Digitalisierung der Bildungsarbeit: „Tools“ im Fokus
“Tools! Tools! Tools!” – im REFAK-Workshop unter dem Titel “Moderationskoffer Internet”, den ich gemeinsam mit Guido Brombach konzipieren und seit 2014 bereits einige Male durchführen durfte, ist die vorwiegende Erwartungshaltung der TeilnehmerInnen förmlich spürbar. Nicht von ungefähr sprechen wir in der Seminarausschreibung auch davon, dass die TeilnehmerInnen (Zielgruppe bekanntlich TrainerInnen!) ihren “Einsatz digitaler Werkzeuge” und ihr “Methodenrepertoire durch die Berücksichtigung digitaler Medien” nach der Teilnahme am Workshop erweitern können sollen. Doch ist diese Fokussierung auf Tools und Kompetenzen die Lösung oder gibt es doch andere Blickwinkel, die beachtenswert sind? Ein kleiner hint: die gibt es und in diesem #dido gebe ich euch einen kleinen Einblick darin.
LeserInnen der #dido-Reihe sind eventuell ebenso den Fokus auf Tools gewohnt. Auch das kommt nicht von ungefähr: “#dido_01 – Drei digitale Quiz-Tools 2016” lautete der Titel des ersten “Digitalen Donnerstags” hier im REFAK-Blog, der mit folgender Einleitung startete: “Der #DigitaleDonnerstag gibt euch einen Überblick über aktuelle Tools und Einsatzmöglichkeiten in der Praxis.“
Ganz klar lässt sich dieser Fokus in Einklang bringen mit Zielen der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung: Die Tools und Methoden digitalen Lernens, wie auch die Möglichkeiten des “Moderationskoffers Internet” allgemein, hatten spätestens seit der Dynamisierung durch die sogenannten Social Media beteiligungs- bzw. partizipationsfördernde Potenziale. Das Internet war für viele zu einem “nahe liegenden bis selbstverständlichen Werkzeug für Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung und kollektives Wissensmanagement geworden“, das es auch wert war, in Workshops und Blogreihen vermittelt zu werden.
So wichtig und wertvoll es ist, die Kenntnisse und Kompetenzen zur Nutzung digitaler Medien/Werkzeuge zu erweitern, mit diesem #dido-Beitrag möchte ich eine etwas andere bzw. weitere Perspektive einbringen. Der Grund dafür ist die Beobachtung, dass TrainerInnen – und auch TeilnehmerInnen – mit dem Fokus auf Tools an Grenzen stoßen, die die Digitalisierung der Bildungsarbeit oft mühsamer machen als sie sein müsste. Oft ist dabei aber gar nicht so klar, womit man es genau zu tun hat und ob Lösungen im eigenen Handlungsspielraum liegen.
Motivation versus Organisation: Grenzen digitaler Kompetenz
Im Laufe der Jahre und mit zunehmenden Erfahrungen in der Vermittlung von Onlinetools waren aus meiner Sicht sowohl technische Weiterentwicklungen seitens der Anbieter von Onlinetools als auch zunehmende digitale Kompetenzen der TeilnehmerInnen deutlich zu erkennen. Gleichzeitig war und ist auffällig, wie sich manche Fragen und Problemstellungen heute genauso stellen wie bereits 2014. Diese stellen sich vielfach wie folgt dar: TeilnehmerInnen (Zielgruppe in diesem Fall TrainerInnen!) waren und sind motiviert, ihre digitalen Kompetenzen zu erweitern und auch entsprechend kreativ in der methodischen Umsetzung, stoßen aber in ihrer praktischen Bildungsarbeit immer wieder auf eine Reihe von Hindernissen.
Die Grenzen, von denen hier die Rede ist, haben jedoch viel seltener etwas mit der Trainings- oder digitalen Kompetenz zu tun, als üblicherweise angenommen bzw. den handelnden Personen schnell zugeschoben wird. Sie hängen in vielen Fällen stärker mit den (Un-)Möglichkeiten zusammen, Onlinetools bzw. die Onlineinfrastruktur, die sich TrainerInnen aufbauen und die sie für sich weiterentwickeln, in ihren Organisationen oder in Bildungshäusern einzusetzen. Wer hat nicht schon die Erfahrung gemacht, dass der Einsatz oft nur über Umwege bzw. sogenannte “Workaorounds” gelingt? Da helfen auch die – teils kostspieligen – Smartboards nicht, mit denen etliche Seminarräume mittlerweile ausgestattet sind, die jedoch eher verwaist die Wände zieren und keineswegs ausgelastet sind.
