Die Gewerkschaftsschulen sind das wohl breiteste Bildungsangebot der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung: Es gibt sie in allen Bundesländern, auch in entlegenen Regionen und sie sind für alle Gewerkschaftsmitglieder kostenlos zugänglich – und das schon seit mehr als 70 Jahren! Die Einheiten finden abends statt, damit sich der Besuch mit einer Berufstätigkeit einigermaßen vereinbaren lässt. Corona stellt auch diese Bildungsangebote vor große Herausforderungen – im ersten Lockdown hat bereits das Team der Wiener Gewerkschaftsschule über ihre Erfahrungen berichtet, jetzt wird dieser Blickwinkel ergänzt: Aus der Perspektive der burgenländischen Gewerkschaftsschulen und die Erfahrungen einer Trainerin!
Erfahrung als Bildungssekretärin und Leiterin der Gewerkschaftsschulen in Burgenland
In den vergangenen Monaten musste sich der Großteil der Bildungsverantwortlichen bis dato unbekannten Herausforderungen stellen und sich einiges einfallen lassen. Keine Woche verging ohne neue Ideen, Methoden und Ansätze, um die gewerkschaftliche Bildungsarbeit weiterzuentwickeln oder umzustrukturieren, damit Ausbildungen fortgesetzt und Informationen ihre Adressat*innen rechtzeitig und aufbereitet erreichten.
Zwar wurden Onlineschulungen, Blendend-Learning und Selbstlernphasen bereits angewandt, aber meistens als Methode und/oder Zusatzangebot. Blitzschnell musste sich aber dieses “Nice-to-have“ zum “Must” im Alltag entwickeln. Darauf war aber ehrlich gesagt niemand wirklich vorbereitet. Weder Lehrgangsleitung, Trainer*innen noch die Teilnehmer*innen. Die Herausforderung bestand darin, das in dieser Größenordnung flächendeckend umsetzen zu können.
Einige Gewerkschaftsschulen waren im zweiten Semester, als der erste Lockdown kam. Also war bereits eine gute Grundlage, was die Gruppendynamik betrifft, vorhanden. Diese wurde trotzdem auf die Probe gestellt. Die ersten Gehversuche der “Gewerkschaftsschule online” waren dementsprechend herausfordernd für die Teilnehmer*innen. Alle hätten am liebsten so weitergemacht wie bisher. Die Wünsche und Bedürfnisse der einzelnen Teilnehmer*innen lagen so weit auseinander, dass ein Spagat zunächst unmöglich schien. Die einen mussten aufgrund ihres Berufes zuhause bleiben, andere hatten plötzlich andere Arbeitszeiten, manche Betriebsrät*innen waren nur mehr mit Kurzarbeit beschäftigt, wieder andere gehörten zur Risikogruppe. Die Alleinstehenden litten unter Vereinsamung und Eltern bzw. Alleinerziehende wussten nicht, wie sie Homeoffice, Homeschooling und fehlende Großeltern unter einen Hut bringen sollten. Einige hatten große Berührungsängste, anderen fehlte das Equipment. Wiederum andere freuten sich, nicht mehr den langen Anfahrtsweg zur Gewerkschaftsschule zu haben.
Aus diesen und noch vielen weiteren Gründen wollten die einen nur mehr digital, andere alles, nur NICHT digital.
Learning by doing, das ist das Credo deshalb seit März 2020. Die Aufgaben, die sich den Beteiligten stellten, wurden Schritt für Schritt erarbeitet und gelöst um möglichst vielen Gewerkschaftsschüler*innen die Teilhabe weiterhin zu ermöglichen. Zu Beginn durch Selbstlernphasen, später durch Hybrideinheiten und seit November durch Onlineunterricht.
Gruppe gibt Halt im Online-Learning
Manche mussten aufgrund der privaten Situation mit der Gewerkschaftsschule aufhören, weil die Belastung zu groß wurde. Der größere Teil aber blieb dran. Einerseits aus Interesse am Thema und dem Wunsch nach Weiterbildung, andererseits weil sie die inzwischen vertraute und gut eingespielte Gruppe wertzuschätzen gelernt hatten und sich als Gemeinschaft fühlten.
