#grumo_28: Herzlich Willkommen! Wie sich der Raum auf die Gruppendynamik auswirkt

Wie sich der Raum auf die Gruppendynamik auswirkt

„Herrlich hier“ seufzt Paul „man sieht bis zum Horizont, da kann man so richtig gut die Gedanken schweifen lassen.“ Maria hat die anderen vier heute zu sich in die Arbeit eingeladen. Während der Corona-Pause ist umgebaut worden und ihre Organisation hat neue Seminarräume zur Verfügung, die Maria den anderen zeigen wollte. Der letzte, den sie sich ansehen, ist ganz oben am Dach mit einem herrlichen Blick über Wien. Die fünf nehmen sich Sessel und bilden einen kleinen Kreis, um sich gleich hier über den Einfluss von Räumen und Raumgestaltung auf die Gruppendynamik zu unterhalten.

Wer ist hier zu Hause?

„Das ist ja schon das erste“, meint Paul und blickt in die Runde. „Oder? Sesselkreise. Für uns ganz normal, aber viele Teilnehmer_innen sind da echt mal irritiert zu Beginn, wenn man sie bittet, die Sessel im Kreis und ohne Tische aufzustellen.“ Beate nickt, sie erlebt solche Situationen auch immer wieder. Der Kreis wird immer dann als Organisationsform gewählt, wenn man darstellen will, dass alle gleich gestellt sind. Gerade wenn es um die Gruppendynamik geht, an der alle gleich beteiligt sind, dann bietet sich der Sesselkreis an. In Settings, wo es um Lehr-Inhalt oder Vorträge geht, sind Tisch bzw. Stuhlreihen das Gewohnte, wenn hingegen viel Kleingruppenarbeit gefördert werden soll, die Tischgruppen. Maria hat sich mit Raumorganisation viel beschäftigt und so kann sie für die anderen die Überlegungen gut zusammenfassen. „Das Setting sagt schon viel darüber aus, was die Teilnehmer*innen vom Seminar erwarten können. Ich versuche, den Raum immer gleich von Beginn an „richtig“ herzurichten, damit beim Betreten des Raumes schon klar ist, welche Art von Setting zu erwarten ist.“

Beate wiegt den Kopf: „Eigentlich müssen wir noch einen Schritt vorher anfangen, oder? Eigentlich ist vorher noch die Frage: Wessen Raum ist es eigentlich?“ Yasemine nickt, aber Rudi sieht sie etwas ratlos an. „Wie meinst du?“ Beate räuspert sich: „Wenn ich die Gastgeberin bin, dann kann ich den Raum gestalten, dann suche ich mir einen Seminarraum aus und stelle die Sessel so, wie ich sie gut finde, bereite meine Flipcharts oder sonstigen Geräte vor und wenn die Teilnehmer_innen kommen, dann heiße ich sie willkommen, erkläre wo Garderobe und Getränke sind und bitte sie, sich einen Platz zu suchen. Wie eine gute Gastgeberin, eben.“ Die anderen nicken, genau das haben alle schon hunderte Male gemacht.

Beate fährt fort: „Aber dann gibt es ja auch Situationen, wo man in einen Raum eingeladen wird, in dem die Gruppe schon länger arbeitet. Bei länger dauernden Lehrgängen zum Beispiel oder in Schulen, Hochschulen, Ausbildungsinstituten, bei Vorträgen, oder wenn man in den Räume der Auftraggeber_innen arbeitet. Da kann man zwar vielleicht vorher Wünsche zur Gestaltung formulieren, aber im Endeffekt kommt man trotzdem in einem Raum, den die Gruppen schon belebt hat – wo vielleicht schon Flipcharts von vorherigen Einheiten an den Wänden hängen und wo man selber eher Gast ist als Gastgeberin.“ Yasemine nickt und ergänzt. „Im besten Fall gibt es dann aus der Gruppe oder von den Veranstalter_innen jemanden, der oder die die Gastgeber_innenrolle übernimmt, aber manchmal bleibt das auch ungeklärt und das kann dann zu Irritationen führen. Wenn dann niemand weiß, wo mehr Flipchartpapier ist, oder wie der Beamer funktioniert, zum Beispiel.“

Wer ist die Gastgeberin/der Gastgeber?

