#mm: Bitte, ein bisschen Drama

Einsatz von Psychodrama in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit – Teil 1

CC Markus Reisinger

In diesem #mm Beitrag beschäftigen wir uns mit der Methode Psychodrama. Psychodrama ist eine einzel- wie auch eine gruppenpsychotherapeutische Methode, welche von Jakob Levy Moreno (1889 – 1974) in Wien und ab 1925 in den USA entwickelt wurde. Sie ist damit eine der ältesten Psychotherapieformen, die weltweit Verbreitung gefunden hat.

Das Psychodrama ist in unterschiedlichen Formen und Settings einsatzbar, beispielsweise in der Psychotherapie (Einzel, Paar, Gruppe), Supervision, Sozialarbeit, Erwachsenenbildung, im schulischen Kontext, Coaching und Organisationsberatung. Mehr zu den Anwendungsformaten kannst du hier nachlesen.

Einsatz in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit

Dieser Beitrag ist der erste Teil einer Reihe, die praktische und theoretische Einblicke in die Methode Psychodrama sowie ihre Anwendungsmöglichkeiten in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit bietet.

In der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit haben wir es mit Menschen zu tun, die sich in vielen unterschiedlichen Rollen für die Anliegen der Arbeitnehmer:innen einsetzen. Ein Ziel der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit besteht dabei immer auch darin, die überbetriebliche sowie gesellschaftliche Perspektive mitzudenken, mit dem Anspruch auch auf diese einzuwirken bzw. diese im Sinne der Arbeitnehmer:innen zu verändern.
Die sozialen Rollen der Teilnehmer:innen in Bezug auf ihre gewerkschaftliche Tätigkeit sind:

  • Betriebsrät:in (von dem/der Vorsitzenden bis zur Ersatz-BR)
  • Personalvertreter:in
  • Behindertenvertrauensperson
  • Jugendvertrauensrät:in
  • Gewerkschaftsmitglied
  • Funktionär:in
  • Kolleg:in in der Körperschaft
  • etc.

Gerade bei Betriebsrät:innen und Personalvertreter:innen ohne Freistellung erhöht sich die Komplexität noch durch die Rollen der Kolleg:in und Arbeitnehmer:in.

Laut Hochreiter (2004) liegt dem Psychodrama das Konzept zugrunde, „dass der Mensch ein Rollenspieler bzw. eine Rollenspielerin ist“ und „dass jedes Individuum durch ein bestimmtes Repertoire von Rollen gekennzeichnet ist, die sein Verhalten bestimmen.“ (S. 128)

In seinen Rollen setzt sich der Mensch mit Mitmensch und Welt in Beziehung, verwirklicht sich selbst und verändert die Welt. Indem der Mensch in Rollen handelt, wirkt er gestaltend und verändernd auf die Verhältnisse zurück, die sein Wesen und seine Handlungen teilweise bedingen und beeinflussen. (Leutz. 1974, S. 2)

Das Wichtigste zuerst: die Rollenklärung

Um gewerkschaftlich handlungsfähig zu sein bzw. zu bleiben, braucht es ein Verständnis für dieses Rollenrepertoire. Die Auseinandersetzung und Beantwortung folgender Fragen kann dabei unterstützen:

  • Welche Rollen stehen mir zur Verfügung?
  • In welcher Rolle befinde ich mich?
    Betriebrät:in, Kolleg:in, Arbeitnehmer:in…
  • Wann setze ich welche Rolle ein?
  • Welche Bedürfnisse, Interessen, Eigenschaften, Kompetenzen hat die jeweilige Rolle?
  • Welche Rollen ergänzen sich?
  • Welche Rollen sind hilfreich, welche störend?
  • Welche Rollen bräuchte es zusätzlich?
  • Zwischen welchen eigenen Rollen gibt es Konflikte?
  • Welche Rollen haben Konflikte mit dem Umfeld?
  • Was ist die jeweilige „Szene“?
    Mitarbeiter:innengespräch, Quartalsgespräch, „Zwischen-Tür-und-Angel-Gespräch“,…
  • Wer ist mein Gegenüber?
    Kolleg:in, Geschäftsführung,…

Die Erarbeitung und Sichtbarmachung des eigenen sozialen Rollenrepertoires hilft dabei die Vielfalt und Ambivalenz unserer sozialen Rollen (BR:in,…) in Bezug auf das soziale Umfeld bearbeitbar zu machen. Darüber hinaus ist es wichtig, auch das „innere“ Rollenrepertoire einer Rolle zu berücksichtigen.
So kann etwa die Rolle des/r BR:in in weitere unterschiedliche (psychische) Rollen aufgeteilt werden:

CC Pixabay
Die KämpferischeDie Vermittelnde
Die TaktischeDie Zuhörende
Die NachgebendeDie Verlässliche
Die AbgegrentzeDie Urlaubende
Die FürsorgendeDie Bestärkende
Die ForderndeDie Überlastete

Je nach Szene und Gegenüber ist eine andere Rolle sinnvoll und hilfreich. Durch einen situationsadäquaten Rolleneinsatz können innere wie äußere Spannungen verringert werden, und somit dazu beitragen, die eigene Handlungsfähigkeit kurz- aber auch langfristig aufrechterhalten zu können.

Das Ziel ist ein stimmiges Zusammenspiel von:

CC Markus Reisinger
  • ICH:
    meine jeweilige soziale Rolle: BR:in, Kolleg:in, …,
    die aktuell agierenden psychischen Rollen: die Kämpferische,…
  • DU:
    die Rollen meines Gegenübers: Geschäftsführung, Kolleg:in, BRV:in,…
  • ORT der Handlung:
    Körperschaftssitzung, Verhandlungen mit Geschäftsführung, Mitarbeiter:innengespräch mit Geschäftsführung, aber auch der Ort der Handlung…

Es gilt dabei stets die Regie (= eine bewusste Steuerung) über den Einsatz der unterschiedlichen Rollen zu behalten. Nachdem die Rollen benannt wurden, ist der Grundstein für den nächsten Beitrag gelegt. In diesem werden wir uns näher mit den unterschiedlichen Rollenkonflikten befassen. 

Zum Weiterlesen

  • Hochreiter, Karoline: Rollentheorie nach J.L. Moreno. in Fürst, Jutta; Ottomeyer, Klaus; Pruckner, Hildegard (Hrsg): Psychodrama-Therapie. Ein Handbuch. Facultas. 2004. S. 128-146
  • Leutz, Grete: Psychodrama. Theorie und Praxis. Das klassische Psychodrama nach J.L.Moreno. Springer-Verlag. 1974
  • www.psychodrama-austria.at

Genannte (und auch andere) Bücher können HIER im Webshop des ÖGB-Verlags versandkostenfrei bestellt werden.

Autor: Markus Reisinger

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