Warum reflektieren zum Lernen dazu gehört
Hast du dich schon einmal gefragt, warum Lernen manchmal zu einem Gefühl von Erfolg führen kann oder warum gelerntes Wissen bisweilen so schnell wieder verloren scheint?
In diesem Blogbeitrag gehen wir der Frage nach, welche Rolle aktives Experimentieren im Lernprozess spielt und warum Lernen ohne Reflexion zu einem einfältigen Prozess der Wiederholung wird, die aber keine eigentliche Weiterentwicklung im Sinne von Lernen beinhaltet.
Um dies zu erklären, stelle ich zwei wichtige Theorien vor, die Lernen als Zyklus bzw. als „Loop“ beschreiben. Diese zentrale Erkenntnis vermittelt uns ein besseres Verständnis, wie Lernen passiert. Wenn wir erkennen, wie Lernen im alltäglichen Leben funktioniert, können wir auch formelle Lernprozesse, wie Seminare oder Kurzworkshops, effektiver planen und besser auf die Bedürfnisse der Lernenden eingehen.
Beschäftigen wir uns mit dem Thema Lernzyklus und der Frage, warum aktives Tun genauso wenig genug ist wie die Vermittlung von Wissen mithilfe eines Frontalvortrags, dann kommen zwei Theorien ins Spiel, die im breiten Feld des Organisationalen Lernens viel Beachtung finden. Es handelt sich um die Theorie des erfahrungsorientierten Lernens nach David A. Kolb, in der er die Bedeutung von Erfahrung und Tun beleuchtet und ein brauchbares Modell zum Erfassen von Lernstilen anbietet. Und Chris Argyris beschreibt in seinem „Single- und Double-Loop“ Modell, warum die Verbesserung durch Wiederholung eine trügerische Illusion einer Entwicklung vermitteln kann und erst Reflexion für echten Fortschritts notwendig ist.
Vom Tun zum Reflektieren
David A. Kolb’s Auseinandersetzung mit dem Thema Lernen startet ganz grundlegend mit der Frage, wie dieses vor sich geht. Er beobachtet, dass Wissen dann am effektivsten verarbeitet werden kann, wenn die vier Schritte Tun, Denken, Prüfen und Adaptieren durchlaufen werden.
Zu Beginn jedes alltäglichen Lernprozesses steht die konkrete Erfahrung – wir TUN etwas. Dieses Tun wird im nächsten Schritt reflektiert oder evaluiert. Gedanken, die uns in dieser Phase des informellen Lernens begleiten, sind z.B. „Was ist denn da los? Warum geht das nicht? Andere können das doch auch? Was muss ich machen, damit es funktioniert?“ Oder wenn die Erfahrung zu Erfolg geführt hat: „Aha, das hat funktioniert. Was genau habe ich gemacht, damit es funktioniert hat? Kann es sein, dass es auf diesen oder jenen Schritt ankommt und es ohne diesen anders ausgegangen wäre?“ Diese beiden Schritte zeichnen jeden grundlegenden Lernprozess aus.
Mit Theorie anreichern
Um einen Lernprozess weiter voranzutreiben, streben wir oft danach, die eigene Erfahrung in einen größeres Zusammenhang zu stellen. In dieser Phase gehen wir möglicherweise auf die Suche nach Theorien, die unsere eigenen Erfahrungen bestätigen oder erweitern. Möglicherweise mache ich mich auch auf die Suche nach einer passenden Fortbildung. Kommen Menschen mit dieser Haltung in ein Seminar, so erkennen wir eine starke Eigenmotivation, die eine enorme Kraft darstellen kann. Umso höher sind jedoch die Erwartungen. Können die Fragen, die sich Lernende stellen, nicht beantwortet werden bzw. bekommen diese Fragen, die unter den Nägeln brennen, keinen Platz, so ist der Frust vorprogrammiert.
Hier kommt wieder die berühmte Lernenden-Orientierung ins Spiel, die ich bereits im #dimi_02 eingehend beschrieben habe. Diese Ausgangslage, nämlich, dass die Lernenden genährt von ihren eigenen Erfahrungen und dem Drang, diese besser zu verstehen, ins Seminar kommen, kann als Idealszenario angesehen werden. Vielen Lernsituationen, die wir als Trainer*innen gestalten, liegen wesentlich diffusere Ausgangslagen zugrunde. Dann ist es, wie in #dimi_06 beschrieben, besonders wichtig, die definierten Lernziele mit den Lernenden zur Diskussion zu stellen.
