#geb: The future is female?

Lerngruppen in der gewerkschaftlichen Bildung sind zwar divers, aber oft männlich dominiert. Vor allem bei längeren und „höheren“ Ausbildungen sinkt der Frauenanteil stark. Was tut gewerkschaftliche Bildung, um Weiterbildungen für Frauen attraktiv und möglich zu machen? Wie lebt gewerkschaftliche Erwachsenenbildung Gleichstellung vor? Wir stellen einige Maßnahmen vor – von Quotenregelung über Trainer:innen-Tandems und Angeboten exklusiv für Frauen.


„Wenn wir als Gewerkschaftsbewegung eine progressive Kraft innerhalb der Gesellschaft sein wollen, müssen wir uns für Gleichstellung und Vielfalt einsetzen und das auch vorleben. Gewerkschaftliche Erwachsenenbildung spielt eine wichtige Rolle dabei. Das heißt aber auch: Wir Männer müssen vor der eigenen Türe kehren.“

Philip Taucher, Lehrgangsleitungsteam der Wiener Betriebsrät:innen Akademie.

Gleichstellung in den Seminaren zum Thema machen

In Seminaren und Lehrgängen wird Gleichstellung einerseits als eigenes Thema behandelt, aber auch als Querschnittsmaterie bei anderen Themen mitbedacht. Etwa was Gleichstellung im Betrieb und im Betriebsrat bedeutet bzw. was der Betriebsrat tun kann, um Gleichstellung zu fördern – auch im eigenen Gremium.

Ihr ahnt es: Das sind jene Einheiten, bei denen die Wogen hochgehen und das Gruppengefühl „Wir-mögen-uns-alle-und-haben-keine-Konflikte-und-brauchen-keine-Gruppenregeln“ schwer auf die Probe gestellt wird. Der Griff in Schubladen ist ein schneller: „Bei uns geht das nicht“, „Wir finden keine Frauen, die wollen“ oder „Haben wir echt keine anderen Sorgen?“. Es sind nicht per se Männer, die so argumentieren, und manche Argumente haben durchaus Hand und Fuß. Nur muss der Blick eben weiter reichen: Warum sind Umstände so, wie sie sind und was können wir tun, um das zu ändern? Das braucht Zeit und viele Diskussionen.

Vor diesem Hintergrund bietet zum Beispiel die GPA im kommenden Jahr erstmals ein Seminar an, um gemeinsam mit Betriebsräten herauszufinden, warum wenige Frauen für den Betriebsratsvorsitz kandidieren – auch wenn mehr Frauen im Unternehmen arbeiten als Männer – und um Schritte zu erarbeiten, um das zu ändern.

Weiterbildung exklusiv für Frauen

Manchmal gelingt diese Ermächtigung besser, wenn Frauen unter sich sind. Daher bieten einige Gewerkschaften Weiterbildungen exklusiv für Frauen an, etwa „Verhandlunsgstraining women only“ von der GPA. Unter sich sind Frauen auch im frauenpolitischen Lehrgang des VÖGB, in dem sie über gewerkschaftliche Frauengeschichte, Gleichstellung, Einkommensberichte, Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen, Frauenbilder in den Medien u.v.m. lernen – mit sehr viel Praxis in Kommunikation, Storytelling, Verhandlungstraining und Aktionismus.

Mehr Onlinekurse und regionale Angebote

Teilnehmer:innen-Statistiken zeigen, dass der Frauenanteil bei Onlineseminaren höher ist, als bei Präsenzseminaren und Frauen Angebote in ihrer Nähe bevorzugen. Nach wie vor ist es für Frauen schwerer, sich ein paar Tage freizuspielen – Stichwort Betreuungsaufgaben. Lange Anreisen mit Übernachtungen kommen für viele schlicht nicht in Frage. Zudem sind Frauen seltener als Betriebsratsmitglied vom Dienst freigestellt und müssen sparsamer mit ihren Weiterbildungszeiten umgehen. Gewerkschaften haben (auch) deswegen Onlineformate ausgebaut und/oder bieten Seminare in mehreren Bundesländern an. Eine schnellere Anreise und die Möglichkeit, Kinder in den Kindergarten zu bringen, kommt vor allem in ländlichen Regionen Frauen entgegen.

