Der Name Paulo Freire ist vermutlich schon vielen Blogleser:innen untergekommen. Vielleicht liefert das Gehirn auch gleich den Begriff: „Befreiungspädadogik“ oder „Pädagogik der Unterdrückten“ nach, die eng mit Freire verbunden sind.
Die diesjährigen #dimi Beiträge widmen sich wichtigen Persönlichkeiten, die die Bildungspraxis nachhaltig beeinflusst haben. Nach der aufwühlenden Auseinandersetzung mit Maria Montessori (#dimi_24) folgt nun die Beschäftigung mit einer sehr politischen Strömung der Pädagogik.
Paulo Freire, ein brasilianischer Pädagoge und Philosoph, hat mit seinem Werk „Pädagogik der Unterdrückten“ die Bildungstheorie und -praxis weltweit nachhaltig beeinflusst. Er entwickelte seine revolutionären Ideen in einer Zeit tiefgreifender sozialer Ungleichheit und politischer Unterdrückung mit dem Ziel der bestehende Herrschaftsverhältnisse durch Bildung aufzubrechen.
Kurz zu seinem Leben. Paulo Freire wurde 1921 im brasilianischen Recife geboren. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften wandte er sich der Erwachsenenbildung und Pädagogik zu. Freire entwickelte eine umfassende Alphabetisierungsmethode, mit der Erwachsenen in nur 40 Stunden lesen und schreiben lernen können. Diese Methode wurde auch in einem groß angelegten Alphabetisierungsprogramm in Brasilien eingesetzt. Nach einem Militärputsch ging er 1964 ins Exil und arbeitete international als Berater für Bildungsfragen. Freire setzte sich zeitlebens für eine emanzipatorische Bildung ein und lehnte jede Form von Bevormundung ab. Er starb 1997 in São Paulo.
Seine Erfahrungen mit Armut und Analphabetismus in Brasilien prägten sein Verständnis von Bildung als einem Instrument der Befreiung. Freires Ansatz, die „Befreiungspädagogik“, zielt darauf ab, die traditionelle hierarchische Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden aufzubrechen und Bildung als einen dialogischen Prozess zu gestalten, in dem die Lernenden als aktive Subjekte agieren.
Bildung als Praxis der Freiheit
„Keiner kann echt menschlich sein, während er andere daran hindert, dies zu sein.“
Paulo Freire
Freire kritisierte das traditionelle Bildungssystem, das er als „Bankiers-Modell“ bezeichnete, in dem Lehrende Wissen als eine Art „Einzahlung“ in die Köpfe der Lernenden betrachteten. Dieser Artikel beschreibt dieses etwas ausführlicher.
Das „Bankiers-Konzept“, das das traditionelle Bildungssystem prägt, fördert nach Freire die Reproduktion bestehender sozialer Ungleichheiten, da es die Lernenden passiv hält und eine kritische Reflexion ihrer eigene Lebenssituation verhindert. Im Gegensatz dazu schlägt Freire eine „problemformulierende Bildung“ vor, die auf Dialog, kritischem Denken und der Bewusstwerdung der eigenen sozialen Realität basiert. Ziel dieser Pädagogik ist es, die Lernenden zu befähigen, die Ursachen ihrer Unterdrückung zu erkennen und aktiv an ihrer Überwindung zu arbeiten. Somit kann er als er Wegbereiter der Idee der Ermächtigung bezeichnet werden. In diesem beeindruckenden Interview bringt er seine Gedanken auf den Punkt.
Relevanz für die gewerkschaftliche Erwachsenenbildung
Gewerkschaftliche Erwachsenenbildung hat traditionell das Ziel, Arbeiter:innen zu stärken und sie in die Lage zu versetzen, ihre Rechte zu verstehen und zu verteidigen. Vor diesem Hintergrund sind die Ansätze Freires von besonderer Relevanz. Seine Idee, Bildung als Bewusstwerdungs- und Befreiungsprozess zu verstehen, passt hervorragend zu den Zielen gewerkschaftlicher Bildungsarbeit, die auf politische Partizipation und kritisch-solidarisches Denken zielt, wie in diesem #thedi Blogbeitrag dargelegt.
Die Prinzipien Freires gehen seit jeher Hand in Hand mit den Anliegen gewerkschaftlicher Bildungsarbeit. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung von Wissen über Arbeitsrecht und Tarifverhandlungen, sondern um eine tiefer gehende, kritisch-reflexive Bildung, die den gesellschaftlichen und politischen Kontext einbezieht.
Wie aktuell sind Freires Ideen heute?
