#dimi_15: Voll im Flow

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Warum der Wechsel zwischen Struktur und Prozess manchmal wie ein Tanz sein kann

„Flow und Tanz?“ Was hat das bitteschön im didaktischen Mittwoch verloren?“ „Mehr als du denkst,“ ist meine Antwort, die ich gerne näher erkläre. 

In diesem Blogbeitrag geht es um das spannende Wechselspiel zwischen Planung und Prozess. In der #dimi-Blogserie gab es einige Beiträge, die sich mit dem Thema Struktur, in Form einer systematischen Planung, befasst haben. Eine gut durchdachte Seminarplanung bietet Orientierung und versucht, das Unvorhersehbare jedes Lernprozesses vorhersehbarer zu machen. Im Prozess – in unserem Fall der Trainingsdurchführung – passieren aber auch viele Dinge, die nicht planbar sind.

Ein guter Lernprozess lebt vom „Flow“ zwischen Struktur und Prozess. Sprich: Als Trainer*in sollte ich mich auf den „Tanz“ mit den Lernenden einlassen, ohne dabei die Struktur aus dem Auge zu verlieren. Welche Überlegungen ich mir dazu gemacht habe, erfährst du in diesem Blogbeitrag.

Denken wir über das Wechselspiel zwischen Struktur und Prozess nach, so geht es zunächst mal um die Frage, wieviel vorausschauendes Planen und Designen hilfreich und wieviel Flexibilität dienlich ist und die Qualität des Trainingsprozesses erhöht. Wie kann prozesshaftes Arbeiten die Qualität eines Lernprozesses steigern, ohne dass alles, das vor Beginn eines Trainings überlegt wurde, über den Haufen geworfen wird? Was heißt Flexibilität und worauf beziehen sich die geleisteten Anpassungen? Auf den Punkt gebracht, lautet die zentrale Frage: Wie kann ich als Trainer*in dem Unplanbaren Raum geben und trotzdem einen klaren Kopf bewahren?

Das (Doppel-)Seminar Toolbox A + B beschäftigt sich genau mit diesem Wechselspiel und versucht, beide Themen abzudecken. In der Toolbox A geht es um alle Fragen, die für eine gute Seminarplanung wichtig sind und in der Toolbox B fokussieren wir auf den Prozess und alles, was dabei wirksam wird. Falls das interessant klingt: Die Toolbox wird jedes Jahr angeboten, die Termine findest du hier.

Ich möchte mich dem Thema „Struktur und Prozess“ auf mehreren Ebenen nähern.

Erstens möchte ich unterschiedliche Szenarien beschreiben, die aus meiner Erfahrung als Trainerin meist erst im Prozess klar werden und auf die ich im Sinne des teilnehmer*innenoriertierten Arbeitens eingehe. Zweitens möchte ich Strategien vorstellen, die das Trainieren zu einem Tanz machen. Symbolisch gesprochen geht es, wie im Tanz, um das Schaffen eines „tragenden“ Grundrhythmus, der das Improvisieren erst möglich macht. Schon mal vorweggenommen: Auch hier spielt die Zusammenarbeit im Trainer*innenteam als ein Prozess des Führens und Folgens eine wesentliche Rolle.

Sprechen wir von Struktur, so möchte ich hier noch einmal auf den #dimi_05 verweisen. Hier habe ich sehr detailliert erklärt, warum aus meiner Sicht eine gute Planung die Qualität des Lernprozesses erhöht. Beim Designen eines Trainings ist es hilfreich, zunächst ein Grobdesign zu entwickeln und dann die einzeln Trainingseinheiten im Detail zu planen (= Feindesign). Unter Grobdesign verstehen wir eine übersichtsmäßige Planung, die ausgehend von den Lernzielen (#dimi_06) zu einer Klarheit über die Lerninhalte kommt und diese in eine sinnvolle Struktur bringt. Die Feinplanung ist die methodische Planung einzelner Lerneinheiten.

Warum gehe ich hier noch einmal auf diese grundlegenden Planungsschritte ein?

Sprechen wir von prozessorientiertem Arbeiten, so halte ich es für sehr wichtig, gerade die Grobplanung und damit die Lernziele im Blick zu behalten. Anpassungen, die sich aus dem Prozess ergeben, finden meist auf der Ebene der Feinplanung statt. Hilfreich dabei ist auch das Konzept der rollenden Planung, die beispielsweise in gruppendynamischen Settings genutzt wird. Das Prinzip: „So wenig Struktur wie möglich, soviel wie nötig.“ (König und Schattenhofer 2015, S. 82) kann auch hier hilfreich sein. Es macht auch Sinn, sich Ideen aus dem Projektmanagement zunutze zu machen, um agilere Arbeitstechniken in den Lernprozess zu integrieren.

