
Dynamiken und Prozesse in Gruppen erkennen, verstehen und als Ressource nutzen
Das Seminar fand von 01.10. – 03.10.2025 statt und richtete sich an Referent:innen, Trainer:innen und Lehrgangscoaches der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildungen, die ihre gruppendynamische Kompetenz vertiefen und sicherer im Umgang mit Gruppenprozessen werden möchten. Entlang des vierstufigen Kompetenzmodells – Wahrnehmen, Beschreiben, Hypothesen bilden und Intervenieren – erarbeiteten Florian Reiter und Margret Steixner mit der Gruppe, wie sie Dynamiken in Gruppen erkennen, verstehen und konstruktiv gestalten können.
Tag 1: Gruppendynamische Grundlagen und Erleben
Ziel war es, ein Bewusstsein für die eigene Rolle zu schärfen und die Bedeutung kontinuierlicher Reflexion als zentrales Werkzeug für gelingende Bildungsprozesse zu begreifen. So entstanden nicht nur Handlungsstrategien für den Seminaralltag, sondern auch Impulse für eine reflexive und professionelle Haltung in der Begleitung von Gruppen.
Zum Einstieg


Das Seminar startete mit einem rahmensetzenden „Intro“. Dabei legten wir die grundlegende Bedeutung der sozialen Form „Gruppe” sowie die gruppendynamische Lernphilosophie dar. Zum einen sind Menschen anthropologisch gesehen Gruppenwesen. Aus evolutionsbiologischer wie aus entwicklungspsychologischer Perspektive sind wir von überschaubaren Kleingruppenkontakten geprägt. Andererseits sind Gruppen für das Funktionieren von Organisationen essentiell. Wir verstehen Lernen als sozialen Prozess, und gewerkschaftliche Bildung findet immer in Gruppen statt, die von der Organisation koordiniert werden. Es gibt also zwei „Schnittstellen“ bzw. zwei Verhältnisse: das Verhältnis von Individuum und Gruppe sowie das Verhältnis von Gruppe und Organisation. Ein Zugehörigkeitsgefühl und „Nestwärme“ können jedoch nur in der Gruppe entstehen, dafür ist die Organisation „zu kalt“.
Gruppendynamisches Lernen ist geprägt von einem ständigen Wechsel von Aktion und Reflexion und kann nur durch praktisches Erfahrungslernen gelingen. Die reine Vermittlung von Theorien und Modellen reicht nicht aus, denn es geht darum, im Hier und Jetzt der jeweiligen Gruppensituation intervenieren zu können, und das lässt sich nicht planen oder vorbereiten, sondern nur spontan entscheiden. An diesen Grundprinzipien orientiert sich auch die Arbeitsweise in diesem Seminar.
Unsere Grundlage für das gruppendynamische Arbeiten
Den ersten Schritt zur inhaltlichen Vertiefung und als Vorbereitung für die Arbeit im „Hier & Jetzt“ stellten wir zentrale Modelle vor:



Lernen über Gruppen im „Hier & Jetzt“
Den Nachmittag widmeten wir dem Lernen über Gruppen im „Hier und Jetzt“. Lernen im Hier & Jetzt als gruppendynamische Arbeitsweise bedeutet, dass Lernprozesse bewusst im aktuellen Moment und im direkten Erleben der Gruppe stattfinden.
Die Methode nutzt die unmittelbaren Interaktionen, Emotionen und Dynamiken innerhalb der Gruppe, um Bewusstsein zu schaffen, Reflexion anzuregen und nachhaltige Erkenntnisse zu fördern.
Diese Herangehensweise stärkt nicht nur die Selbstwahrnehmung und das Verständnis für gruppeninterne Prozesse, sondern fördert auch Empathie, Kommunikation und die Fähigkeit, konstruktiv mit Unterschieden umzugehen. Sie eignet sich besonders, um soziale Kompetenzen zu entwickeln und kollektive Lösungsansätze zu erarbeiten, da die Gruppe selbst zur Lernressource wird.
Unsere Arbeitsweise: Wir bildeten zwei Halbbruppen: Eine Hälfte erlebte im Innenkreis aktiv das „Hier & Jetzt“ – im Austausch über das eigene Erleben und die spontan entstehenden Dynamiken. Die andere Hälfte beobachtete als Außenkreis diese Interaktionen und Gruppenbewegungen. Im Anschluss teilten die Beobachter:innen ihre Wahrnehmungen, bevor die Gruppe in Kleingruppen vertiefend reflektierte – so verband sich direktes Erleben mit externer Perspektive und systematischer Auswertung. Diese Methode schärft Bewusstsein, Feedbackkultur und kollektives Lernen. Die Erkenntnisse wurden abschließend in der Gesamtgruppe geteilt und mit theoretischem Wissen angereichert.
Tag 2: Modelle zur Analyse von Gruppenprozessen
Nach einem gemeinsamen Einstieg – mit einem Steuerungsfeedback zu den Fragen „Was war gestern prägend, irritierend oder unklar?“ – vertieften wir gruppendynamische Modelle zur Analyse von Gruppenprozessen. Im Fokus standen zunächst die vier zentralen Gruppenfunktionen (zielorientiert, gruppenerhaltend, individuell, analytisch).