Die Gewerkschaftsschulen haben den Anspruch, für jedes interessierte Gewerkschaftsmitglied eine fundierte Ausbildung anzubieten, ob alt, jung, Frau oder Mann, erprobt im Auftritt oder noch unsicher, mit schulischer/akademischer Ausbildung oder mit Berufserfahrung. Alle haben ihren Platz und wachsen zusammen. Der/die Einzelne profitiert jeweils von den Erfahrungsschätzen der anderen und entwickelt sich so weiter. Dieses gemeinsame Wachsen und das miteinander erleben erscheint als die größte Herausforderung rund um die Onlineeinheiten in der Gewerkschaftsschule.
Ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und eine gute Vertrauensbasis zwischen Teilenhmer*innen ist durch ausschließliche Onlineeinheiten ohne vorherigen persönlichen Kontakt praktisch nicht erreichbar. Der Raum für die wichtigen Prozesse innerhalb der Gruppe ist nur zum Teil vorhanden und in diesen kann die Entwicklung der Gruppe als Gemeinschaft nur partiell stattfinden.
Die Gesprächskultur, das Miteinander tun oder vielleicht zusammengefasst die “Kommunikation im Onlineseminarraum” müssen neu definiert, erprobt und erlernt werden. Dürfen die Kids noch schnell mal auf den Bildschirm schauen, um zu sehen mit wem die Mama/der Papa sonst die Dienstagabende verbringt? Sitze ich im Jogger oder in einer Alltagskleidung vor dem Bildschirm? Habe ich ein Zimmer für mich am Abend, wo es ruhig genug ist, um zu lernen? Sind die Kameras an oder nicht? Kann auch online getuschelt werden? Wird man aufgerufen oder kann man ohne Aufforderung fragen, so wie das sonst üblich war, weil es zum Inhalt passt? Darf man einfach losplaudern, obwohl der/die Referent*in schon online ist? Welche Themen kann ich ansprechen? Im Seminarraum würden sich diese Fragen nicht stellen. Besonders in den ersten Einheiten konnte beobachtet werden, dass ein heiterer Smalltalk vor Beginn je verstummte als plötzlich der/die Referent*in eintrat. Mit der Zeit legte sich aber diese Scheu vor dem Plaudern im Onlineseminarraum.
Die Erfahrung in der Gewerkschaftsschule Burgenland zeigt, dass wenn die Gruppe es schafft, diese und weitere Fragen für sich zu klären, plötzlich der Aufenthalt im Onlineseminarraum spannend und bereichernd werden kann und soziale Kontakte gelebt werden können.
Positiv ist festzuhalten, dass es gelingen kann Motivation, Interesse und sogar Gruppenspirit aufrecht zu halten über Onlineeinheiten und auch über einen längeren Zeitraum. Doch dafür müssen einige wichtige Rahmenbedingungen (stabile Internetverbindung), erfüllt sein und auf jeden Fall braucht es die Aussicht, dass wieder Präsenzeinheiten folgen werden.
Fazit
Die COVID-19 Pandemie war und ist eine Herausforderung für den Online-Unterricht in den Gewerkschaftsschulen: Für Teilnehmer*innen, Trainer*innen und für die Bildungsverantwortlichen insgesamt.
Zeit und Erfahrung fördern den Umgang mit Online-Angeboten in den Gewerkschaftsschulen. Dennoch ist festzuhalten, dass jedes großartige Konzept an der Abwesenheit folgender zwei Faktoren scheitert: Zum einen dem Vorhandensein elektronischer Endgeräte. Was die Zukunft betrifft müssen dafür Lösungen gefunden werden. Denn Teilnehmer*in zu verlieren, weil kein Gerät vorhanden ist, kann nicht akzeptiert werden und widerspricht dem Bildungsziel der Gewerkschaftsschulen. Zum anderen an einem stabilen Internetzugang. Hier muss der Ausbau vorangetrieben und der Zugang erleichtert werden.
Sich darüber auszutauschen, darauf aufmerksam zu machen, was funktioniert und was nicht, ist dabei essenziell. Solche Erfahrungswerte sollen weiter gesammelt werden. Es wird die Zeit danach kommen und diese sollten wir nutzen, um zu evaluieren und uns zu fragen, wie die Gewerkschaftsschulen der Zukunft ausschauen sollen? Was wollen wir? Und was wollen wir auf keinen Fall?
Autorin: Dorottya Kickinger (Bildungssekretärin und Gewerkschaftsschulleiterin im Burgenland)
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen unter gleichen Bedingungen 3.0 Österreich Lizenz.
Volltext der Lizenz