#geb: Recht auf Kunst und Kultur

Vom Hürdenlauf zum Sprint
„Wen es interessiert, der geht ohnehin in die Ausstellung oder ins Theater.“ Diese Meinung mag durchaus noch verbreitet sein, doch sie geht weit an der Realität vorbei. Es sind viele unterschiedliche Hürden, die Menschen den Zugang zu Kunst und Kultur erschweren. Und wird die Förderung der kulturellen Teilhabe nicht für notwendig erachtet, müssen wir uns fragen, für wen Kunst und Kultur eigentlich gemeinschaftlich finanziert wird, wenn nicht für uns alle?


Laut Statistik Austria besucht mehr als die Hälfte der Bevölkerung nie oder nur selten Kulturveranstaltungen. Differenzieren wir weiter nach beispielsweise Museumspublikum, so gilt nach wie vor, dass es eine kleine Gruppe von etwa 15 % aktiver Kulturnutzer:innen umfasst, das eher bildungsbürgerlich geprägt ist (zit. n. Reitstätter/Galter 2022: 7). Es ist also deutlich, dass viele Kulturinstitutionen von der breiten Gesellschaft zwar per Steuergeld mitfinanziert, nicht aber in Anspruch genommen werden.

Ist breite kulturelle Teilhabe überhaupt wichtig?

Aus gewerkschaftlicher Sicht ist sie Teil eines guten Lebens – gewerkschaftliche Bildungs- und Kulturarbeit gehören untrennbar zusammen. Viele Bereiche in Kunst und Kultur waren lange Zeit Adeligen und Gelehrten vorbehalten. Es ging vorrangig um Repräsentation, die eigene Überlegenheit sollte demonstriert werden. Im Zuge der Aufklärung wurde gefordert, dass Sammlungen erstens für ihren langfristigen Erhalt im Besitz der „öffentlichen Hand“ sein sowie zweitens eine erweiterte Zugänglichkeit abseits der Gelehrtenkriese bieten sollten.

Dennoch wurde in erster Linie das Bildungsbürgertum angesprochen. Das drückte sich zum Beispiel in der Einführung von Eintrittsgeldern für den Besuch der Kaiserlichen Gemäldegalerie im Belvedere 1813 aus. Der damalige Direktor bezweckte damit, „die willkürliche Zulassung der allergeringsten Volksclassen von der Straße“ zu verhindern (zit. n. Reitstätter/Galter 2022: 23). Seitdem sind zwei Jahrhunderte vergangen und zugeschriebener Zweck und Selbstbeschreibung von Kulturinstitutionen wandeln sich konstant. Heute ist es unser aller Recht, Raum für uns im Museum oder im Konzerthaus zu beanspruchen. Doch nicht alle haben dieselben Zugangsvoraussetzungen.

„Klang der Arbeit“ – kostenlos und ohne Dresscode

Um die Demokratisierung des Zugangs zu Kunst und Kultur voranzutreiben, gibt es viele Zugänge. So wurde die Konzert-Reihe „Klang der Arbeit“ vom Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung entwickelt. Wichtige gesellschaftspolitisch relevante Inhalte sollen zur Klang-Sprache gebracht werden. Der Eintritt ist kostenlos, es gibt keinen Dresscode, Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft werden in zwangloser Atmosphäre miteinander verbunden.

Das sind wichtige Impulse, denn der finanzielle Aspekt stellt für viele eine große Hürde beim Kulturbesuch dar, wie auch die Frage nach der adäquaten Kleidung. Einen weiteren kostenlosen Zugang bieten laufend Ausstellungen im Foyer der ÖGB-Zentrale in Wien. Sie haben immer Bezug zur Arbeitswelt und gewerkschaftspolitisch relevanten Themen, von der Geschichte der österreichischen Demokratie bis Landraub und Flächenverbrauch im Amazonasgebiet.

Kulturlots:innen kommen in die Betriebe

Seit 2009 in Wien und seit 2012 in Graz gibt es die Kulturvermittlungsinitiative der Kulturlots:innen. Sie wurde vom VÖGB initiiert wurde und wird in Wien von der Kulturabteilung der Stadt gefördert.

Ausgangslage ist jeweils die reiche Kulturlandschaft der Stadt. Ziel ist es, Arbeitnehmer:innen ein möglichst breites Angebot dieser Landschaft zu erschließen und Freude an der Kulturpartizipation zu vermitteln. Möglich machen das gewerkschaftliche Strukturen, insbesondere das Netz an Arbeitnehmervertreter:innen. Diese sind als Multiplikator:innen unersetzlich.