Doch nun zur Frage, welche Szenarien prozessorientiertes Arbeiten sinnvoll machen. Ich möchte hier drei Arten von Anpassungen unterscheiden.

Inhaltliche Anpassungen

Inhaltliche Anpassungen werden nötig, wenn ich während des Trainings erkenne, dass ich die Vorkenntnisse der Teilnehmer*innen falsch eingeschätzt habe und es dadurch zu einer Über- oder Unterforderung in Bezug auf die Lerninhalte kommt. Häufig bezieht sich diese Realisierung aber nicht auf die gesamte Gruppe der Lernenden, sondern auf Einzelne. Daher ist es häufig am sinnvollsten in Form von „Differenzierung“ darauf einzugehen bzw. diese bereits vorab einzuplanen. Indem die Lernenden z.B. bei Gruppenarbeiten oder anderen Lernaufgaben zwischen unterschiedlichen Angeboten wählen können bzw. die inhaltliche Schwerpunktsetzung selbst vornehmen, erhöhe ich die Selbstverantwortlichkeit der Lernenden an ihrem eigenen Lernprozess, was gerade beim handlungsorientierten Lernen wichtig ist. 

Zeitliche Anpassungen

Zeitliche Anpassungen sind wohl das häufigste Anpassungsszenario. Welche/r -Trainer*in kennt das nicht? Die Dinge, die wir am Schreibtisch geplant haben, nehmen mehr Zeit in Anspruch als dafür vorgesehen – oder sie gehen doch deutlich schneller. Dies führt dazu, dass unsere Planung zeitlich nicht mehr zusammengeht. Mein Tipp hier ist es, schon bei der Planung tendenziell weniger als mehr zu planen. Erinnerst du dich noch an den #dimi_07, in dem ich das Konzept der didaktischen Reduktion detailliert vorgestellt habe? Oft hilft auch das Priorisieren von Lerninhalten nach Kriterien: A= zentrale und sehr wichtig, B= wichtig, sollte zumindest angeschnitten werden, C= Spezialwissen, kann auch weggelassen werden. Sollte die Gruppe unerwartet schneller arbeiten, kann ein vorbereiteter C-Block einfach eingeschoben werden – im umgekehrten Fall kann man ihn einfach weglassen.

Genug Zeit einzuplanen, um auf unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten eingehen zu können, ist übrigens auch ein wichtiges Prinzip beim Arbeiten mit heterogenen Gruppen.

Gruppenbezogene Anpassungen

Im Grunde können alle Aspekte, die das prozesshafte Arbeiten betreffen, auf den Gruppenprozess bezogen werden. Wie im #dimi_08 erklärt, wirken die Aspekte Thema, Gruppe und Individuen immer zusammen. Unter spezifischen gruppenbezogenen Anpassungen verstehe ich Situationen, in denen klar wird, dass die Gruppe nicht mehr arbeits- und lernfähig ist und die Situation, die gerade wie ein Magnet alle Aufmerksamkeit anzuziehen zu scheint, unmittelbar bearbeitet werden muss. Ein Beispiel aus meiner Praxis, das mir dazu einfällt, ist eine Lehrgangsgruppe, in der sich sehr viele Spannungen in Bezug auf gleichwertige Beteiligung und Engagement im Lernprozess aufgebaut hatten. Bei einem Arbeitsauftrag wurde dieser Konflikt sichtbar, indem einige Personen sich weigerten, eine aktive Rolle einzunehmen, weil sie das Gefühl hatten, dass es andere gibt, die sich immer von der Arbeit drücken. Hier war es wichtig, diesem Konflikt Raum zu geben, aber auch in meiner Rolle als Trainer*in die richtigen Fragen zu stellen, um eine Klärung zu ermöglichen, die für die gesamte Gruppe und den gemeinsamen Lernprozess wichtig war.

Fähigkeiten für prozesshaftes Arbeiten

Die Arbeit mit Gruppen fordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Meine Funktion als Trainer*in geht über die Vermittlung der Lerninhalte hinaus. Eine wesentliche Aufgabe ist das Schaffen eines produktiven Lernklimas und das Begleiten des Lernprozesses der Gruppe und der Einzelnen. Viele dieser Dynamiken passieren unter der Oberfläche. Es kommt zu kleineren oder größeren Machtspielchen im Sinne von: Wer hat hier das Sagen? Aus der Lebensgeschichte entstandene Vorannahmen (Ich kann das nicht) oder Kränkungen (Also blamieren werde ich mich hier sicher nicht!) können im Lernprozess reaktiviert werden. Um derlei Aspekte und deren Wirkung auf den aktuellen Lernprozess wahrnehmen zu können, bedarf es einer gezielten Aufmerksamkeit – die mit dem Auge einer Biene als „multifocal“ verglichen werden kann. Wie geht es dem Einzelnen? Wie geht die Gruppe miteinander um? Was machen sie sich selbst aus? Wo ist es meine Aufgabe, zu steuern?

