#geb: Mach dich stark!

(C) Julia Stern

Gegenmacht in der Bildungsarbeit

Seit vier Jahren geistert der Begriff „Gegenmacht“ durch die gewerkschaftliche Bildungslandschaft. Die REFAK bietet dazu Seminare und auch am REFAK-Blog ist schon manches darüber geschrieben worden. Hier gehen wir nun den Fragen nach: Was steckt hinter dem Begriff? Warum ist Gegenmacht notwendig und wie kann Bildung „ermächtigen“? Schließlich: Was bedeutet das für Referent:innen und ihre Seminarinhalte? Wolfgang Greif, Leiter der GPA-Bildung, und Peter Marchsteiner, Leiter der Younion-Bildung, erzählen aus ihrer Praxis.

Gegenmacht ist seit 2018 Teil eines umfassenden Strategieprozesses von ÖGB und den Gewerkschaften. Wie ist es dazu gekommen?

Wolfgang Greif: Wir waren Jahrzehnte lang in einer gewissen Komfortzone, wo unterschiedliche Interessen zwischen Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen nicht so umstritten waren. Das hat sich geändert. Verteilungsfragen sind schärfer geworden, institutioneller gewerkschaftlicher Einfluss, ja auch Betriebsräte werden zunehmend in Frage gestellt. Wir müssen diesen Zumutungen etwas entgegenhalten.

Peter Marchsteiner: Wir haben in den letzten Jahren gesehen, wie über Rechte der Arbeitnehmer:innen drübergefahren wird. Als Gewerkschaften sind wir grundsätzlich dialogbereit und setzen auf Sozialpartnerschaft. Wird uns aber die Chance auf Dialog genommen, so wie es die Politik zunehmend tut, müssen wir gegensteuern. Auch auf betrieblicher Ebene.

Der Begriff Gegenmacht erweckt Bilder von Streik. Geht es darum?

Wolfgang Greif: Der Begriff wird oft falsch verstanden. Es ist kein plumper Auftrag zum Generalstreik. Gegenmacht bedeutetet für Betriebsrät:innen: Wie bringe ich die Belegschaft hinter mich, wenn es einen Konfliktfall im Betrieb gibt? Für uns in der Bildungsarbeit bedeutet es: Wie können wir Bildungsmaßnahmen politisch aufladen, um Betriebsrät:innen zu ermächtigen – mit Instrumenten der Interessendurchsetzung. „Mach dich stark!“ oder „Ermächtige dich“ trifft es begrifflich wohl besser. 

Habt ihr ein aktuelles Beispiel, wo Gegenmacht sichtbar wird?

Peter Marchsteiner: Im Bereich der Pflege und der Elementarpädagogik ist Gegenmacht gerade ein großes Thema. Die Mitarbeiter:innen im Kindergarten organisieren Proteste, Pfleger:innen gehen auf die Straße! In dieser Mobilisierung und Ermächtigung spielt die Gewerkschaft eine starke Rolle. Wir bieten ihnen ein Sprachrohr und organisatorische Unterstützung.

Wie kommt nun die Bildung ins Spiel?

Wolfgang Greif: Wir haben Betriebsrät:innen in den letzten Jahrzehnten zu guten Anwält:innen der Mitarbeiter:innen geschult. Mit Weiterbildungen in Wirtschaft, Rhetorik, Arbeitsrecht etc. Es war kaum mehr notwendig, auch die Machtfrage zu stellen. Das ist nun anders. Deswegen erweitern wir unseren Bildungsauftrag um die Notwendigkeit, ein politisches Bewusstsein zu schaffen. Damit auch das Kante zeigen gelingt, wenn es darauf ankommt.

Peter Marchsteiner: Bildung ist per se schon Gegenmacht. Wer sich in Rhetorik weiterbildet, lernt Fertigkeiten, um zum Beispiel bei einer Betriebsversammlung zu überzeugen oder Kolleg:innen zu mobilisieren. Worum es nun vermehrt geht: einerseits, das Wissen um politische Zusammenhänge zu stärken. Andererseits arbeiten wir praktisch: Betriebsrät:innen erarbeiten Möglichkeiten, um im Betrieb und darüber hinaus für politische Forderungen zu mobilisieren.

Wen adressiert Gegenmacht in der Bildungsarbeit?

Peter Marchsteiner: Unsere primäre Zielgruppe sind Funktionär:innen, die vor Ort in den Betrieben und Dienststellen als Multiplikator:innen handeln. Die zweite Zielgruppe sind Gewerkschaftsmitglieder, die keine Funktion im Betrieb haben. Welche Möglichkeiten haben sie, politische Forderungen zugunsten der Arbeitnehmer:innen zu unterstützen? Die dritte Zielgruppe sind politisch Interessierte. Also Menschen, die kein Gewerkschaftsmitglied sind, aber politisch mitgestalten wollen.

Wolfgang Greif: Wir wenden uns mit politischen Seminaren, vor allem im Onlineformat, erneut auch an Mitglieder. Das ist aus diesem Strategieprozess heraus entstanden.

Auch Referent:innen sind Akteur:innen in diesem Prozess. Was müssen sie für ihre Seminare berücksichtigen?

Wolfgang Greif: Wir geben Referent:innen nichts vor. Wir besprechen aber vorab die Inhalte und legen nahe, interessenpolitischen Aspekten in unseren Veranstaltungen vermehrt Raum zu geben. Klar sagen einige: „Wie soll ich das machen? Bei meinem Thema geht das nicht!“ Die REFAK bietet dazu Weiterbildungen an. Trainer:innen der GEB erarbeiten dabei Möglichkeiten, wie sie im eigenen Seminar Gegenmacht einbauen können. Inhaltlich, aber auch didaktisch-pädagogisch.

Nicht jedes Seminar hat politische Inhalte. Wie findet Gegenmacht da Raum?

Wolfgang Greif: Wichtig ist, das eine mit dem anderen zu verzahnen. Sprich: Notwendige Kompetenzen wie Arbeitsrecht, Betriebswirtschaft oder Rhetorik interessenpolitisch aufzuladen. Eine gewerkschaftliche Weiterbildung in Lohnverrechnung muss sich von anderen Bildungsanbietern unterschieden. Was sind Lohnbestandteile? Welche Rolle spielen sie? Was ist der ideologische Gehalt bei Debatten um die Senkung von sogenannten Lohnnebenkosten! Ein weiteres Beispiel: in der betrieblichen Gesundheitsförderung nicht zur Tipps zum stressfreieren Arbeiten zu geben, sondern vor allem auch die Fürsorgepflicht des Unternehmens zu thematisieren. Also Seminarinhalte gewerkschaftspolitisch anzureichern.

Danke für das Gespräch!


Vorschau auf die nächste Folge #geb: Ursprünge der Gewerkschaftsbildung

Im nächsten Beitrag erfahren wir, was das gut 100 Jahre bestehende Betriebsrätegesetz mit der Entstehung gewerkschaftlicher Bildungswege zu tun hatte. Wir lernen Etappen des Aufbruchs und Ausbaus der GEB nach 1945 kennen. Und wir bekommen Antwort auf die Frage, ob und inwiefern der Ausgangspunkt der GEB zu Beginn der Ersten Republik auch heute noch von Relevanz ist. Das in einer kleinen Zeitreise zur GEB in Österreich – von Wolfgang Greif.

Hier gibt’s mehr zum Thema Gegenmacht

Autorin: Irene Steindl
Illustrationen: Julia Stern

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