Wie kann es sein, dass zwischen der Motivation, digitale Möglichkeiten für beteiligungsorientierte Bildungsprozesse zu nutzen, und der tatsächlichen Digitalisierung der Bildungsarbeit eine merkliche Lücke herrscht, die nicht selten zu frustrierenden Erlebnissen und Unsicherheit führt? Wie kann es gelingen, motivierte TrainerInnen, die ihre digitalen Kompetenzen für die methodische Weiterentwicklung ihrer Seminare einsetzen möchten, zu fördern? Geht es hier nur um digitale Kompetenzen oder sind es nicht vor allem auch die organisationalen Rahmenbedingungen, die Innovationsprozesse in der Erwachsenenbildung erst nachhaltig ermöglichen?
Die Kompetenzfalle oder: die Individualisierung des Problems
Nicht selten ist in den vielen Jahren, in denen wir bislang Digitalisierungsphänomene diskutieren, der Blick sehr schnell bei den handelnden Personen gelandet. Die Aussage “Industrie 4.0 bedeutet vor allem auch einen Wandel bei den Qualifikations- und Kompetenzerfordernissen” der ExpertInnengruppe “Qualifikationen und Kompetenzen” des Verein Industrie 4.0 Österreich bringt prägnant zum Ausdruck, wohin der Fokus in unserer Gesellschaft hauptsächlich gelenkt wird. Digitale Kompetenzen, vom Verständnis der Technologie bis hin zur Nutzung der “Werkzeuge” (Tools!), werden von den unterschiedlichen Zielgruppen, so auch von TrainerInnen in der Erwachsenenbildung gefordert.
Mit dieser Zuspitzung, den Blick auf die Kompetenzen der handelnden Personen zu fokussieren, verdichtet sich das Problem jedoch zunehmend. Motivierte, weiterbildungswillige TrainerInnen (wie auch andere Beschäftigtengruppen) stoßen an organisationale Grenzen und der Frust sowie die Unsicherheit, die daraus folgen können, werden als individuelles Defizit, vielleicht sogar als persönliches Versagen erlebt, zugeschrieben oder gewertet.
Perspektive erweitern: die Verantwortung der Organisation
Professionelles Handeln findet in unserer Gesellschaft ausnahmslos in oder zumindest im Kontext von Organisationen statt. Eine Perspektive, die über die Individualisierung der Verantwortung für gelingende Bildung hinauszielen möchte, muss daher Strukturen und Prozesse der Organisation ins Zentrum der Betrachtung rücken. Im Falle der Digitalisierung (der Bildungsarbeit) reicht es dabei nicht aus, die IT-Abteilungen der Organisationen ins Visier zu nehmen, wie dies spätestens mit den Diskussionen rund um Web 2.0 und Social Media (etwa 2008ff.) gerne geschehen ist.
Was kann also in Organisationen allgemein sowie in Bildungseinrichtungen im Besonderen geschehen, um die digitale Transformation, über neue Hardware und die „Werkzeugschulung“ von MitarbeiterInnen bzw. TrainerInnen hinaus, für Innovationen im Sinne der Menschen zu gestalten?
Ich persönlich bin diesbezüglich erst vor relativ kurzer Zeit auf konkrete Inputs gestoßen, die mir hinsichtlich der zuerst vermuteten, dann beobachteten Widersprüche und Problemstellungen neue Orientierungspunkte eröffnet haben. Anfang 2020 muss es gewesen sein, als ich ausgerechnet im Bildungszentrum der AK Wien eine kleine Broschüre mit dem bezeichnenden Titel “Smartboards sind keine digitale Strategie. Wie Bildungsorganisationen den digitalen Wandel gestalten können. Handreichung für die Erwachsenenbildung und Weiterbildung” liegen gesehen, mitgenommen und etwas später auch gelesen habe.
Digitale Transformation = Organisationsentwicklung
Digitale Transformation ist nie „nur“ ein technischer Prozess, sondern sie ist ein Prozess, der zutiefst mit Fragen der Organisationskultur (Strukturen der Zusammenarbeit sowie Kommunikations- und Entscheidungsprozesse) verknüpft ist und diese daher auch berücksichtigen muss. Geschieht dies nicht, finden wir uns im besten Fall am Anfang dieses Beitrags wieder.