Rudi kratzt sich am Kopf. „Stimmt. Das ist mir auch schon ein paarmal so gegangen, wenn ich in Räume dazu gekommen bin. Ich hab mir bisher noch nie überlegt, dass dieses Setup natürlich einen Einfluss hat.“ Beate meint weiter, dass sie in solchen Fällen schon bei der Auftragsklärung versucht rauszufinden, wer wofür zuständig ist und was die Gruppe in dem Raum schon erlebt hat. Manche Auftraggeber_innen sind zwar über die Frage verwundert, aber sobald die Ansprechpersonen und das Setting geklärt sind, merken alle Beteiligten, dass es das Arbeiten angenehmer macht.

Horizonte

Paul schüttelt den Kopf. „Eigentlich eh logisch. Ich komm wo hin: Ich stell mich vor. Ich schau, wer für was zuständig ist. Und trotzdem passiert es uns alten Hasen noch manchmal, das wir im Eifer des Gefechts darauf vergessen.“ Versonnen blickt er in die Ferne. „Wie geht ihr eigentlich mit sowas wie hier um. Der weite Ausblick: Das verleitet doch total zum Abschweifen. Meist gibt es eine Jalousie, die man zumachen kann, aber eigentlich wär das ja fast schade.“ Er schaut erwartungsvoll in den Kreis. Für einen Moment genießen alle fünf den Ausblick und lassen ihren Blick über die Häuserdächer und Bäume schweifen. „Ich weiß nicht“, meint Yasemine schließlich, „irgendwie wollen wir ja bei unseren Seminaren den Horizont der Menschen, die teilnehmen, erweitern. Dann wäre es doch schade, wenn wir ihnen den Blick aus dem Fenster wegnehmen würden.“ Paul lacht. „Eh. Wenn sie nicht aus dem Fenster schauen können, dann starren sie auf den Teppich, das ist auch oft nicht besser.“

Worst of

Vom offenbar schönsten Seminarort ist der Weg nicht weit zu den schlimmsten Seminarorten. „Was war denn der schlimmste Seminarraum, in dem ihr jemals arbeiten musstet?“ fragt Maria und fährt gleich selber fort: „Ich hatte mal einen Kellerraum ohne Tageslicht.“ – „ Ein Raum, der offensichtlich gerade umgebaut wurde und wo lauter Gerümpel in der Ecke stand, mit einem Tuch notdürftig verdeckt“, legt Paul nach. Rudi erzählt von einem Raum, der für die Gruppe viel zu klein war, so dass alle dicht gedrängt in zwei Reihen sitzen mussten und Yasemine von einem Seminarraum, der direkt neben der Küche war, wo es die ganze Zeit nach Essen gerochen hat. Beate meint: „Ich hatte mal eine alte Gaststube in einem Wirtshaus mit fix montierten Bänken und Tischen. Da konnte man weder Sesselkreis noch Sitzreihen machen.“ Die anderen lachen und sind sich einig, dass sie damit den Preis für den unmöglichsten Seminarraum verdient hatte! Sie plaudern noch ein bisschen weiter und schauen dabei der Sonne zu, wie sie hinter dem Horizont verschwindet. Schließlich stellen sie die Sessel wieder zusammen und Maria schaltet das Licht aus. Denn sie war beim heutigen Treffen die Gastgeberin.

Beim nächsten Mal wollen sich unsere fünf Expert_innen darüber unterhalten, wie die Gruppendynamik außerhalb des Seminars im informellen Teil für den Gruppenprozess genutzt werden kann.

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Autorinnen: Gerda Kolb und Irene Zavarsky

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