Gut im neuen Jahr gelandet, des Winters müde und vorfreudig auf den Frühling, treffen sich unsere fünf Expert:innen für die Arbeit mit und in Gruppen wieder einmal im virtuellen Raum. Beate ist in Quarantäne (und quietschvergnügt), Paul vielleicht Kontaktperson (so richtig durchschaut er die aktuellen Regelungen betreffend einer Infektion mit Covid-19 nicht) und die drei anderen – Yasemine, Paul und Maria – treffen sich lieber online, als auf die beiden bei einem Treffen in Präsenz verzichten zu müssen. Außerdem hatten die drei erst vor Kurzem an einer Tagung teilgenommen, die unter vielen Auflagen, aber dennoch in Präsenz, stattgefunden hatte. Sie waren an den zwei Tagen fast unzertrennlich und sowohl auf fachlicher als auch auf humoriger Ebene in intensivem Austausch gewesen.
Sicherheit durch Zugehörigkeit & Unsicherheit durch Nichtzugehörigkeit
„Das war sicher ganz schön anstrengend für die anderen!“ scherzt Paul und findet es trotzdem schade, dass er nicht dabei war. Wie viele andere hat auch er Sehnsucht, wieder mit mehr Menschen in Kontakt zu treten. „Na ja, ich weiß nicht“, antwortet Maria darauf, „aber was mir nach der Tagung schon aufgefallen ist: Ich war mit nur wenigen der anderen Tagungsteilnehmenden im Gespräch. Das hat mich schon auch ein bissl erschreckt und ich hab nachgedacht, was die Gründe sein könnten.“ Im weiteren Verlauf des Gespräches werden verschiedene Hypothesen dazu ausgetauscht. Zum Beispiel führt Unsicherheit durch Unbekanntes dazu, lieber beieinander zu bleiben. Aber auch für andere kann eine starke Gruppenzugehörigkeit abschreckend sein, Kontakt aufzunehmen, auch wenn es Interesse gäbe für einzelne Personen oder auch die ganze Gruppe.
Dieses Phänomen ist unseren Expert:innen durchaus auch aus ihrer Arbeit mit Gruppen bekannt. Manchmal bilden sich (recht schnell) Subgruppen, vor allem bei Gruppen, die länger bestehen, wie bspw. bei Lehrgängen. Das kann zu anstrengenden Dynamiken führen, sowohl für die Gruppe als auch für Trainer:innen und Referent:innen. Grundsätzlich ist die Ausdifferenzierung von Beziehungen, auch von Nähe und Distanz, in Gruppen nicht negativ und die Bildung von Subgruppen kann eine Form davon sein. Schwierig ist es, wenn sich Normen und Ziele der Gruppen (siehe dazu auch #grumo_05 zum Thema Gruppenphasen) zu sehr unterscheiden und die gesamte Gruppe gemeinsam nicht mehr arbeitsfähig ist. In der weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema unterscheiden unsere fünf Expert:innen folgende Subgruppen:
1. Subgruppen, die schon als solche daherkommen
„Das hab ich schon oft erlebt, vor allem in Lehrgängen. Mir ist es wichtig, das schon ganz zu Beginn, wo ich den Fokus auf den Kennenlernprozess der Teilnehmenden habe, transparent zu machen. Wer kennt wen? Wer kennt vielleicht noch niemanden? Wer kommt aus dem selben Betrieb, der selben Gewerkschaft, ist miteinander befreundet?“ erzählt Rudi aus dem Nähkästchen. „Und was hilft die Transparenz in diesem Fall?“ fragt Paul nach, der noch weniger Erfahrung mit diesem Phänomen hat.
Yasemine meldet sich zu Wort „Darf ich, Rudi?“ Dieser nickt und Yasemine setzt fort: „Meiner Meinung wirkt sich das auf zumindest zwei Ebenen positiv aus: Erstens sind das wichtige Infos für alle Beteiligten, inklusive mir als Trainerin. Es unterstützt dabei, Handlungen richtig einzuordnen. Wieso tut der mit ihr so und mit mir so? Wenn ich weiß, dass die sich schon kennen, gibt es weniger Potential für Irritationen. Zweitens wird damit auch gesetzt, dass diese Unterschiede okay und vielleicht sogar erwünscht sind. Ich muss nicht mit allen gleich tun und alle gleich gerne mögen. Für Kooperation ist das nicht nötig.“
2. Subgruppen, die im Wettbewerb stehen
„Es kann aber schon auch passieren, dass Subgruppen sich miteinander reiben (siehe dazu auch #grumo_05 zu „storming“ in Gruppen). Da wird dann das gemeinsame Ziel aus den Augen verloren und es geht nur noch darum, besser zu sein. Das ist dann ganz schön anstrengend!“ erzählt Maria dieses Mal und führt weiter aus, dass es aber durchaus möglich sein kann, diese Dynamik auch zu nutzen, indem zum Beispiel Wettbewerb im Sinne eines gemeinsames Zieles für die Gruppe auch gefördert wird. „Beispielsweise bei einem Fachtraining, Hausnummer: Arbeitsrecht. Ich fordere zur selbstständigen Bildung von Kleingruppen auf, jede Kleingruppe bekommt ein Thema und muss dieses für die gesamte Gruppe aufbereiten und präsentieren. Das bringt allen was und, meiner Erfahrung nach, beruhigt sich die Atmosphäre dann auch, wenn dem Wettbewerb Raum gegeben wurde.“
Beate ergänzt anschließend, dass es auch Sinn machen kann, die Gruppenteilung so zu machen, dass eben diejenigen miteinander in eine intensivere Arbeitsphase gehen, die nicht so eng sind miteinander. Wichtig dabei ist es, sich in der anleitenden Funktion nicht gegen großen Widerstand durchsetzen zu wollen. Gegebenenfalls ist es auch sinnvoll, den Widerstand zu thematisieren und gemeinsam zu schauen, was es jetzt braucht, damit genügend Arbeitsfähigkeit und Kooperation zur Erreichung der gemeinsamen Ziele möglich sind.
