Einsatz von Psychodrama in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit – Teil 3
Nachdem beim letzten Mal #mm unterschiedliche Rollenkonflikte beschrieben wurden, widmen wir uns heute der Frage, wie wir mit den innerpsychischen Rollenkonflikten der Teilnehmer:innen in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit umgehen können. Hierfür möchte ich einige Übungen/ Interventionen vorstellen, die mit einer Gruppe in der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung durchgeführt werden können. Mit gewissen Modifikationen sind alle Übungen auch im Einzelsetting, etwa im Rahmen eines Coachings, anwendbar.
Ausgangspunkt – das Selbst
Das Selbst ist kein einheitliches oder starres Konstrukt, sondern kann als sich ständig veränderndes Gebilde unterschiedlicher Rollen verstanden werden, die die eigene Identität ausdrücken. Diese inneren Rollen befinden sich sowohl untereinander als auch in Bezug auf die Außenwelt in ständiger Bezogenheit und Beeinflussung, wobei diese Beziehungen (auch die inneren) nicht immer konfliktfrei verlaufen.
Einige Beispiele dieser Konflikte, die auf widersprüchliche Selbstbilder, Ziele und Motive zurückzuführen sind, findet ihr im vorherigen Blogbeitrag. Hierbei ist noch einmal zu betonen, dass die Rollen durch kollektive und soziokulturelle Stereotype (z.B. Berufsrollen wie Krankenpfleger:in, aber auch etwa die Rolle als Betriebsrät:in), von individuellen Interpretationen der jeweiligen Rollen (z.B. wie gestalte ich – ganz individuell – die Rolle als Betriebsrät:in) sowie von der aktuellen Situation (z.B. wer ist mein konkretes Gegenüber, Ort der Begegnung,…) beeinflusst werden. (vgl. Schnabel et al. 2019, S. 16f)
Ziel psychodramatischer Arbeit besteht darin, die innere Rollenvielfalt mitsamt der dazugehörigen Ambivalenzen und Spannungen zu erkennen, um (wieder) in die Regieposition zu kommen. Dies bedeutet, dass die zur Verfügung stehenden Rollen stimmig für die jeweilige Szene/Situation eingesetzt werden. Wenn die verschiedenen „Teil-Selbst nicht harmonisch zusammenspielen […] kann dies zu Schwierigkeiten führen“.
Die psychodramatische Arbeit mit inneren Anteilen orientiert sich an folgendem Ablauf:
- Herausarbeiten innerer Anteile
- Exploration der inneren Anteile
- Interaktion im szenischen Spiel
- Integration (Analyse des Zusammenspiels, Erkennen von Ressourcen und Hindernissen, Entwicklung einer Veränderungsstrategie)
- Realitätsprobe
In der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit können, je nach Fragestellung und Setting, unterschiedliche Schritte dieses Ablaufs herangezogen werden.
Wie kann ich das nun in der Praxis anwenden?
Herausarbeiten innerer Anteile/Rollen
Dieser Schritt kann auf unterschiedliche Weise erfolgen, wobei es immer darum geht, die inneren Anteile zu identifizieren. Da sich die aktiven inneren Anteile je nach Situation verändern können, ist es sinnvoll, sich auf eine konkrete Szene zu fokussieren.
Ausgangspunkt ist eine konkrete Fragestellung oder Situation. Z.B. Dynamik/Zusammenarbeit im Betriebsratsgremium. In dieser Situation können die inneren Anteile der/die Ungeduldige, der/die Harmoniebedürftige… ausgemacht werden.
Exploration innerer Anteile
Nachdem die inneren Anteile/Rollen identifiziert werden konnten, kommt es in diesem Schritt zu einer genaueren Analyse der inneren Anteile, zum Beispiel anhand von folgenden Fragen:
- Wie lange ist dieser Anteil schon präsent?
- In welchen Situationen meldet er sich?
- Welche Wünsche, Bedürfnisse, Motive treiben den Anteil an?
Diese ersten beiden Schritte geben bereits einen ersten wichtigen Eindruck hinsichtlich der Herausforderungen in alltäglichen Situationen.
Die Einzelnen inneren Anteile werden genauer in den Fokus genommen. Z.B wann meldet sich der/die Ungeduldige? Welche Bedürfnisse, welcher Wunsch steht hinter dem inneren Anteil der/des Harmoniebedürftigen?
Szenisches Spiel
Dieser Schritt ist entweder im Einzelsetting (z.B. im Rahmen eines Einzelcoachings) mit Hilfe von Intermediärobjekten (das sind z.B. Symbole, Sessel,…) oder im Gruppensetting (Aufstellung und/oder Rollenspiel der inneren Anteile einer Person mit Hilfe der anderen Gruppenmitglieder) durchführbar. So können die Dynamik bzw. das Zusammenspiel und die Konflikte der inneren Anteile erfahrbar gemacht werden.
