Corona zwingt mich, ein bestehendes ganztägiges Präsenztraining „Train-the-Trainer“ auf online umzustellen. Der Untertitel „Vom passiv Zuhören zum aktiv Mitmachen“ ist Programm – auch im Online-Format. Meine Erfahrungen dabei – als eingefleischter Seminarraum-Trainer – in Tagebuchform.
8. April. Ich sage zu. Die Frage war: „Ulli bist du bereit, das für den 4. Mai geplante ganztägige Seminar auf die Schnelle auf online umzustellen? Anmeldungen haben wir.“ Mein Ja ist nicht ganz spontan. Ich brauche Bedenkzeit. Vorbereitungszeit gibt es, weil ohnehin alle anderen Seminare storniert sind. Und ich habe mit Uwe Hildach und Michael Ziereis zwei Digitalexperten. Die sagen Unterstützung, ja sogar ihr Mitmachen zu.
17. April. Testläufe. Ich mache mich seit Tagen mit der Plattform Zoom vertraut. Das geht sogar alleine. Ich kann testen, wie ich Präsentationen, Bilder, Filme einspielen kann. Mein Handy wird mit „Bildschirm freigeben“ sichtbar und ein vielfältig nutzbares Whiteboard. Ich lerne neue Begriffe: Der Host ist der Chef (Moderator*in, Trainer*in). Er kann andere stummschalten. „Kommentieren“ bedeutet alles, was ich mit dem Whiteboard, aber auch mit PowerPoint machen kann: reinschreiben, zeichnen, Sterne, Punkte, Fragezeichen setzen und vieles mehr. Ich organisiere zusätzlich Testläufe mit Kolleg*innen, die vor derselben Herausforderung stehen, mit Freund*innen, ja sogar der Enkelin, um ein Gefühl für die Technik zu bekommen. Was siehst du eigentlich? Kannst du bitte etwas auf das Whiteboard schreiben? Was, mein Hintergrund ist unruhig? Mein Hemd flimmert? Ich flieg immer raus – was soll ich tun?
20. April. Hardware. Die konkrete Seminarplanung mit den Inhalten schiebe ich noch. Ich probiere weiter die Technik. Jetzt vor allem die Hardware im weitesten Sinn. Kabel statt WLAN gibt Stabilität, gerade bei altem Laptop und „magerer“ Netzanbindung.
Das Büro wird umgestellt, der Hintergrund aufgeräumt und hell, das Licht von der Seite, bessere Raumausleuchtung. Bei Kolleg*innen habe ich gesehen: Sie übertragen sich mit einer extra Kamera beim Schreiben auf der Pinnwand oder dem Flip-Chart. Damit scheitere ich wegen der schlechten Tonqualität. Stolz bin ich auf meine improvisierte Dokumenten-Kamera: eine simple Webcam, aufgehängt an meiner alten Schreibtischlampe. Ich schreibe auf DIN-A4-Papier wie auf dem Flip-Chart.
21. April. Unterstützung. Der Auftraggeber stellt mir eine Moderatorin zur Seite. Marie ist topfit mit Zoom. Sie kümmert sich um die technische Einweisung der Teilnehmer*innen vor dem Training, spielt Filme und PowerPoints ein. Sie hat den weitaus besseren Internetanschluss. Sie wird auch im Training Screenshots zur Dokumentation machen.