Teamteaching als Ressource

Eine große Ressource im Wechselspiel von Struktur und Prozess ist das Arbeiten im Trainer*innenteam. Das gemeinsame Arbeiten gestattet nicht nur eine breitere Wahrnehmung, sondern ermöglicht auch eine unmittelbare Reflexion von Mikrosituationen und das Erlangen einer gemeinsamen Einschätzung des Prozesses. Grundlage dafür bieten regelmäßige Pausenreflexionen, aber auch das „abendliche“ gemeinsame Abrunden eines Seminars und die ehrliche Frage, ob Anpassungen im Seminardesign nötig sind (auch wenn dies möglicherweise mit einem Mehraufwand verbunden ist).

Prozessorientiertes Arbeiten beruht auf der Bereitschaft der Trainer*innen, kritische Fragen zu stellen und bei Bedarf auch kurzfristig Zeit in die Anpassung beispielsweise von Materialien zu stecken. Das Praxishandbuch Quali-Tools bietet dafür eine Reihe an Ideen, wie Reflexion im Team gut gelingen und strukturiert durchgeführt werden kann.

Führen und Folgen

Eine weitere und oft größere Herausforderung für Trainer*innenteams sind Anpassungen, die spontan und unabgesprochen stattfinden. Ein Beispiel: Eine Trainer*in passt einen vorher besprochenen Arbeitsauftrag an die Bedürfnisse der Gruppe an oder geht spontan auf einen Änderungsvorschlag der Gruppe ein. Dies kann zu Spannungen zwischen den Trainer*innen führen, da diese möglicherweise unterschiedliche Wahrnehmungen der Situation hatten. Beim Trainieren im Team ist es hilfreich, sich die Hauptverantwortung für bestimmte Teile des Seminars aufzuteilen, also zu klären, wer gerade die Funktion der Führung übernimmt. Das schafft mehr Klarheit zwischen den Trainer*innen, beruht aber trotzdem auf der Bereitschaft, ähnlich wie beim Tanzen, dass sich der/die Trainingspartner*in auf den vorgegebenen Grundrhythmus einlässt. Grundlage dafür ist das Vertrauen, dass das Gegenüber einen guten Grund hat, diese Anpassung vorzunehmen.

Zudem stellt sich auch die Frage, wie man – auch in der Funktion der Gruppenführung – das Verhältnis zur Gruppe versteht. Viele meiner Trainings sind „Train-the-Trainer“- Seminare bei denen es auch darum geht, dass die Lernenden ein Gefühl für Prozesse bekommen. In diesem Sinne dürfen auch Entscheidungen, die das Trainer*innenteam trifft, durchaus vor der Gruppe transparent gemacht werden (=Open Staff). Unterschiedliche Einschätzungen einer Situation können dann zu einer spannenden und lehrreichen Diskussion führen. So bekommen die Lernenden mehr Einblick in den Tanz von Struktur und Prozess, denn schließlich ist es genau dieses Wechselspiel, das für mich die Arbeit als Trainerin spannend macht.

Lust zum Weiterlesen:

  • König, Oliver; Schattenhofer, Karl (2015): Einführung in die Gruppendynamik. 7. Aufl. Heidelberg: Carl-Auer-Verl. (Compact)
  • Steiner, Karin; Kerler Monira; Gutknecht-Gemeiner, Maria (Hg.) (2014): QualiTools. Methoden zur Qualitätssicherung im Training von Gruppen. Praxishandbuch. Wien: Communicatio – Kommunikations- und PublikationsgmbH.
  • Widulle, Wolfgang (2009): Handlungsorientiert Lernen im Studium. Arbeitsbuch für soziale und pädagogische Berufe. 1. Aufl. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss (OnlinePlus).

Genannte (und auch andere) Bücher können HIER im Webshop des ÖGB-Verlags versandkostenfrei bestellt werden.

Autorin: Margret Steixner

Lust auf mehr? Zu allen Beiträgen der Serie kommst du HIER!

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Ein Gedanke zu „#dimi_15: Voll im Flow

  1. Ruth Picker

    Liebe Margret, vielen Dank für diesen hervorragenden Beitrag! Ich kann alles aus eigener Erfahrung unterstreichen und es war eine Bereicherung & Genuss, diese Überlegungen/ Erfahrungen so klar formuliert und durchdacht zu lesen. Lg Ruth Picker

    Antworten

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