Präsenztrainings laufen wieder an. Jetzt sind Methoden gefragt, bei denen wir uns nicht zu nahe kommen und bei denen auch sonst das Infektionsrisiko minimiert wird. Da gibt es viel mehr als den Frontalvortrag. Methodenvielfalt und speziell die Aktivierung der Teilnehmer*innen sind auch in Pandemiezeiten angesagt! Hier unsere Erfahrungen nach Praxistests.
Wie groß ist ein Babyelefant?
Das Virus ist dasselbe, die angesagten Abstände für Präsenztrainings sind verschieden. In Österreich ist das 1 Meter oder die Einheit „Babyelefant“, in Deutschland 1,5 Meter. Das gilt auch für die meisten anderen Länder in Europa. Wenn diese Mindestabstände nicht einzuhalten sind, ist die Maske Pflicht. Ich habe Methoden unter „Corona-Bedingungen“ in Österreich und Deutschland ausprobiert.
Methoden „Vorher“ und „Jetzt“ unter Corona-Bedingungen
Smart-Start zum Warmwerden auch für Gruppen, die sich schon gut kennen:
Vorher: „Nehmt bitte euer Smartphone und sucht ein Foto, das etwas über euch aussagt!“ Dann stellen sich die Teilnehmer*innen eng zusammen, zeigen sich jeweils das Foto und erklären ganz kurz, was es damit auf sich hat. Jetzt: Eng zusammen geht gar nicht. Alle bleiben auf ihrem Platz und anstatt das Foto zu zeigen, beschreiben sie, was darauf zu sehen ist. Bewertung: Das klappt erstaunlich gut und hat sogar den Vorteil, dass es überhaupt kein Problem ist, wenn jemand kein Smartphone mit Fotos griffbereit hat. Ein fiktives Foto wird so beschrieben, dass bei den Zuhörenden ein Bild im Kopf entsteht.
Teilnehmer*innenspiegel:
Vorher: Teilnehmer*innen kommen in den Seminarraum und werden gebeten, sich in eine Tabelle auf der Pinnwand mit Name und je nach Thema Erfahrung, Hintergrund und auf alle Fälle einer Info aus dem Privatleben einzutragen. Das schafft schon beim Reinkommen Nähe und zwanglosen Austausch. Jetzt: Die Teilnehmer*innen gehen auf ihre Plätze und füllen dort ein A3-Blatt mit denselben Informationen aus, die ich einsammle und an die Pinnwand hänge. Bewertung: Der Nutzen, dass man immer wieder mal nachschauen kann (Wer ist eigentlich wer?) bleibt erhalten, aber die lockernde Wirkung und der schnelle Kontakt am Anfang gehen verloren.
Stellung nehmen/Aufstellungen nicht nur zum Start:
Vorher: Teilnehmer*innen stellen sich auf einer meist gedachten Linie zwischen zwei Polen auf (zum Beispiel viel und wenig Erfahrung). Oder: Statements werden im Raum verteilt: Steht bitte auf und stellt euch zu der Aussage, die für euch zutrifft! Dabei kommen sich einige sehr nahe. Jetzt: Die Teilnehmer*innen haben sich vorher schon einmal auf kleinen runden Karten gegenseitig (mit Abstand natürlich) porträtiert. Die Aussagen und die Linie sind auf der Pinnwand visualisiert. Die Trainer*in platziert die Kreise nach Ansage der Teilnehmer*innen an der Pinnwand. Bewertung: Beschrieben klingt das sehr kompliziert, die praktische Durchführung ist ganz simpel und hat sogar Vorteile gegenüber früher: Die Pinnwand kann ich dokumentieren. Für manche Teilnehmer*innen sind Aufstellungen nervig. In der „Corona-Version“ können sie sitzen bleiben. Ein Tipp: Wenn die Gruppe so klein ist, dass ich sie mit Abstand um die Pinnwand versammeln kann, arbeite ich mit Zeigestöcken: Ich möchte genau da hin!
Kartenabfragen zum Sammeln und Zusammentragen:
Vorher ließ ich die Karten in Kleinstgruppen schreiben. Die Teilnehmer nadelten sie selbst an. Da gab es Gedränge genau wie beim anschließenden Clustern. Jetzt bleiben die Teilnehmer*innen sitzen. Zu zweit mit einer Nachbar*in über die Fragestellung reden geht, weil sie mit Abstand sitzen. Die Trainer*in sammelt die Karten ein (eventuell mit Mundschutz, wenn der Abstand durch Zurückrutschen mit dem Sessel nicht hergestellt werden kann) und nadelt sie alleine an. Das Clustern geschieht auf Zuruf. Bewertung: Klappt gut. Mir fehlen das übliche Gewusel und die viele Bewegung bei der corona-tauglichen Kartenabfrage. Wenn Teilnehmer*innen zum gemeinsamen Beschriften der Karten die Sitzplätze verlassen, wird es aber immer kritisch mit den Abständen.