Die gute Nachricht ist: Das Know How, um die notwendigen Veränderungsprozesse zu gestalten und zu begleiten, ist vorhanden. Das beginnt etwa im Bildungsbereich bei Qualitätsstandards für Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung, auf denen auch die Qualitätsentwicklungsmodelle der genannten Broschüre unter anderem aufbauen (in diesem Fall allerdings die Pendants aus Deutschland).
In der auf die Organisationsentwicklung (OE) von Bildungseinrichtungen zugeschnittenen Broschüre wird ein „Qualitätsmodul Digitale Strategie“ als „Rahmen für die eigene Organisationsentwicklung“ beschrieben.
„Die Digitale Strategie wurde als Arbeits- und Qualitätskonzept für Bildungsorganisationen der Erwachsenenbildung konzipiert, die aktuell häufig vor der Herausforderung stehen, die eigene Organisation ‚fit‘ für die digitale Transformation zu machen, ohne genau zu wissen, an welchen Stellen sie ansetzen sollen.“
(Seite 4.)
Es passt grundsätzlich zu einem gewerkschaftlichen, durch Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen gekennzeichneten Verständnis von Organisationen (Betrieben), dass solche Strategien und Entwicklungen nicht top down verordnet werden können, wenn sie nachhaltig wirken sollen.
„Komplexe Systeme/Organisationen können aufgrund der Vielfalt von Beziehungen, Interaktionen und der jeweiligen Wechselwirkungen untereinander nur und [!] bis zu einem bestimmten Grad von Führungskräften gestaltet und geformt werden. Hohe Bedeutung werden den strukturierenden (Prozessen) und ordnenden Elementen (Strategie, Struktur, Kultur) zugewiesen.“
(Seite 10.)
No one said it would be easy
In den weiteren Umsetzungsschritten eines für die eigene Organisation maßgeschneiderten, in eine Organisationsentwicklung eingebetteten Prozesses der digitalen Transformation, umfasst die in der Broschüre dargestellte „Digitale Strategie“ sieben Handlungsfelder, die je wieder eine Reihe von Themenfeldern („Bausteine“) beinhalten, und zwar:
- Unternehmenskultur
- Arbeiten & Lernen
- Führung
- Prozesse
- Lernangebote
- Technik
- Strategie
Allein diese schnelle Auflistung der Handlungsfelder lässt die Komplexität erahnen, die Organisationen eigentlich zu bewältigen hätten, wenn sie sich ihrer eigenen digitalen Transformation professionell, nachhaltig und vor allem auch im Sinne einer qualitätsvollen Arbeitsorganisation widmen wollen. Der Blick auf die Organisation kann so erst recht den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Er kann Hinweise für ArbeitnehmerInnen (und übrigens auch BetriebsrätInnen) darüber enthalten, wie es im die (Arbeits-)Qualität (in) einer Organisation bestellt ist. Klar ist, dass es eine große Herausforderung ist, aber jedenfalls auch eine, für die Know How, Beratung und Unterstützung herangezogen werden können.
Im Hamsterrad des Arbeitsalltags bleiben Blicke und Emotionen schnell beim Nichtfunktionieren von Technik und ähnlichen Problemstellungen hängen und können auf persönlicher Ebene belastend wirken. Den Blick auf das größere Ganze zu richten, macht vielleicht nicht unmittelbar handlungsfähig, kann aber ein wichtiger Schritt zur eigenen Entlastung sein.
Zum Weiterlesen
- Christian Voigt / Thomas Kreiml: Gegenöffentlichkeit 2.0. Das Vorwort der Herausgeber, in: Soziale Bewegungen und Social Media. Handbuch für den Einsatz von Web 2.0. Wien 2011: ÖGB Verlag, Seite 7.
- Daniela Schratter (2021): Digitale Tools in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit: Eine Skizzierung vor und während der COVID19-Pandemie
- Keindorf, Sophie / Kammerer, Lisa / Kessel, Yvonne / Kochseder, Kathrin: Smartboards sind keine digitale Strategie. Wie Bildungsorganisationen den digitalen Wandel gestalten können. Handreichung für die Erwachsenenbildung und Weiterbildung.” (PDF, 890 KB)
Autor: Thomas Kreiml
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