Im zweiten Beitrag der Blogreihe zum Thema Lehrgangsbegleitung dreht sich alles um Beziehung. Wie schon im letzten Blogbeitrag erwähnt, besteht ein wichtiges Ziel der Lehrgangsbegleitung in der Rollen- und Persönlichkeitsentwicklung der Teilnehmer:innen in Bezug auf deren gewerkschaftlichen Haltungen und Werte. Dies passiert auf der Ebene der Beziehung. Im Rahmen der Beziehung werden Werte und Haltungen erfahren und erlebt.
Ohne Beziehung keine Begleitung
Ohne Beziehung keine Persönlichkeitsentwicklung. Zu Lehrgangsbeginn wird mittlerweile zumeist (und zum Glück) bereits großes Augenmerk auf das „Teambuilding“ auf der Ebene der Teilnehmer:innen gelegt. Die Bedeutung einer guten Beziehungsqualität innerhalb der Gruppe für gelungenes Lernen im gewerkschaftlichen Kontext steht außer Frage. Aber was ist mit der Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden, zwischen Gruppe und Lehrgangsbegleiter:innen?
Persönlichkeitsentwicklung braucht Empathie
Beziehung im Lernen nicht mitzudenken würde bedeuten, dass wir uns im abgetrennten, distanzierten Lernverständnis wiederfinden. Hier fehlt Wechselseitigkeit und Augenhöhe. Auf Basis einer funktionierenden, auf Akzeptanz, Wertschätzung und Empathie aufbauenden Beziehung werden Widerstände abgebaut und zu Vermittelndes hat erst die Chance anzukommen. Je tiefer verwurzelt Haltungen bei uns sind, desto stärker sind unsere Abwehrmechanismen. Werte haben viel mit Identität und Selbstverständnis zu tun. Vieles ändern wir recht einfach, unsere inneren Haltungen nur langsam. Hier braucht es Beziehung, um die Persönlichkeit zu erreichen und Veränderung möglich zu machen.
Beziehung als wechselseitiger Prozess
Beziehung ist ein wechselseitiger Prozess von Geben und Nehmen. Wenn wir den Teilnehmer:innen etwas vermitteln und mitgeben wollen, so kann das nur funktionieren, wenn auch wir als Lehrgangsbegleitung, als gewerkschaftliche Bildung, als Organisation den Teilnehmer:innen gegenüber Offenheit zeigen, etwas mitnehmen und auch uns (auch als Organisation) durch die Beziehung verändern lassen. Durch eine gelungene Beziehung werden die Teilnehmer:innen zu Co-Produzent:innen und Verbündeten. Wir erhalten dadurch Einsichten über die Arbeits- und Lebenswelten der Teilnehmer:innen. Dieses Wissen könnte/kann für die Bildungsangebote sowie für die Gewerkschaftsbewegung von großem Vorteil sein. Beziehung braucht Augenhöhe. Autoritäres Lernen geht auch ohne Beziehung.
Beziehung braucht Zeit und Arbeit
Beziehungsarbeit mit den Teilnehmer:innen braucht Zeit und Raum. In der Gewerkschaftsschule haben wir dafür 2 Jahre Zeit. Die Beziehungsarbeit beginnt in Wien mit dem „Vorbereitungsworkshop“ und endet eigentlich nie. Die Beziehung bleibt im Idealfall aufrecht und wird ins Absolvent:innenangebot überführt.
Beziehung braucht ein konkretes Gegenüber
Auf der einen Seite steht der/die jeweilige Teilnehmer:in, auf der anderen Seite die jeweilige Begleitung. Beziehungsarbeit im Gruppensetting ist herausfordernd. Wir können nicht in einer Beziehung mit einer Gruppe sein. Wir können Bilder, Vorstellungen und Einschätzungen von und über die Gruppe haben. Beziehungen haben wir mit den Einzelpersonen.
Die Summe der einzelnen Teile
Wenn wir viele positive Beziehungen mit Einzelpersonen haben, wird wahrscheinlich auch die Gruppe für uns positiv besetzt sein. So können auch die Teilnehmer:innen keine Beziehung zum ÖGB haben, aber eine zu uns als Lehrgangsbegleiter:innen. Wenn sie diese Beziehung aber als tragfähig erleben, und sie uns gleichzeitig als Vertreter:innen des ÖGB wahrnehmen, werden auch sie es einfacher haben, ein positives Bild vom ÖGB zu entwickeln.
Beziehungsaufbau
Und wie geht das jetzt konkret?
Es braucht:
- Raum: am Besten einen geschützten Bereich wo ungestört zu zweit gesprochen werden kann,
- Zeit: es sollte ein störungsfreies Gespräch ohne Zeitdruck sein und im Idealfall mehrmals im Laufe der zwei Jahre stattfinden (in der Wiener Gewerkschaftsschule gibt es zumindest ein solches Gespräch pro Semester),
- Empathie: mitfühlen und sich von der anderen Person emotional berühren lassen
- Vertrautheit herstellen: rückmelden, persönlich werden, erzählen lassen, …
… dadurch entsteht Nähe und Verbundenheit. Widerstände werden abgebaut und besonders wichtig für die Arbeit in und mit der Gruppe: Wir bekommen eine „Interventionsberechtigung“ für schwierige Situationen. D.h. wir können ohne die Autoritätskarte intervenieren und eingreifen, weil wir eben eine Beziehung aufgebaut haben und somit nicht als „feindliches Gegenüber“ sondern als wohlwollende Belgeiter:innen wahrgenommen werden.
Autor: Markus Reisinger
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