Auch wenn ich beobachte, dass der Begriff „Befreiungspädagogik“ oder „Pädagogik der Unterdrückten“ wesentlich seltener verwendet wird, finde ich es immer wieder wichtig, an die Quellen der Ideen zurückzugehen und die Pionier:innen als Vordenker:innen anzuerkennen. Sehr treffend formuliert es Andreas Novy
„Seine Aktualität besteht nicht in einer besonderen Theorie, sondern in seiner dialogischen Haltung und seinem nicht-dualistischen Zugang zur Welt und zu den Menschen. Sie ermöglichen, die Widersprüchlichkeit der Welt anzuerkennen, ohne zynisch oder resigniert zu werden.“
Viele Konzepte, die heute oft als Modebegriffe erscheinen, haben ihren Ursprung in Freires Arbeit und wurden durch seine Ideen weltweit verbreitet. Das Paulo Freire Zentrum ist in Österreich eine wichtige Institution, die die Aktualität von Freires Konzepten am Leben erhält und in aktuelle gesellschaftskritische Diskussionen einbringt.
Letztlich geht es immer um die Frage der Haltung, die Schaffung eines kritischen Bewusstseins (Conscientização) und die Stärkung der Solidarität.
Mehr zu Paulo Freire
Auf der Website des Paulo Freire Zentrum Wien findet ihr mehr zu Freire’s Leben und ein übersichtliche Literaturliste in verschiedenen Sprachen.
Im zweiten Beitrag der Blogreihe zum Thema Lehrgangsbegleitung dreht sich alles um Beziehung. Wie schon im letzten Blogbeitrag erwähnt, besteht ein wichtiges Ziel der Lehrgangsbegleitung in der Rollen- und Persönlichkeitsentwicklung der Teilnehmer:innen in Bezug auf deren gewerkschaftlichen Haltungen und Werte. Dies passiert auf der Ebene der Beziehung. Im Rahmen der Beziehung werden Werte und Haltungen erfahren und erlebt.
Das „Schöne“ am Präsentieren mit dem Flipchart: Es braucht keine technische Einweisung, keinen Strom. Nichts ist zwischen mir und meinem Publikum. Dazu kommt der Charme des Analogen, fast schon retro. Mit ein paar Tipps wird es noch „schöner“, noch wirksamer im Lernprozess und noch einfacher.
Die Referentin oder der Referent steht mit dem Flipchart vor den Zuhörer:innen und vermittelt Inhalte. In Zeiten von PowerPoint-Monokultur eine wohltuende Abwechslung. Wir stehen in direktem Kontakt mit unserem Publikum. Auf dem Flipchart – reduziert auf das Wesentliche – sind unsere Kernbotschaften visualisiert. Flipchart-Teaching ist immer zeitlich begrenzt. Es soll nicht andere Präsentationsformen gänzlich ersetzen, sondern ergänzen.
Die Arbeiterkammerwahlen sind geschlagen, auch jene zum EU Parlament. In Russland, Mexiko, Südafrika wurde gewählt und die größten demokratischen Wahlen der Welt in Indien sind vorüber. Die Parlamentswahlen in Österreich und die Präsidentschaftswahlen in den USA stehen vor der Tür und man gewinnt den Eindruck, als stünde die demokratische Ordnung an sich zur Wahl.
Wahlkabine.at ist eine unabhängige Online-Plattform, die Wähler:innen in Österreich dabei unterstützt, ihre politischen Standpunkte mit den Positionen der kandidierenden Parteien abzugleichen. Durch die Beantwortung eines Fragebogens zu aktuellen politischen Themen zeigt die Plattform, welche Partei am besten zu den eigenen Ansichten passt.
Gewerkschaftsschule, SOZAK, BRAK. Lehrgänge in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Von 3 Monaten bis 2 Jahren. Von Vollzeit bis berufsbegleitend. Daneben noch einige „kleinere“ wie FRAPOL, IFAM oder BVP – es gibt Unterschiede und Gemeinsamkeiten, auch auf Ebene der Lehrgangsbegleitung. Gewerkschaftliche Bildung ist immer auch politische Bildung, weshalb neben den (rechtlichen, wirtschaftlichen, politischen etc.) Inhalten der Schwerpunkt auf der Vermittlung der gewerkschaftlichen Werte bzw. der Rollenentwicklung als Betriebsrät:in, Personalvertreter:in und Gewerkschafter:in liegt.
Herausforderungen und Chancen für die Erwachsenenbildung
Die KEBÖ Jahrestagung 2024 widmet sich dem Thema „DEMOKRATIE lernen“ und beleuchtet die Herausforderungen und Chancen für die Erwachsenenbildung. Mit spannenden Keynotes von Expert:innen wie FH-Prof.in MMag.a Dr.in Kathrin Stainer-Hämmerle und Journalistin Ingrid Brodnig, einem moderierten Wissenstalk sowie Projektpräsentationen bietet die Veranstaltung eine Plattform für den Austausch und die Weiterbildung. Die Teilnahme ist kostenlos, die Anmeldung bis 18.09.2024 ist online möglich.