3. Meinungsgrupppen mit starken Positionen
Paul bringt noch ein weiteres Beispiel, bei dem er das Gefühl hatte, anzustehen: „Ich weiß gar nicht mehr so genau, worum es bei dem Training eigentlich ging. Jedenfalls habe ich mit einer Gruppe gearbeitet, in der Zeit der letzten Bundespräsidentschaftswahl, die ja über Monate ein heißes Thema war und auch ziemlich polarisiert hat. Diese Polarisierung hatte sich auch in „meiner“ Gruppe abgebildet und die Atmosphäre zu weiten Teilen bestimmt. Ich war einfach nur froh, als die Zusammenarbeit mit der Gruppe beendet war. Es blieb dennoch ein schaler Nachgeschmack und ich hab die Erfahrung dann in einer Supervision bearbeitet.“
Solche Beispiele kennen die vier anderen auch. „Was hast du in der Supervision dazu rausgefunden?“, wird daher interessiert nachgefragt. Paul berichtet von mehreren Erkenntnissen, eine davon war, dass das Zulassen von starken Positionierungen durchaus okay sein kann, aber mit Achtsamkeit darauf, was diese im „Hier und Jetzt“ bedeuten. „Ich frag mich dann, was Gründe sein könnten, dass die Positionierungen jetzt transparent werden. In so einer Situation bin ich doppelt froh, wenn ich zu zweit arbeite, weil dann automatisch mindestens zwei Perspektiven zu Verfügung stehen“, erzählt Paul weiter.
Infos für das „Wie weiter?“ im „Warum?“ suchen…
Wurden möglich Gründe identifiziert, geben diese Hinweise darauf, welche Art von Interventionen hilfreich sein könnten, um die Kooperationsbereitschaft zu stärken, auch wenn es zu wichtigen Themen entgegengesetzte Standpunkte gibt.
Maria meldet sich mit einem konkreten Beispiel dazu: „Ich hatte letzte Woche mit einer Gruppe zu tun, wo in der Mittagspause das Thema Impflicht aufkam. Die Meinungen dazu reichten von klar pro zu klar contra. Einige äußerten auch Ambivalenz oder Desinteresse zu dem Thema. Jedenfalls war die Stimmung nach der Mittagspause ziemlich angespannt und ganz anders als davor. Nachdem ich meine Irritation über den Stimmungswechsel transparent gemacht hatte, habe ich direkt in die Gruppe nach dem Grund dafür gefragt. Nach anfänglichem Zögern gab es Rückmeldung dazu und im Plenum begann sich eine Diskussion über Vor- und Nachteile einer Impflicht zu entspinnen.
Ich hab dem ein paar Minuten Raum gegeben und dann vorgeschlagen, gemeinsam zu besprechen, was es braucht, damit wir am eigentlichen Thema weiterarbeiten können. Wichtig war mir dabei auch, anzuerkennen, dass dies ein Thema ist, das viele Menschen gerade sehr beschäftigt und es ganz normal ist, dass die unterschiedlichsten Positionen dazu auch hier in der Gruppe sichtbar werden. Nach einer weiteren halben Stunde gab es die Vereinbarung – zumindest hier in der Gruppe – die unterschiedlichen Meinungen zu respektieren, die Bewertungen dazu hinten anzustellen und das Thema auch in den nächsten beiden Pausen außen vor zu lassen. Die Stimmung entspannte sich ein wenig und es war gut möglich, weiterzuarbeiten.
In der Abschlussrunde wurde von ein paar Teilnehmenden nochmal Bezug auf die Situation genommen, indem beispielsweise rückgemeldet wurde, sich den hier erlebten Umgang mit dem Thema in den Alltag mitnehmen zu wollen.“ Ganz still war es gewesen, als Maria die Situation und ihren professionellen Umgang damit geschildert hatte. Jetzt begann Rudi zu klatschen, die anderen drei stimmten mit ein und schienen erleichtert zu sein, dass ihre persönlichen Meinungen zu diesem Thema auch hier in ihrer Gruppe gut außen vor gelassen werden konnten.
Bei ihrem nächsten Treffen wollen sich die Fünf Gedanken darüber machen, welche Auswirkungen der physische Raum und die Ausgestaltung des selbigen auf die Gruppendynamik haben kann.
Autorinnen: Gerda Kolb und Irene Zavarsky
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