Der gruppendynamische Raum
Weiter ging es mit dem gruppendynamischen Raum, der als zentrales Modell dient, um Gruppendynamik anhand von drei Achsen zu beschreiben.
Zugehörigkeit (drinnen – draußen: Wer gehört zur Gruppe, wer steht außerhalb?),
Macht (oben – unten: Wie ist Einfluss verteilt, wer nimmt welche Rolle ein?) und
Intimität (nah – fern: Wie viel Nähe, Sympathie oder Distanz herrscht zwischen den Mitgliedern?).
Der gruppendynamische Raum zeigt, wie die drei Dimensionen Zugehörigkeit, Macht und Intimität eng miteinander verwoben sind und die Entwicklung einer Gruppe prägen. Jede Veränderung auf einer Achse (z.B. mehr Nähe oder verschobene Machtverhältnisse) wirkt sich unmittelbar auf die anderen aus. Das Modell dient damit nicht nur als Analysetool, sondern gibt auch konkrete Orientierung, um Gruppenprozesse bewusst zu steuern und zu gestalten.
Reflektieren des „DORT & DANN“
In dieser Sequenz übten die Teilnehmer:innen das genaue Beobachten und neutrale Beschreiben von Gruppensituationen. Jede Kleingruppe sammelte 2–3 konkrete Beispiele – aus dem eigenen Seminaralltag – und erforschte diese mithilfe gezielter Fragen, die die Hypothesenbildung unterstützten. Hypothesen sind keine Lösungen, sondern vorläufige Vermutungen über mögliche Zusammenhänge, Dynamiken oder unausgesprochene Muster.
Die Gruppe arbeitete in drei klaren Schritten: wahrnehmen und beschreiben, Hypothesen bilden, bis zur Vorbereitung fundierter Interventionen, mit denen wir uns am Tag 3 beschäftigten. So wurde ein strukturierter, schrittweiser Umgang mit Gruppendynamik erprobt.

Hier und Jetzt 2
Der Nachmittag stand erneut im Zeichen des Lernens im „Hier & Jetzt“ und folgte dem bewährten Ablauf des Vortags. Für die Reflexion kamen diesmal neue Impulsfragen zum Einsatz. In der anschließenden Gruppendiskussion verknüpften die Teilnehmer:innen ihre unmittelbaren Erfahrungen mit theoretischen Modellen – dabei wurde die „Reflexive Steuerung“ als zentrales Handwerkzeug für die Begleitung von Gruppenprozessen eingeführt. Anhand konkreter Beispiele diskutierten wir, wie sich diese Methode gezielt in ihrer gewerkschaftlichen Bildungsarbeit anwenden lässt, um Dynamiken bewusst zu gestalten und Lernprozesse zu vertiefen.
Tag 3: Interventionen
Der dritte Seminartag widmete sich ganz dem Thema Interventionen in Gruppenprozessen. Zunächst wurde ein gemeinsames Verständnis entwickelt, was unter einer gruppendynamischen Intervention zu verstehen ist.
Das Wort „Intervention“ bedeutet vom Wortursprung her „dazwischengehen“ oder „eingreifen“. Dem Ganzen muss jedoch ein Zweck zugrunde liegen, also eine – im besten Fall – entwicklungsförderliche Absicht, die vielleicht nicht auf den ersten Blick allen anderen ersichtlich ist. Das „Dazwischengehen“ impliziert eine Gleichzeitigkeit von Integration und Differenzierung: Es gibt „Verschiedenes“ (weil es sonst kein Dazwischen gibt) und „Verbindendes“, das eventuell erst gesucht oder ausgehandelt werden muss. Neben dem Zweck ist auch die Frage zentral, wann interveniert wird. Wann verlasse ich die operative Ebene des „Normalbetriebs“ – in unserem Sinne den inhaltlichen Lernprozess und wechsle durch Intervention auf die „Steuerungsebene“?
„Eine Intervention ist ein theorie- und indikationsbezogenes absichtsvolles Verhalten, das – zumindest im Nachhinein – begründbar sein sollte.“
vgl. Voigt und Antons (1987)
Um gemeinsam Ideen für mögliche Interventionen zu entwickeln und diese systematisch planen zu können, wurde das Interventionsschema nach Rita Milesi vorgestellt. Dieses diente den Teilnehmer:innen als strukturiertes Werkzeug, um auf Basis der zuvor gesammelten Situationen und Hypothesen eigene Interventionen zu entwickeln – immer mit dem Fokus, Gruppenprozesse reflektiert und zielgerichtet zu begleiten.
Abschluss
Mit einer kurzen Schreibübung, die durch Reflexionsfragen unterstützt wurde, rundeten wir das Seminar: „Die Gruppe als Ressource nutzen“ ab und drei intensive Tage des Lernens und Erfahrens gingen zu Ende.
Danke an alle Teilnehmer:innen für das Einlassen, das Miteinanderlernen und die intensiven Diskussionen.
Materialien
Für alle, die noch mehr wissen wollen hier weitere Materialien:
- Edding, Cornelia, and Karl Schattenhofer. 2015. Handbuch Alles Über Gruppen: Theorie, Anwendung, Praxis. 2. überarbeitete Auflage.
- König, Oliver, and Karl Schattenhofer. 2015. Einführung in die Gruppendynamik. 7. Aufl. Compact. Heidelberg: Carl-Auer-Verl.
- Milesi, Rita. 2015. Interventionen in Kursgruppen: Ein Leitfaden für Ausbildnerinnen und Ausbilder. 6. Auflage. Zürich: Migros Genossenschaftsbund, Koordinationsstelle der Klubschulen.
- Gruppenphasen + Aufgaben als Leiterin
- Information zum TZI-Konzept auf der Website des Ruth Cohn Instituts
Trainer:innen: Florian Reiter und Margret Steixner

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