Schlüssel zum Lernerfolg oder nur nervige Methode?
Die Ankündigung „Heute machen wir ein Rollenspiel“ löst selten Begeisterungsstürme auf Teilnehmer:innenseite aus. Das mag einer der Gründe sein, warum die Methode zumindest in der klassischen Variante immer weniger eingesetzt wird. In drei Beiträgen will ich das Rollenspiel aus dem Schattendasein holen. Es ist eine effektive Methode, um Verhalten zu reflektieren und zu verändern.
Rollenspiel klassisch
Das Rollenspiel ist eine Methode, in der Lernende in definierten Rollen und Situationen Verhalten ausprobieren und anschließend bewerten. Ein Beispiel aus der Ausbildung von Betriebsrät:innen: Die frisch gewählte Betriebsrät:in macht einen „Antrittsbesuch“ bei der gewerkschaftskritischen Unternehmensleitung. Die Situation wird durch die Spielleiter:in genau beschrieben, ebenso die Rollen. Dazu bekommen die Spieler:innen detaillierte Rollenkarten und ausreichend Zeit, um sich auf die Rolle einzustellen. In dieser ersten Phase des Rollenspiels (Vorbereitungsphase) werden auch die anderen Mitglieder der Lerngruppe gebrieft. Sie beobachten während der zweiten, der Durchführungsphase, das Verhalten der Spieler:innen, in unserem Beispiel das der Betriebsrät:in. In der dritten Phase (Auswertungs – und Entlassungsphase) wird das Verhalten anhand der Beobachtungen diskutiert und bewertet. Möglicherweise führt das zu einem zweiten Durchlauf mit verändertem Verhalten und neuen Spieler:innen. Wichtig ist in der letzten Phase, dass spielende Teilnehmer:innen aus ihrer Rolle entlassen werden.
Regeln und Tipps für Rollenspiele
Die Lerngruppe ist vertraut.
Rollenspiele eignen sich wenig für die Anfangsphase von Seminaren und Trainings. Gegenseitiges Vertrauen ist nötig.
Freiwilligkeit
Wer am Rollenspiel teilnimmt, macht das aus freien Stücken und kann auch während des Rollenspiels abbrechen.
Professionelle Anleitung
Spielleiter:innen sollten im Idealfall Erfahrung mit Rollenspielen haben und speziell für diese Methode ausgebildet sein.
Ausreichend Zeit
Rollenspiele sind nichts für „auf die Schnelle“. Die drei Phasen (Vorbereitung, Durchführung, Auswertung) brauchen Zeit. Spielerinnen sollten sich nach dem Briefing auf die Situation und auf die Rollen einstellen können. Die Durchführung (ohne Unterbrechung) dauert, weil sich das Spiel ja erst entwickeln muss und die Auswertung verträgt keine Hetze.
Das Entlassen aus der Rolle ist ein Muss!
Unmittelbar nach dem Rollenspiel ist es Aufgabe der Spielleitung, die spielenden Teilnehmer:innen aus ihrer Rolle zu entlassen. Das ist mitunter nicht ganz einfach, besonders, wenn sich Teilnehmende mit ihrer Rolle identifizieren. Erfahrene Rollenspiel-Anwender geben den Spielenden für die Zeit des Spiels andere Namen und ein Accessoire (einen Hut, einen Anstecker oder ein Tuch), das mit der Rolle abgegeben wird.
Wie lernen Teilnehmer:innen bei einem Rollenspiel?
Durch Beobachten
Am intensivsten lernen die zuschauenden Teilnehmer:innen, deren Verhalten gespielt wird. In unserem Beispiel sind das die Betriebsrät:innen, die beobachten, wie sich andere beim Antrittsbesuch verhalten.
Durch Spielen
In Rollen schlüpfen und sehen, welche Wirkung mein Verhalten bei anderen auslöst. Das Rollenspiel-Setting erlaubt auch Verhalten „auszuprobieren“, das man sonst nicht zeigt.
In fremden Rollen agieren
Wie ist das, wenn ich als Chef:in auf eine neue Betriebsrät:in mit viel Courage und Selbstbewusstsein treffe?
Durch die Auswertung
Welches Verhalten führt zu welcher Reaktion? Welche Spielräume und Handlungsvarianten habe ich? Gibt es No-Gos?
Warum sind Rollenspiele nervig?
Rollenspiele führen Lernende raus aus der Komfortzone. Ich muss mich vor anderen wie auf einer Bühne produzieren. Alle Augen sind auf mich gerichtet und anschließend wird auch noch darüber gesprochen. Das erzeugt Stress. Allein das Wort „Rollenspiel“ scheint bei vielen Teilnehmer:innen so etwas wie eine Allergie auszulösen. Während vor zwanzig Jahren Rollenspiele eine gern gesehene Abwechslung zum sonst üblichen Frontalvortrag war, wird sie bei der Frage nach nervigen Methoden mit am ersten genannt. Wie bei Rollenspielen Stress vermieden werden kann, dazu gibt es einen eigenen Blogbeitrag.
Zum Weiterlesen:
Schaller, Roger (2001): Das große Rollenspiel-Buch. Grundtechniken, Anwendungsformen, Praxisbeispiele. Beltz-Verlag, Weinheim.
Autor: Ulli Lipp
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