Trainer:innen und Lehrgangsleitungen als Role Models

Bei der Zusammensetzung der Trainer:innen-Paare achten Gewerkschaften und Lehrgangsleitungen auf gemischt-geschlechtliche Paare – wo das eben möglich ist. Wichtig ist dabei nicht nur die Kombination Frau-Mann, sondern in welcher Rolle sie auftreten. Wer moderiert zu welchem Thema? Wer räumt nach dem Seminar auf und kümmert sich um die sozialen Anliegen der Teilnehmer:innen? Wie können Trainer:innen hier Geschlechtergerechtigkeit vorleben?

Auch die Lehrgangsleitungen von BRAK und SOZAK sind gemischt-geschlechtlich und leben vor, wie Führung im Team funktionieren kann und dass Frauen in Führungspositionen selbstverständlich sind.

Um Geschlechterdynamiken in Gruppen und innerhalb eigener Rollen zu reflektieren, bietet die REFAK ein Seminar für Trainer:innen: „Wer moderiert? Wer räumt auf?“

In den gewerkschaftlichen Lehrgängen und Seminarangeboten erhalten Trainer:innen vor ihrem Seminar ein Handout zu gendersensibler Bildungsarbeit. Darin enthalten sind Tipps zu gendersensibler Sprache, Methodik und Didaktik sowie Erwartungen an genderkompetente Trainer:innen, zum Beispiel.

Quotenregelung in der BRAK

Je höher die Ausbildung, desto geringer der Frauenanteil unter den Teilnehmer:innen. Für die Betriebsrät:innen Akademie in Wien hat der Vorstand der AK Wien im Juni 2021 eine Quotenregelung beschlossen: Jede Gewerkschaft muss bei der Nominierung der Lehrgangsteilnehmer:innen eine gewisse Frauenquote erfüllen, abhängig vom Anteil der Frauen in der jeweiligen Gewerkschaft. Mittelfristig sollen 50 Prozent der BRAK-Teilnehmer:innen Frauen sein (derzeit sind es meist 30 bis 40 Prozent).

Bildungsstipendium für Teilzeit-Beschäftigte

Viele Frauen sind aufgrund von Betreuungsaufgaben teilzeitbeschäftigt. Eine mehrmonatige Vollzeit-Ausbildung würde erhöhte Betreuungskosten bedeuten und kommt für viele schon aus finanziellen Gründen nicht in Frage. Daher hat der Vorstand der AK Wien ein Teilzeit-Stipendium für Lehrgangsteilnehmer:innen beschlossen. Wer Teilzeit arbeitet, kann das Stipendium beanspruchen: in der Höhe der Differenz zwischen Teilzeitgehalt und Vollzeitgehalt. Das kommt in der Praxis überwiegend Frauen zugute.  

Exkurs: Dass Frauen aufgrund von Betreuungsaufgaben Teilzeit arbeiten und damit weniger finanzielle und zeitliche Ressourcen für Weiterbildung haben, ist ein strukturelles Problem. Sprich: Es liegt nicht in der individuellen Verantwortung der Teilnehmerin, der Trainer:innen oder der Lehrgangsleitung, hierfür Lösungen zu suchen, sondern eben in der Gemeinschaft. Der Vorstand hat damit auch seine gesellschaftspolitische Verantwortung reflektiert und wahrgenommen. Das ist relevant.

Fazit:

Um mehr Frauen für die betriebliche- und somit die gewerkschaftliche Interessenvertretung zu gewinnen, müsste viel auf betrieblicher und struktureller Ebene getan werden – etwa Bedingungen schaffen, die den Betriebsratsvorsitz für Frauen attraktiv machen. Darauf hat die Bildungsarbeit nur bedingt Einfluss. Sie versucht aber, in ihren Seminaren und Lehrgängen Frauen zu ermutigen und ihnen jene Skills an die Hand zu geben, um diesen Schritt zu wagen.

Redaktion: Irene Steindl
Gesprächspartner:innen: Gertraud Wiesinger, Philip Taucher, Stefanie Jöbstl
Illustration: Julia Stern


Im Jahr 1919 wurden die Betriebsräte in Österreich erstmals rechtlich verankert – ein Meilenstein für die Demokratisierung im Betrieb und für neue Wege in der Bildung. Die Historikerin Sissi Luif beleuchtet die Interessen und Strategien der Arbeiter:innenbewegung zu dieser Zeit und wie sie sich seither entwickelt haben.

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