#mm: Mehr Drama!

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Einsatz von Psychodrama in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit – Teil 2

„Jede Person ist eine ganze Stadt voller Menschen. In uns wohnen tausend verschiedene Versionen unserer selbst, und sie können nicht alle gleich wichtig sein. Wir entscheiden, welche uns bestimmen.“ (Robert Iche, engl. Regisseur)

Nachdem wir im ersten Teil dieser Serie einen ersten Einblick in die psychodramatische Rollentheorie gemacht haben, widmen wir uns im folgenden Beitrag den Konflikten, die aus den unterschiedlichen Bedürfnissen, Interessen und Erwartungen in der Begegnung der verschiedenen Rollen entstehen.

Innere und äußere Rollenerwartungen

Wir selbst, unser jeweiliges Gegenüber, unser erweitertes Umfeld, aber auch „die Gesellschaft“ haben Erwartungen an unsere Rollen. Rollenhandeln kann nie losgelöst von diesen unterschiedlichen und teils sehr widersprüchlichen Erwartungen und Zuschreibungen gesehen werden. Rollenerwartungen können bewusst, unbewusst, gefühlt oder klar ausgesprochen sein. Neben diesen Rollenerwartungen haben auch unser aktuelles körperliches sowie seelisches Empfinden, und sogar der Ort der Handlung eine Auswirkung auf unser konkretes Tun.

Erwartungen an die Rolle als Betriebsrät:in können sich ergeben durch:

  • eigene Werte, z.B.: „Kampf und Einsatz für eine gerechte Welt“
  • eigene Interessen, z.B.: „Es braucht einen Zuschlag für …“
  • eigene Bedürfnisse, z.B.: „Ich möchte gestalten und mitentscheiden“

Da Rollen immer eine soziale Einbettung haben, gibt es auch Erwartungen an die Rolle als Betriebsrät:in vom sozialen Gegenüber, wie etwa Werte, Interessen und Bedürfnisse:

  • unserer Kolleg:innen in der Körperschaft
  • unserer Kolleg:innen im Betrieb
  • der Geschäftsführung
  • der Gewerkschaft

Auf der Ebene der Gesellschaft können nachstehende Fragen Auswirkungen auf unsere Rolle in der Arbeitnehmer:innenvertretung haben:

  • Wie ist das Image/das Bild von Betriebsrat und Gewerkschaft in der Gesellschaft?
  • Welchen Stellenwert nehmen Betriebsrat und Gewerkschaft in der gesellschaftspolitischen Realität ein?
  • Welche wirtschaftlichen/gesellschaftlichen/politischen Strömungen sind vorherrschend?

Darüber hinaus hat unsere aktuelle körperliche und psychische Befindlichkeit eine Auswirkung auf unser Rollenhandeln:

  • Bin ich ausgeschlafen?
  • Fühle ich mich krank oder gesund?
  • Belasten mich private oder familiäre Themen?

Auch der Ort, die Szene unseres Handelns hat Einfluss auf unser Tun. So kann es etwa einen Unterschied machen, ob eine Verhandlung mit der Geschäftsführung in den Räumlichkeiten der Geschäftsführung, des Betriebsrats oder auf neutralem Boden stattfindet. Bei der Frage nach dem Ort kann auch immer die konkrete Ausgestaltung mitgedacht werden (z.B.: Sitzordnung,..).

All dies hat auf unterschiedlichen Ebenen unterschiedlich starke Auswirkungen auf unser Rollenhandeln. Aufgrund der teilweisen Widersprüchlichkeit und Ambivalenz der Erwartungen ergeben sich eine Vielzahl von Rollenkonflikten, welche unser Handeln beeinflussen und beschränken können.

Beispiele für Rollenkonflikte

  • Als (nicht freigestellte:r) Betriebsrät:in kommt es immer wieder vor, dass ich auch in meiner Arbeitszeit betriebsrätliche Aufgaben zu erledigen habe. Dies führt zu einem Konflikt in meiner Rolle als Arbeitnehmer:in (ich kann meine Aufgaben nicht ausreichend erfüllen) oder Kolleg:in (Kolleg:innen müssen meinen „Ausfall“ kompensieren).
  • Als engagierte Betriebsrät:in habe ich den Anspruch, mich für meine Kolleg:innen im Betrieb einzusetzen. Diese Rolle kann in Konflikt mit der abgegrenzten, selbstfürsorglichen Betriebsrät:in stehen. Zum Beispiel wenn es um die Frage geht, wann ich als Betriebsrät:in Dienstschluss und damit Freizeit habe und keine Mails mehr beantworte, Besprechungen oder Telefonate führe?
  • Mein Anspruch an meine Rolle als Betriebsrät:in kann mit den Erwartungen meiner Kolleg:innen an meine Rolle als Betriebsrät:in in Konflikt stehen. Zum Beispiel der Konflikt zwischen eigenem Anspruch eines politischen Auftretens und der Erwartung einiger Kolleg:innen an einen stark serviceorientierten und unpolitischen Betriebsrat.
  • Mein Anspruch an die Rolle als Betriebsrät:in kann mit meiner Rolle als Vater/Mutter oder Partner/Partnerin in Konflikt treten. Zum Beispiel, wenn es darum geht, ob die Abendgestaltung Partnerschaft und Familie oder der gewerkschaftlichen Aktivität gewidmet ist.
  • und viele mehr..

Durch Herausarbeitung und Analyse der unterschiedlichen Rollenerwartungen werden Spannungen sichtbar. Mit Hilfe eines geschickten Einsatzes der eigenen Rollen und durch einen bewussten Umgang mit Rollenerwartungen ist langfristiges, stimmiges und vor allem auch gesundes (Resilienz!) gewerkschaftliches Engagement möglich. Es gilt dabei stets, die Arbeits- und Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten.

Das Ziel von psychodramatischen Interventionen, wie etwa dem Rollenspiel oder Aufstellungen, ist daran anschließend die „Erweiterung des Gestaltungsspielraums von Rollen“ (Hochreiter, 2004, S. 139). Geschehen kann dies etwa durch:

  • Stärkung von Ressourcenrollen
  • Erkennen und Verabschieden von hinderlichen Rollen
  • Analyse und Neugestaltung von problematischen, destruktiven Rollenbeziehungen
  • Entwicklung neuer, brauchbarer Rollen

Im nächsten Beitrag der vorliegenden Serie geht es um den konkreten Umgang mit Rollenkonflikten in der Arbeitnehmer:innenrolle im Kontext der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit.

Zum Weiterlesen

  • Hochreiter, Karoline: Rollentheorie nach J.L. Moreno. In: Fürst, Jutta; Ottomeyer, Klaus; Pruckner, Hildegard (Hrsg): Psychodrama-Therapie. Ein Handbuch. Facultas. 2004. S. 128-146.

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Autor: Markus Reisinger

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