Transfer in die Praxis
Im letzten der vier Lernschritte wird die theoretische Anreicherung noch einmal kritisch durch die pragmatische Brille betrachtet. Wir überlegen uns:
- Hilft mir das neue Wissen, meine Handlungsprobleme zu lösen?
- Was ist im Alltag wirklich wichtig und brauchbar?
- Was genau muss ich mir merken, damit ich die neuen Strategien abrufen kann, wenn ich sie brauche?
- Was kann ich getrost auf die Seite stellen oder sogar vergessen, weil es für meine Alltagsherausforderungen nicht relevant ist?
Fällt dir eine Situation ein, in der du, angeregt durch eine konkrete Erfahrung, Lust bekommen hast, Neues zu erfahren und eine Fähigkeit zu verbessern? Dann erkennst du möglicherweise die Grundzüge des beschriebenen Lernzyklus nach David A. Kolb wieder. Wir durchlaufen diesen immer wieder in Form von größeren oder kleineren Lernerfahrungen.
Diesen Transfer in die Praxis versuchen wir auch mithilfe unseres REFAK Trilogieteiles „Transfer in die Praxis anschieben“ voranzutreiben.
Lernen ist mehr als Wiederholung
Die Unterscheidung von „Single und Double-Loop“-Lernen nach Chris Argyris ist nützlich, um die Bedeutung von Reflexion für die Weiterentwicklung und für lebenslanges Lernen zu beleuchten. Lernen ist mehr als Verfestigung von Denk- und Handlungsmustern durch Routine, sondern ein Prozess, in dem immer wieder neues Wissen geschaffen wird.
Das “Single Loop”-Lernen kann als Lernen beschrieben werden, in dem die eigenen Fähigkeiten durch Übung und Wiederholung gefestigt werden. Wir erleben ein Erfolgsgefühl, basierend auf der Einsicht, durch Wiederholung Dinge besser und schneller erledigen zu können. Dabei gehen wir jedoch immer wieder vom gleichen Startpunkt aus und wiederholen das, was wir als erfolgreiche Handlung identifiziert haben – das Lernen ist dadurch ein „Single-Loop“.
„Double-Loop“-Lernen wird durch die Fähigkeit zur Reflexion und kritische Selbstevaluierung angereichert. Anstatt eine Handlung oder eine Strategie immer wieder in gleicher Weise zu wiederholen, erkennen wir, dass jede Erfahrung das Potential einer Reflexion beinhaltet. Integrieren wir diese in den Lernprozess, so können wir eine Fähigkeit nicht nur intensivieren, indem wir sie ständig wiederholen und dadurch besser und schneller werden, sondern es entstehen neue Lernmöglichkeiten. Wir können Prozesse kritisch sehen, sie immer wieder infrage stellen, erkennen, was hilfreich und notwendig ist und was nicht, und so zu neuen Wegen finden. Erst im Prozess des „Double-Loop“ Lernens ist Lernen auch Weiterentwicklung.
Doch was bedeutet das nun für unsere Praxis als Trainer*innen, Erwachsenenbildner*innen…?
Sowohl das Lernzyklus-Modell nach Kolb als auch das Modell der Lernschleifen nach Argyris und Schön, bieten eine wichtige Orientierung bei der Planung von Lerneinheiten. Damit sich das Wissen, das wir vermitteln wollen, nachhaltig in den Köpfen der Lernenden verankern kann, ist es notwendig, dass alle Stufen des Lernzyklus durchlaufen bzw. Double-Loop-Lernen ermöglicht wird.
Ich nutze das Modell des Lernzyklus nach Kolb zur kritischen Evaluierung meiner Seminarplanung. Ich achte darauf, dass in jeder Lernphase, die ich meist mit ca. 1,5h anlege, konkretes Ausprobieren, Reflexion der Erfahrung, aber auch theoretisches Verankern und die Frage nach der Anwendbarkeit in der eigenen Praxis enthalten ist. Merke ich, dass das eine oder andere Element zu kurz kommt, überlege ich, welcher Teil weniger Platz einnehmen soll. Eine nicht seltene Konsequenz, die sich daraus ergibt, ist, den theoretischen Input auf ein Minimum zu reduzieren, um genug Platz für die anderen Lernelemente zu schaffen. Weiters komme ich in diesem Nachdenkprozess immer wieder auf neue Ideen für den Einstieg in ein Thema oder Wissensgebiet. In der klassischen Variante starten wir sehr gerne mit der Wissensvermittlung – doch manchmal ist es hilfreich, die Lernenden zuerst etwas ausprobieren und z.B. in der Kleingruppe reflektieren zu lassen, um dann die gemachten Erfahrungen in das bestehende Wissensmodell zu integrieren.