Video des ÖGB über die Arbeit der Kulturlots:innen

Die Kulturlots:innen besuchen sie in deren Betrieb und konzipieren gemeinsam mit ihnen maßgeschneiderte Kunst- und Kulturangebote für die Belegschaft – immer zu ermäßigten Konditionen mit einer Führung, einer Werkseinführung, einem Besuch hinter den Kulissen oder einem anderen Zusatzangebot. Über den Arbeitsplatz ist eine heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Interessen erreichbar, einzeln wären die Kolleg:innen nur schwer adressierbar.

Barrieren beim Kunstgenuss

Die Barrieren, die mit dieser Vermittlungsarbeit abgebaut werden, sind vielfältig: Mangelnde Informationen über mögliche Kulturangebote, fehlende Motivation, zu hohe Eintrittspreise, fehlende Begleitung oder mangelnde Vorbildung im Umgang mit Kunst werden häufig als Gründe genannt, nicht an Kulturveranstaltungen teilzunehmen (zit. n. Renz/Mandel 2010: 3). Das Kulturlots:innen-Programm ist sorgsam ausgewählt. Ein Angebot zu einem konkreten Termin reicht oft als Anstoß, zusätzlich motivieren sich Kolleg:innen gegenseitig. Die Kosten sind ermäßigt und werden nach Möglichkeit von der Arbeitnehmer:innen-Vertretung weiter gestützt. Selbst jene, die sich alleine zu einer Veranstaltung anmelden, finden sich vor Ort in Gesellschaft von Kolleg:innen aus dem eigenen Betrieb. Die Einführungsangebote helfen dabei, sich herzlich willkommen zu fühlen und sich besser auf das Kommende einzulassen.

Was ist überhaupt Kultur?

Der Kulturbegriff ist dabei bewusst sehr breit gehalten. Stadtführungen zu unterschiedlichen Themen stehen gleichwertig neben großen Theaterbühnen. Dem Bereich der Hochkultur soll das Stigma genommen werden, er sei abgehoben, elitär und es seien nicht alle willkommen. Die Vielfalt der Angebote soll dazu beitragen, die Neugier möglichst vieler Menschen zu wecken. Zur Vielfalt zählen auch die Vermittlungsprogramme, die stets einen Blick in die Arbeitsrealität von Kunstschaffenden ermöglichen: der Dramaturg führt durch das Theater Rabenhof, ein Maskenbildner des Burgtheaters empfängt die Gruppen direkt an seinem Arbeitsplatz, die künstlerische Leiterin des Theater Drachengasse erzählt von ihrem Werdegang.

In Richtung der Kulturinstitutionen verhandeln die Kulturlots:innen nicht nur Ermäßigungen, sie regen auch Vermittlungsangebote an. Sie schaffen Bewusstsein für die Bedürfnisse und Erwartungen des heimischen Publikums, die sich von jenen der touristischen Besucher:innen unterscheiden. Der Haltung, Interessierte kämen eh von alleine, halten sie die Fragen entgegen: Warum kommen andere nicht? Was bieten wir Nicht-Besucher:innen?

Und was bringt’s?

Kulturelle Teilhabe hat persönlichen Nutzen, wie Erholung, Ablenkung, Unterhaltung. Sie erweitert den Horizont. Ebenso wichtig ist ihr gesellschaftlicher Nutzen. Sie kann Diskurse fördern, aufrütteln, Raum für gesellschaftliche Teilhabe und Zugehörigkeit bieten. Sie kann kreative Auseinandersetzung mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft sein. Gerade in Krisenzeiten darf die positive Wirkung von Kunst und Kultur auf die Gesamtgesellschaft nicht unbeachtet bleiben. Sie als entbehrlich, als unreflektierten Zeitvertreib abzustempeln, an dem gut eingespart werden kann, ist kurzsichtig. Gerade in der Kulturstadt Wien gilt es, sich weiter für eine breite Teilhabe am kulturellen Reichtum einzusetzen und dessen Nutzung weiter zu diversifizieren.


Wenn du dir live ein Bild über die Vielfalt der Angebote machen willst, melde dich einfach zu einer der öffentlichen Veranstaltungen an. Einmal pro Woche gibt’s einen Newsletter mit Infos zum Programm.


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Autorin: Kulturlotsin Sandra Trimmel
Illustrationen: Julia Stern


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