Punkten:
Die Gewichtung mit Klebepunkten am Flipchart oder an der Pinnwand sorgte vorher immer für Bewegung und meistens punkteten mehrere Menschen gleichzeitig. Wir mussten uns ja nicht aus dem Weg gehen. Jetzt schon. Deshalb punkte ich für meine Teilnehmer*innen auf Zuruf. Durchnummerierte Karten erleichtern das Verfahren! Bewertung: Funktioniert problemlos und deutlich geordneter als das „wilde Punkten“ vorher. Was allerdings auch hier schade ist: Wieder fällt eine Bewegungsmöglichkeit (Aufstehen und zur Pinnwand gehen) weg.
Karten ordnen:
Vorher gab ich Teilnehmer*innen einen Stapel vorbereiteter Karten (meist A4 oder A3) in die Hand mit der Bitte, die Karten in eine vernünftige Ordnung zu bringen. Dazu versammelte sich die Gruppe um eine Pinnwand, diskutierte eifrig und gemeinsam wurden die Karten in der besprochenen Anordnung an die Pinnwand gebracht.
Jetzt bleiben die Teilnehmer*innen auf ihren Plätzen. Ich übernehme die Aufgabe des Annadelns, mache das aber nur auf Zuruf und auch bei falschen Zuordnungen kommentarlos. Die Auflösung erfolgt wie früher erst dann, wenn die Gruppe sagt: So passt das für uns. Ich habe die Aufgabe des Nadelns und Moderierens beim Karten ordnen auch an eine Teilnehmerin/einen Teilnehmer übertragen. Die/Derjenige muss dabei auf Abstand zur Gruppe achten und sich vorher und nachher die Hände desinfizieren.
Methoden, die unverändert einsetzbar sind
Es gibt Methoden, die unverändert auch in Corona-Zeiten einsetzbar sind. Brainstorming am Flipchart, Mind-Mapping auf Zuruf, das Blitzlicht, wenn nicht gerade etwas weiter gegeben wird, Handzeichen- oder Schätzfragen, Storytelling, das alles sind Tools, bei denen eine Ansteckung vermieden wird, weil Teilnehmer*innen ihren festen Platz nicht verlassen müssen. Rätsel-, Quiz- und Abfragemethoden, die per TN-Smartphone und Beamer laufen, gehen genauso gefahrlos wie Einzelarbeiten in Unterlagen. Die Aussage „Jetzt geht nur noch Frontalbeschallung!“ ist also grundfalsch.
Kann ich Gruppen- und Partner*innenarbeit in Corona-Zeiten einplanen?
Gespannt war ich, wie Gruppen- und Partner*innenarbeiten unter Corona-Bedingungen funktionieren würden. Und da erlebte ich tatsächlich Probleme. Bei der Aufforderung, eine Aufgabenstellung zu zweit oder zu dritt unter Einhaltung der Abstandsregeln zu bearbeiten, fielen einige Teilnehmer*innen schnell in alte (und liebgewonnene) Verhaltensmuster zurück und kamen sich näher.
Dabei sind Gruppen- und Partnerarbeiten auch mit Abstand möglich. Die Tische, an denen sonst zwei Leute nebeneinander sitzen, setze ich für Zweierarbeiten so ein, dass die zwei Teilnehmer*innen an den Stirnseiten sitzen oder diagonal. Dann ist der Abstand auf alle Fälle da. Drei Tische zum Block zusammengeschoben erlauben auch Arbeiten mit Abstand in einer Dreier- oder Vierergruppe. Tische im Freien sind natürlich super, da kann der Abstand leicht eingehalten werden und für Durchlüftung ist auch gesorgt.
Gerade bei Gruppen- und Partner*innenarbeiten muss der Abstand immer wieder thematisiert werden und steht am besten sogar in der Anleitung!