22. April. Hiobsbotschaft. Uwe kann am 4. Mai nicht. Dabei hat er schon Übungen vorbereitet, die er zeigen wollte. Ausweg: Wir machen Interviews in Zoom und zeichnen sie einfach auf. Nicht alles an einem Stück, sondern in verdaulichen Happen. Das ist simpel und ich wollte immer schon einen Weg finden, kleine digitale Wissenshappen („Nuggets“) zu produzieren. Wir schaffen in 40 Minuten locker drei Interviews, sogar mit Probelauf. Im Training kann ich die Clips dann einspielen. Hier eines der Videos als Beispiel:
27. April. Viel ausprobiert in der vergangenen Woche. Wie kann ich Aktivierungen online vermitteln, ohne nur darüber zu reden? Tipps bekomme ich von allen Seiten. Oft sind es Kleinigkeiten, die mir weiterhelfen: Du kannst auch PowerPoints im Bearbeitungsmodus freigeben und die Teilnehmer*innen daran arbeiten lassen. Spiele Hangman als Energizer! Nutze einen zweiten Bildschirm! Ich versuche alle Aktivierungsmöglichkeiten, die ich im „normalen“ Präsenztraining einsetze, „auf digital“ zu übersetzen. Und siehe da, es geht (siehe eine Übersicht hier)! Die Stunden zähle ich nicht!
Meine Frau: „Was tust du eigentlich die vielen Tage im Büro? Das Seminar dauert doch nur einen Tag.“
30. April. Das Puzzle zusammenfügen. Ein erster Ablaufplan entsteht. Ich habe mir zu viel vorgenommen. „Tränen des Abschieds“ tun not. Absprache mit Michael, der Teile des Nachmittags übernimmt. Er beschränkt sich auf ein Tool, Mentimeter und zeigt Stimmungsabfragen, Wortwolken, Kartenabfragen, Schätzfragen. Wichtig für das Training: Das Tool lässt sich im Online- wie im Präsenztraining anwenden. Dann vereinbaren wir eine Expert*innen-Befragung (Michael als Experte für digitale Lernformate). Auch das funktioniert digital wie analog: Zuerst werden Fragen gesammelt, grob geordnet, und dann beantwortet.
Ich arbeite im Präsenztraining sehr viel mit Flipchart und Pinnwand, weniger mit PowerPoint. Deshalb habe ich noch viel Arbeit: Meine Plakate und Zeichnungen in PowerPoints oder PDFs umzuwandeln, ohne meinen Stil groß zu ändern.
Maifeiertag. Statt Demo Besuch der Enkelin. Wegen Corona auf zwei Meter Distanz. Meine Zoom-Sparringspartnerin Sara (10 Jahre) überreicht mir eine selbst gebastelte Schultüte mit Zoom-Logo: „Für dein erstes Zoominar“.
3. Mai: Sonntagsarbeit mit Marie. Letzte Fragen und Ausprobieren: Wie bringe ich Instruktionen in die Gruppen? Wie halten die Gruppen ihre Ergebnisse fest? Wie können sie diese (wie im richtigen Leben) im Plenum präsentieren? Wir testen das ganz einfach mit Word-Dokumenten. Einer in der Gruppe schreibt mit, speichert und gibt dann seinen Bildschirm für das Plenum frei.
4. Mai. 18.00 Uhr. Es ist geschafft. Ich bin zufrieden, aber zu kaputt, um jetzt Details aufzuschreiben. Ich freue mich auf frische Luft, „richtig“ reden und ein Feierabendbier. Morgen mehr.
5. Mai. Resümee. Ich habe selten so viel gelernt wie gestern und in den Tagen vorher.
Technik: Bis auf Kleinigkeiten (mal fiel mein Mikro aus und ich musste schnell auf das in der Webcam umschalten), trotz altem Laptop ging das problemlos. Auch Teilnehmer*innen habe ich keine verloren. Absolut sinnvoll: Die Einweisung in die Technik vor dem eigentlichen Beginn. Das tagelange Rumprobieren mit Zoom und seinen Möglichkeiten hat sich gelohnt.
Zu dritt: Dass ich mit Marie eine Moderatorin hatte, war Goldes wert. Ich konnte mich auf den Inhalt konzentrieren, weil ich wusste, da hat jemand die Technik im Griff, schaut auf den Chat und die Teilnehmer*innen und achtet sogar auf die Pausen. Ein Teilnehmer in der Feedbackrunde: Jetzt trau ich mir „online“ auch zu, aber nur zu zweit. Dabei waren wir mit Michael Ziereis ja sogar zu dritt. Gerade die Expert*innenbefragung mit ihm brachte nicht nur zusätzlichen Input, sondern auch Abwechslung und davon kann es im Online-Training nicht genug geben.
