Tools zum Erschließen der Zielgruppe
Inhalte strukturieren, reduzieren, vermitteln
Stellt euch vor, ihr habt nur die Hälfte der vorgesehenen Zeit, um euren „Stoff“ zu vermitteln. Welche Inhalte wählt ihr aus? Wie vermittelt ihr sie? Was tut ihr, wenn ihr nur ein Viertel der Zeit oder weniger zur Vermittlung habt?
Achtung: Je kürzer die verfügbare Zeit, umso größer die Gefahr, in Vortragsdidaktik zu verfallen. PowerPoint an und drauflos reden. Besser nicht. Auch bei wenig Zeit gilt: Inhalte exemplarisch wählen und so vermitteln, dass die Lernenden auch lernen können. Weniger ist mehr!
Wenn wir Inhalte auswählen, strukturieren und reduzieren wollen, ist das kein rein sachliches Spiel mit unterschiedlich großen Blöcken. Damit wir sinnvoll entscheiden können, lohnt sich ein Blick auf wahrnehmungs- und lernpsychologische Aspekte. Das haben wir im Seminar mit Hilfe eines kurzen PowerPoint-Vortrages getan. Wer sich für Fragen des Erinnerns und Vergessens interessiert, findet hier Informationen.
Inhalte strukturieren – mit der „Kaffeehaus-Übung“
Stell dir vor, du hast 5 Minuten Zeit, um 18 Wiener Kaffeespezialitäten ansprechend zu vermitteln? Wie gehst du vor? Welche Inhalte wählst du aus? Was ändert sich, wenn du die Kaffeespezialitäten einer Milchallergikerin, einem Italiener oder einem Kind vermitteln willst?
Es geht nun also darum, Inhalte zu strukturieren, zu reduzieren und anschaulich aufzubereiten. In Kleingruppen haben sich die TeilnehmerInnen an die Arbeit gemacht und Anja und Irene mit genialen Einfällen überrascht.
Inhalte zugänglich machen
Gerade abstrakte oder komplexe Inhalte sind oft schwer zugänglich. Lassen wir TeilnehmerInnen daher nicht zu lange im Meer der Abstraktion schwimmen. Schaffen wir „Inseln der Verständlichkeit“ – durch konkrete Beispiele, Erfahrungen aus dem Alltag, Anekdoten, Transferübungen, etc. Je komplexer die Materie, umso mehr Inseln braucht es zum Erholen und Verstehen.
„Intelligenz ist die Kunst, das Komplizierte auf das Einfache zu reduzieren, nicht umgekehrt.“ (André Comte-Sponville)
Ein paar Faustregeln für nachhaltiges Lernen
Die Konzentrationsspanne bzw. Aufmerksamkeitsspanne beschreibt jene Menge an Information, die in einer Situation bei kurzzeitiger Darbietung (experimentell meist mit einem Tachistoskop dargeboten) entnommen werden kann, also in den sensorischen Kurzzeitspeicher aufgenommen wird.
Die altersspezifischen Konzentrationsspannen bzw. Aufmerksamkeitsspannen schwanken vor allem bei Kindern und Jugendlichen je nach Entwicklung, Interessen und Persönlichkeit. Vor allem in der Pubertät leidet die Konzentrationsfähigkeit zusätzlich. Da die Konzentrationsfähigkeit ein Reifungsprozess ist, müssen Kinder erst lernen, sich auf eine Sache zu konzentrieren, was häufig schon dadurch erreicht wird, dass die Motorik reduziert und vornehmlich die visuelle oder auditive Wahrnehmung beansprucht wird. Oft entsteht in der Erziehung ein Konfliktpotential aus der Tatsache, dass Eltern und Lehrer*innen von ihrer eigenen Konzentrationskompetenz ausgehen.
Das Mäntylä-Experiment
Ein Merk- und Assoziationsexperiment, bei dem es darum geht, zu jedem von 10 Schlüsselwörtern bis zu drei eigene Assoziationen zu notieren. Nach einiger Zeit wird versucht, möglichst viele der Schlüsselwörter auf Basis der Assoziationen wieder zu erinnern.
Methodisches
Jetzt heißt es: Loslassen!
Angenommen, für den Vortrag oder das Seminar steht nur die Hälfte der Zeit zur Verfügung. Oder noch weniger. Welche Inhalte bleiben übrig? Mit den „Sieben der Reduktion“ (nach Martin Lehner) nehmen die TeilnehmerInnen ihre Inhalte nochmal genau unter die Lupe.
Bei wenig Zeit gilt: Inhalte exemplarisch wählen und so vermitteln, dass die Lernenden auch lernen können. Weniger ist mehr!
Viel Zeit haben nun die TeilnehmerInnen, um ihre Inhalte auszusieben und an eigenen Materialien zu arbeiten: Ein Seminar auf neue Beine stellen, PowerPoint-Folien ausmisten, einen Vortrag mit lebendigen Inhalten entwickeln. Mit kollegialer Fallberatung, einer „Ordination“ durch Anja und Irene und anschließendem Feedback in Kleingruppen.
Lesetipps zum Vertiefen
- Lehner, Martin (2012): Didaktische Reduktion. Bern: Haupt.
- Lehner, Martin (2011): Viel Stoff – wenig Zeit: Wege aus der Vollständigkeitsfalle. 3. Aufl. Bern: Haupt.
- Ritter-Mamczek (2011): Stoff reduzieren. Methoden für die Lehrpraxis. Opladen: Barbara Budrich.
- #dimi_07: Didaktische Reduktion
- Beck, Henning (): Das neue Lernen heißt verstehen.
- Roth, Gerhard (2015): Bildung braucht Persönlichkeit. überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta
- Rowe, MB. (1986). Slowing down may be a way of speeding up!, Journal of teacher education, 37(43)
- Lern- und Gehirngerecht Lehren – wie geht das?
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