Material und Raum
Aus einer Mail mit einem Corona-Kurzbericht an mich: „….Nur die Organisation von so manchem Lehrgang mit 16 und mehr Teilnehmer*innen macht größere Probleme. …. Die großen Räume bei uns im Werk sind sehr dünn gesät. Außerdem bin ich nicht allein mit dem Problem, es gibt viele, die große Räume benötigen…“ Es konnte ja niemand damit rechnen, dass plötzlich zwischen den Plätzen der Teilnehmer*innen 1 oder gar 1,5 Meter Abstand eingehalten werden müssen. Mein Glück bei meinen Präsenzseminaren bisher war, dass ich nur kleinere Teilnehmer*innengruppen bis 10 Leute hatte. Bewährt haben sich Einzeltische im lockeren U aufgestellt. (Siehe auch den Beitrag Lernen mit Abstand!) Aber das braucht Platz! Auf Sesselkreise verzichte ich ganz, weil die Sessel zu sehr zueinander „wandern“. Vielen Teilnehmer*innen wird der Sesselkreis-Verzicht ohnehin recht sein, zählt er doch ohnehin zu den eher nervigen Methoden.
Der freie Griff in den Moderationskoffer ist tabu. Teilnehmer*innen bekommen am Anfang eigene, frisch mit Desinfektionstuch abgewischte Stifte und benutzen immer nur die. Der Hausmeister in einem Tagungshaus hat für jede Teilnehmer*in einen Holzblock für die Stifte gefräst. Das schafft Ordnung auf den Tischen. Karten lege ich oft mit den Stiften auf die Tische, weil das Austeilen mit 1,5m Abstand schwierig ist.
Bewährt: Ein Spender mit Desinfektionsmittel und Desinfektionstücher, am besten in Türnähe und vor allem frei zugänglich und deutlich in den Mittelpunkt gerückt.
Für mein erstes Präsenztraining „danach“ gab mir Enkelin Sara, die nach ihren Schulerfahrungen auf Abstand neugierig nachgefragt hatte, 1,5 Meter lange und sauber entrindete Stöcke mit: „Damit die sehen, wieviel 1,5 Meter sind!“. Die Stecken wurden tatsächlich auch eingesetzt, vor allem als Zeigestab mit Abstand: „Da will ich meinen Klebepunkt oder meine Karte haben.“ Außerdem waren die Stöcke eine dauernde Mahnung: 1,5 Meter ist doch mehr als man glaubt!
Die Corona-Wächterfunktion
Wächterfunktionen in Workshops und Seminaren sind ja nichts Neues. Ich habe zusätzlich täglich wechselnde Corona-Wächter*innen eingeführt, die sofort interveniert haben, wenn jemand unvorsichtig geworden ist. Beispielsituation: Eine Teilnehmerin sagt: „Ulli, mach bitte mit meinem Handy ein Foto von mir mit diesem Flipchartplakat!“ Ich gehe schon auf sie zu, da kommt sofort ein lautes „Stopp!“ vom Corona-Wächter. Diese Wächterfunktion hat besser geklappt als gedacht, vor allem weil die Teilnehmer*innen das auch ernst genommen haben.
Auf die Einstellung der Teilnehmer*innen kommt es an!
Methodisch ist lebendiges Training mit vielen aktiven Phasen auch in Pandemiezeiten möglich. Das hat der Praxistest gezeigt. Es wird und kann aber nur funktionieren, wenn die richtige Einstellung bei den Teilnehmer*innen dazu kommt. Das ist eine positive Haltung zum Infektionsschutz und der feste Wille, so miteinander umzugehen, dass ein Ansteckungsrisiko minimiert wird. Ich hatte bisher immer sehr verantwortungsbewusste Teilnehmer*innen, die auch in den Pausen, beim Essen und vor und nach dem Training auf Abstand achteten.
Zu unserer Verantwortung als Referent*innen gehört auch, Vorbild im Verhalten zu sein, den Infektionsschutz immer wieder anzusprechen und einzuschreiten, wenn sich Teilnehmer*innen zu nahe kommen.
Autor: Ulli Lipp
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Lieber Ulli,
vielen Dank für Inspiration, jetzt kann ich mein 1. Wochenendseminar ruhig planen
Bleib gesund!
Hoffentlich sehen wir uns bald wieder persönlich
Liebe Grüsse
Günther
…einfach großartig. Ich liebe eure Dokumentationen, gerade auch weil sie so viele praktische Bilder in meinem Kopf anstoßen. Vielen Dank für eure dokumentierten Erfahrungen.
Lieber Herr Lipp,
vielen Dank für die wichtigen Hinweise und Ihre wertvollen Praxiserfahrungen.
Bleiben Sie gesund!
Herzliche Grüße aus München