Im Szenischen Spiel kann (im Gruppensetting) mit Hilfe der Gruppenmitglieder ein Treffen der BR-Körperschaft nachgespielt werden. Zu den realen Personen kommen auch die inneren Anteile der/die Ungeduldige und der/die Harmoniebedürftige auf die Bühne.
Integration
In diesem Schritt kann das Zusammenspiel der inneren Anteile genauer nachbetrachtet werden. Wo gibt es Konflikte, Blockaden, Ressourcen… und welche Veränderungsstrategien können daraus entwickelt werden?
Hierbei ist es wichtig, das Zusammenspiel mit dem äußeren sozialen Kontext (im Fall der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit wäre das etwa die reale betriebliche Situation, das gewerkschaftliche Umfeld…) zu verstehen und mitzuberücksichtigen. Jedes Gruppenmitglied, das auch eine Rolle bzw. einen inneren Anteil auf der Bühne übernommen hat, bekommt die Gelegenheit, in einem Rollenfeedback über die Erfahrungen in der Rolle zu berichten.
Das Spiel wird analysiert. Wo gab es Koalitionen, Zusammenarbeit, Konflikte? Wie war das Zusammenspiel, was hat sich entwickelt? Was hat sich wie angefühlt (im Innen und Außen)? Welche Schlüsse können daraus gezogen werden? Welche Veränderungsstrategien können entwickelt werden (welche Rolle soll gestärkt/entwickelt werden, welche soll weiter in den Hintergrund treten…)?
Realitätsprobe
Diese kann erneut mit Hilfe eines psychodramatischen Rollenspiels/Aufstellung erfolgen, in dem die Szene auf der Bühne mit Hilfe der Gruppe nachgespielt wird (mit den veränderten inneren Anteilen).
Vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse können in einem weiteren Rollenspiel die neu ausgerichteten inneren Anteile zur Wirkung kommen.
Wenn Themen Einzelner in der Gruppe, mit Hilfe der Gruppe, bearbeitet werden, ist es wichtig, dass es durch ein Sharing zu einer Vergemeinschaftung, zu einem Teilen von gleichen/ähnlichen Erlebnissen, zu einem Verstehen … zu einer Entlastung kommt. Beim Sharing erzählt jedes Gruppenmitglied, woher sie selbst das bearbeitete Thema kennt bzw. was bei ihm/ihr angeklungen ist. Wichtig beim Sharing ist es, darauf zu achten, dass die Äußerungen in Form von persönlichen Aussagen (Ich-Form) erfolgen, nicht wertend oder deutend sind und keine Ratschläge enthalten. Das Sharing hilft dabei, das Thema zu einem Gruppenthema zu machen.
Fazit
„Handeln in sozialen Kontexten ist nur dann gelungen, wenn es sowohl dialogisch wie auch innerlich stimmig ist. Das heißt, Handeln muss einerseits auf die InteraktionspartnerInnen und die Situation abgestimmt werden, aber andererseits auch als authentisch erlebt (…) werden können.“ (von Ameln. 2019, S. 38)
Die gewerkschaftliche Tätigkeit ist vielfältig. Um die Herausforderungen zu bewältigen, braucht es ein breites Rollenrepertoire und die Fähigkeit, dieses zielgerichtet einzusetzen.
Zum Weiterlesen
- Schnabel, Konrad; von Ameln, Falko; Stadler, Christian: Innere Anteile und lebendige Teilhabe. Pluralistische Konzeptionen des Selbst in verschiedenen Theorieansätzen. In: Stadler, Christian; Spitzer-Prochazka, Sabine (Hrsg.): Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. Themenschwerpunkt: Arbeit mit inneren Anteilen. Springer. Jahrgang 18. 2019
- Von Ameln, Falko; Schnabel, Konrad; Stadler, Christian: Psychodramatische Arbeit mit inneren Anteilen. In: Stadler, Christian; Spitzer-Prochazka, Sabine (Hrsg.): Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. Themenschwerpunkt: Arbeit mit inneren Anteilen. Springer. Jahrgang 18. 2019
- Schlüter, Christiane: „Ich teile mit dir …“. Das Sharing als zentrale Technik des Psychodramas. In: Wickert, Nadine; Stadler, Christian (Hrsg.): Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie. Integrationsphase. Springer. Jahrgang 17. Heft 2. Oktober 2018
- Von Ameln, Falko: Psychodrama: Grundlagen. 3. Auflage. Springer. 2014
- ÖAGG Psychodrama
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Autor: Markus Reisinger
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