Ein neues Zeitgefühl brauche ich noch für „online“. Alles scheint länger zu dauern. Meine Zeitplanung war nach einer Stunde „zerschossen“. Dabei ist die Aufmerksamkeitsspanne der Teilnehmer*innen offensichtlich kürzer. Ganz kurze Einheiten, vielleicht sogar nur 10 Minuten am Stück, sind angesagt, dann Arbeitswechsel oder Pausen. Das muss ich erst noch lernen.
Energizer und Pausen tun not, mehr als in den Präsenztrainings. Ein Tag vor dem Laptop ist länger und anstrengender als ein Tag im Bildungszentrum. Was fehlt, ist Bewegung. Selbst beim Gang in den Gruppenraum und beim Stellung nehmen, bewegen wir uns nur virtuell. Alternativen: Holt einen Gegenstand, den ihr zeigen könnt und der euch wichtig ist! Leider erst nach dem Training gesehen: Beide Fäuste in die Kamera halten, rechte Faust Daumen hoch, linke Hand kleinen Finger ausstrecken. Dann auf Kommando genau umgekehrt linker Daumen hoch, rechter kleiner Finger hoch und dann immer weiter.
Ein wenig Abwechslung bringt auch das (analoge) Aufschreiben z.B. in ein vorher ausgedrucktes Beutebuch („Notiert euch die für euch wichtigsten Punkte!“). Das Falten eines A4-Blattes bis zur dreieckigen Tütenform, von der Teile ausgeschnitten und in die Kamera gehalten werden, war auch schön, weil es in der Galerieansicht ein schönes Bild ergab.
Renner- und Penner-Methoden: Gut liefen Zuruflisten (auf Whiteboard) und das digitale Punkten (Stempeln). Richtig/falsch ordnen, Schätzfragen in PowerPoint oder Mentimeter. Das Aufteilen in Gruppenräume (Breakout-Rooms) kam immer gut an, sowohl in der längeren Form als normale Gruppenarbeit, aber auch in der Kurzform als Murmelgruppe.
Mentimeter als einfaches Zusatz-Tool zu Zoom war bei den Teilnehmer*innen ein Renner, weil es so abwechslungsreich ist. Stellung nehmen war schwierig und mein digitales Blitzlicht erwies sich als Flop, weil jede*r eine andere Reihenfolge der Teilnehmer*innen sieht.
Highlight für mich in der praktischen Arbeit war das improvisierte DIN A4-Flipchart (siehe oben). Es erlaubt mir, die Instruktionen und Fragestellungen passgenau im Seminar zu schreiben. Ich kann meine Präsentationen spontan gestalten und ändern, ohne mich groß um digitale Technik zu kümmern.
In Zukunft nur noch online?
Wir lernen als Referent*innen und Trainer*innen viele Menschen kennen. Das macht unseren Job attraktiv. Das findet durch „echte“ Begegnung statt, vor und nach dem Training, beim Pausenkaffee, zwischendurch. Im Online-Training sehe ich immer nur Ausschnitte. Da ist Distanz und die bekomme ich im Online-Training nicht ganz weg. Den Teilnehmer*innen ging es nicht viel anders, wie sie am Ende sagten. Ich freue mich schon wieder auf „echte“ Seminare. Trotzdem bin ich nach meinem Selbstversuch positiv überrascht: Online-Schulungen können weit mehr sein als das Abfilmen von Frontalvorträgen. Die Arbeit „online“ kann sogar richtig Spaß machen.
Autor: Ulli Lipp
Lust auf mehr? Zu allen Beiträgen der #digiLearn-Serie kommst du HIER!
Lust auf mehr? Zu allen Einträgen der Serie #mm kommst du HIER!
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen unter gleichen Bedingungen 3.0 Österreich Lizenz.
Volltext der Lizenz