Distance Learning gibt es in der gewerkschaftlichen Bildung seit dem vorigen Jahrhundert. Damals hieß das „Briefschule“. Auch heute experimentiert Bildung mit unterschiedlichen Bildungsformaten, um möglichst viele Betriebsrät:innen zu erreichen. In dieser zweiteiligen Interview-Serie erzählen Sabine Letz (Geschäftsführerin VÖGB) und die Historikerin Brigitte Pellar, welche Bildungsformate gut funktionier(t)en und warum die Wahl des Bildungsformats auch eine politische Frage ist.
Sabine Letz macht den Anfang und verrät uns unter anderem, was die Erschöpfung der Gesellschaft mit Weiterbildung zu tun hat.
#geb: Sabine, der Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB) bietet Onlinekurse, Selbstlernangebote und klassische Präsenzseminare. Von zwei Stunden bis mehrere Tage. Welche Bildungsformate funktionieren am besten?
Sabine Letz: Heute können wir als Bildungsanbieter nicht mehr sagen „Dieses oder jenes Format ist das beste!“ Seit Jahren zeigt sich, dass eine große Vielfalt bei den Settings wichtiger wird. Die Pandemie hat diese Entwicklung beschleunigt. Wir bieten daher im VÖGB kurze und lange Formate in Präsenz, kurze und mehrtägige Onlineangebote sowie Selbstlernangebote etc.
Unsere große Herausforderung ist: Die Zielgruppen des VÖGB als Dachverband sind sehr vielfältig. Die Teilnehmer:innen kommen aus unterschiedlichen Branchen aus ganz Österreich, sind Betriebsrät:innen, die z.B. Mitglied im Aufsichtsrat sind oder auch Behindertenvertrauenspersonen. Sie bilden sich zu speziellen Themen wie etwa Gesundheit am Arbeitsplatz oder Storytelling weiter. Diese Vielfalt in den Zielgruppen und Bedürfnissen muss der VÖGB abbilden. Das ist die große Herausforderung.
#geb: Onlineseminare sprießen wie Pilze aus dem Boden, dennoch bleibt der Fokus auf Präsenzseminaren. Warum?
Sabine Letz: Online bedeutet eine gewisse Privatisierung und Individualisierung. Das, was die Gewerkschaftsbewegung ausmacht, ist aber das Kollektive und nicht das Individuelle. Dieses Erleben ermöglicht nur Präsenz.
Mittel- und langfristig sind Seminare in Präsenz das Sinnvollste – vor allem für gewisse Inhalte und Zielsetzungen. Nicht alles eignet sich für online. Die Gemeinschaft im persönlichen Zusammenkommen zu erleben, sich abends und in den Pausen zu vernetzen, da passiert Austausch und Wissenstransfer, der in keinem Buch nachgeschlagen werden kann.
Gleichzeitig gilt: Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern und Präsenzseminare nicht möglich sind oder nicht alle erreichen, muss Bildung Alternativen bieten.
#geb: Wann sind Onlineformate sinnvoll?
Sabine Letz: Aufgrund ihres Zeitdrucks setzen Betriebsrät:innen beinhart Prioritäten: Wofür nutze ich die Bildungsfreistellung? Wer kann sich zeitlich erlauben, mehrere Tage Weiterbildungen zu besuchen? In Zeiten von Krisen und Kurzarbeit sind kürzere Onlineformate durchaus beliebt. Mit kurzen Onlineformaten kommen wir gut in die Breite. Für ein zweistündiges „Was gibt es Neues im Arbeitsrecht?“ ist online sinnvoll. Oder zur Frage „Was darf der Bundespräsident wirklich?“.
Bei zentralen Fragen wie der Mobilisierung funktionieren Onlineformate nicht. Diese Inhalte brauchen Zeit und erfordern das kollektive Miteinander vor Ort.
Sprich: Kognitives Wissen kann online gut vermittelt werden. Wo es aber ums Spüren geht, ums gemeinsame Erleben und den Austausch, sind Präsenzseminare sinnvoller.
#geb: Teilnehmer:innen melden sich heute sehr kurzfristig zu Seminaren an und ab. Das erschwert eine vernünftige Bildungsplanung. Wie geht ihr damit um?
Sabine Letz: Derzeit erleben wir, dass Seminare öfter abgesagt werden aufgrund zu geringer Anmeldungen oder nur mit einer kleineren Gruppe durchgeführt werden können. Viele sind erschöpft aufgrund der Verdichtung in der Arbeitswelt oder verunsichert aufgrund der vielfältigen Krisen. Motivation und Mobilisierung wird dadurch erschwert, wenn das Gefühl besteht „Ich kann eh nichts ändern, wofür sollte ich mich engagieren?“.
Wir haben in der gewerkschaftlichen Bildung den Auftrag, wieder zu ermächtigen. Wir müssen uns ständig fragen: Welche Formate sind notwendig, um Menschen unter veränderten Bedingungen gut abzuholen? Was kann Bildungsarbeit dazu beitragen, um ins positive Denken und zur Mitgestaltung zu kommen? Auch mit Formaten und Settings!
#geb: Vielen Dank, Sabine!
Sabine Letz
ist Geschäftsführerin des VÖGB (Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung) und leitet das Referat für Bildung, Freizeit und Kultur im ÖGB.
Vom Bücherkoffer zum Distance Learning (2/2)
Nächstes Mal erzählt uns die Historikerin Brigitte Pellar, wie mit Bücherkoffern auch politisches Wissen in die Betriebe einzog und welche Idee hinter der Briefschule steckte.
Lust auf mehr? Zu allen Folgen der Serie #geb – Gewerkschaftliche Erwachsenenbildung kommst du HIER!
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