Vom Lernzyklus zum Lernstil-Modell
David A. Kolb zeigt in seinem Lernzyklus-Modell wie Lerninhalte verarbeitet werden. Dabei können wir teilweise sehr unterschiedliche Herangehensweisen bei Lernenden beobachten. In seinem Lernstil-Modell bildet er die unterschiedlichen Schritte des Lernzyklus auf zwei Achsen ab. Die horizontale Achse steht für das Verständnis, die vertikale Achse zeigt, wie Wissen verarbeitet wird. Daraus ergeben sich vier Lernstile oder Lernpräferenzen, die jeweils in der Kombination von Wissensaufnahme und Verarbeitung angesiedelt sind. Daraus entstehen unterschiedliche Fähigkeiten und Vorlieben – sogenannte Lernpräferenzen.
Doch woran erkennen wir, aus welchen Lernstil heraus die einzelnen Lernenden agieren? Und wie gehe ich auf all diese unterschiedlichen Bedürfnisse ein? Die zweite Frage ist leicht beantwortet. Im Grunde sollen immer alle Elemente und Lernmöglichkeiten vorhanden sein. Damit wird die Wahrscheinlichkeit, dass jede/r gut in den Lernprozess einsteigen und sich neues Wissen aneignen kann, von vornherein höher und die Methodenvielfalt wird intensiviert.
Wahrnehmung von Lernstilpräferenzen schulen
Die unterschiedlichen Präferenzen erkennen wir an folgenden Handlungen oder Aussagen.
Macher*innen oder „Akkomodierer“ sind meist aktiv bei jeder Übung dabei und sind die ersten, die Dinge selbst ausprobieren wollen. Entdecker*innen („Divergierer“) brauchen meist mehr Zeit, um Dinge für sich zu verarbeiten, sie machen sich z.B. gerne Notizen und sind sehr engagiert beim Diskutieren. Die Theoretiker*innen („Assimilierer“) fragen gerne nach weiteren Artikeln oder Quellen und wollen genau wissen, wie die Theorie heißt, damit sie am Abend noch mal genauer recherchieren können. Die Entscheider*innen oder „Konvergierer“ stellen sich – manchmal laut und manchmal leise für sich – die Frage nach dem Praxisbezug und der Anwendbarkeit. Sie wollen möglichst viel Konkretes aus dem Seminar mitnehmen.
Schulen wir als Trainer*innen unsere Wahrnehmung, diese Lernpräferenzen zu erkennen, gelingt es uns besser auf die Lernenden einzugehen und damit steigt ihre Bereitschaft sich mit neuem Wissen auseinander zu setzen. Mehr zu den Lernstilen und wie diese erkannt werden können, findest du hier.
Kolb entwickelte auch einen Lernstil-Test, der als Lernstil-Inventar Bekanntheit erreicht hat und Aufschluss über die Ausprägung der einzelnen Bereiche beim Einzelnen gibt.
Ich habe diesen Test vor vielen Jahren im Rahmen einer Fortbildung gemacht. Die interessante Einsicht dabei war, dass meine eigenen Lernstilpräferenzen eine Auswirkung die Art und Weise haben, wie ich selbst Lernprozesse konzipiere. Das ist übrigens ein gutes Beispiel, inwiefern Reflexion ein wesentlicher Schritt zur Weiterentwicklung und kritischen Selbstevaluation ist und ich selbst aus dem Single-Loop ausbrechen kann.
Lust zum Weiterlesen? Hier ein paar Leseempfehlungen
- Argyris, Chris; Schön, Donald A. (2018): Die lernende Organisation. Grundlagen, Methode, Praxis. Sonderausgabe, [Nachdruck von 1999]. Stuttgart, Freiburg: Schäffer-Poeschel Verlag (Sonderausgabe Management-Klassiker).
- Kolb, David A. (2015): Experiential learning. Experience as the source of learning and development. 2nd edition. Upper Saddle River, New Jersey: Pearson Education.
- Meyer Ruth (2015): Lernstile. Online verfügbar.
- Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Lernstilmodell und Anwendungsideen findest du hier.
Genannte (und auch andere) Bücher können HIER im Webshop des ÖGB-Verlags versandkostenfrei bestellt werden.
Autorin: Margret Steixner
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