Back-home-Übungen, Merkanker, Lernpartnerschaften, aber auch einfach fest eingeplante Zeit zum Nachdenken, wie das Gelernte umzusetzen ist, so lässt sich der Praxistransfer methodisch unterstützen. Dieses Anschieben kommt bei der Planung und Durchführung von Seminaren und Schulungen oft zu kurz.
Es gibt Selbstverständlichkeiten, die zu jedem Seminar gehören: Kennenlernen, Vermittlung von Inhalten, Visualisierung, Pausen, Feedbackrunden. Das Anschieben von Transfer gehört (noch) nicht zu diesen Selbstverständlichkeiten. Dabei kennen wir alle Methoden zum Anschieben und es geht ohne großen Aufwand, wie folgende Beispiele zeigen.
Anschieben 1: Die Anliegen-Karte
Nach der Vorstellungsrunde bekommen die Lernenden simple Moderationskarten und notieren – jeder für sich – ihr persönliches Anliegen. Anliegen ist nicht deckungsgleich mit Erwartung. Anliegen zielt direkt auf den Transfer. Wozu brauche ich das hier angebotene Wissen und Können in meiner Praxis?
Sinnvoll ist es, die Anliegen im Plenum kurz öffentlich zu machen (zum Beispiel in einer Blitzlichtrunde). Die Anliegen-Karte macht nur Sinn, wenn es im Lernprozess kurze Phasen ohne Input gibt, in denen die TeilnehmerInnen ihre Karte zur Hand nehmen und überlegen und notieren, was zu ihrem Anliegen passt. Die Anliegen-Karte kann auch in ein Beutebuch integriert werden. (Zur Methode Beutebuch gibt es einen eigenen Blogbeitrag.)
Anschieben 2: Back-home-Übungen
Das ist ein Sammelbegriff für Seminarphasen, in denen die Situation nach dem Seminar (back home) in den Lernprozess integriert wird. Beispiel: In einem eintägigen Seminar über Aktivierungsinseln ist eine Stunde Zeit, in der die Lernenden den Transfer beginnen. Welche der gezeigten Methoden passen für mich bei welchen meiner Inhalte? Wie schaut die Aktivierung bei mir im Detail aus? Das kann bis zur Vorbereitung von Lernmaterial gehen.
Wir wissen, dass der Transfer oft an Widerständen oder unerwarteten Problemen bei der Umsetzung in die Praxis scheitert. Auch darauf kann eine Back-home-Übung vorbereiten: Mit welchen Schwierigkeiten muss ich bei der Umsetzung in meiner Praxis rechnen? Methodisch kann das eine Kartenabfrage sein mit anschließender Diskussion und Bearbeitung in Gruppen oder im Plenum.
Der Transfer-Spaziergang (Talking by walking)
Am Ende einer individuellen Back-home-Übung ist eine Plenumsrunde mit Ergebnissen mitunter mühsam. Effektiver kann ein Spaziergang zu zweit sein, bei dem sich Lernende gegenseitig erzählen, was sie in ihrer Praxis wie umsetzen wollen.
Anschieben 3: Ankern und Sichern als Transfervoraussetzung
Wir ReferentInnen leiden häufig unter einer Krankheit: Dem Vollständigkeitswahn. Wir schütten in dem Glauben, alles sei wichtig, unsere TeilnehmerInnen mit Informationen förmlich zu und übersehen die begrenzte Aufnahmekapazität. Deshalb wird auch sehr viel vergessen und hat von vornherein keine Chance auf Umsetzung. Deshalb: Weniger ist fast immer mehr! Und: Wir müssen mehr Wert auf das Sichern und Ankern der Lerninhalte legen. Methodisch gibt es da fast unbegrenzte Möglichkeiten: Von der einfachen Wiederholung, über praktische und aktive Übungen statt nur passiv zuhören bis zur Unterstützung und Förderung des Mitschreibens durch die Lernenden. Digitale Quiz-Tools eignen sich gut zum Verankern von Wissen. Ich möchte aber zwei methodische Ideen anfügen, die zu den fast schon vergessenen Methoden gehören, aber die Ankern und Transfer verbinden:
Der Stein auf dem Schreibtisch
Ein Kollege teilt selbst gesammelte Steine an die TeilnehmerInnen aus und verbindet dieses (neudeutsch) give away mit den individuellen Transfervorhaben: Dieser Stein soll mich an meine Vorhaben erinnern ….. Der Stein kann auch eine Postkarte, ein Stück Schwemmholz, ein einsames Puzzleteil, ein besonderer Bleistift …. sein.
Der Brief an mich
TeilnehmerInnen schreiben während der Veranstaltung auf einem vorbereiteten Briefbogen, was sie sich für ihre Praxis vornehmen – nur für sich selbst. Der Brief kommt in ein Briefkuvert. Adresse der TeilnehmerIn drauf! Monate nach dem Seminar gibt die TrainerIn den Brief zur Post. Früher war das mal inflationär und zu viel, in den Zeiten digitaler Kommunikation ist das wieder etwas Besonderes.
Das doppelte Transferdilemma
Auf den ersten Blick mag es so aussehen: Es reicht, wenn wir ReferentInnen „ein bisserl“ anschieben, dann wird es mit dem Transfer schon klappen. Mitnichten! Wir sitzen zwar an „Stellhebeln der Transferwirksamkeit“ (siehe Buchempfehlung), aber nur an einigen. Auf die meisten haben wir wenig Einfluss, z.B. auf die Transferkultur in den Praxisfeldern oder auf Auswahl und Motivation der TeilnehmerInnen. Damit Transfer klappt, muss vieles zusammenspielen. Aber sicher ist: Wenn wir Lernprozesse nicht transferorientiert gestalten, passiert garantiert nichts.
Das zweite Dilemma hat mit dem „Schieben“ zu tun. Der Eindruck mag entstehen: Lernende werden dahin geschoben, wo wir Lehrende sie haben wollen. Diese Vorstellung mag ich nicht. Die/Der Lernende muss immer als Subjekt selbst entscheiden können, was umgesetzt wird und was nicht.
Zum Weiterlesen und Vertiefen
Links
- Eine Seminardokumentation mit Praxistipps
- #mm: …zurück in den Alltag… Ein sehr informativer Methodenbeitrag in diesem Blog von Nicola Sekler
Hilfreiche Bücher
- Bettina Ritter-Mamczek und Andrea Lederer: Heiter weiter mit Transfermethoden. Berlin 2015
- Ina Weinbauer-Heidel und Masha Ibeschitz-Manderbach: Was Trainings wirklich wirksam macht: 12 Stellhebel der Transferwirksamkeit. Hamburg 2017
Die Bücher können HIER im Webshop des ÖGB-Verlags versandkostenfrei bestellt werden.
Autor: Ulli Lipp
Lust auf mehr? Zu allen Einträgen der Serie #mm kommst du HIER!
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen unter gleichen Bedingungen 3.0 Österreich Lizenz.
Volltext der Lizenz