„Miss alles, was sich messen lässt, und mach alles messbar, was sich nicht messen lässt.“
(Archimedes. (287 – 212 v. Chr.), griechischer Physiker, Mathematiker und Mechaniker)
Ist nur Bildung und Lernen gut, deren Ergebnisse sich messen lassen? Und vielleicht sogar nur eine Bildung oder ein Lernen, bei denen vorher gesagt wird und werden kann, was das Ergebnis ist und das nachher präzise vermessen werden kann? Und geht das?
Zahlreiche Bildungstests wie PISA, PIAAC und andere Tests legen dies nahe. Die Orientierung am Bildungsoutput ist >in<, das heißt, es steht in der Beschreibung der Lernaktivität genau drinnen, was das Ergebnis der Teilnahme und des Lernens ist.
Aber: Wofür ist es gut, Bildung zu quantifizieren und was macht das mit der Bildung? Bleibt diese brauchbar und nützlich für die sich Bildenden? Kann diese dann orientiert an den Problemen der BildungsteilnehmerInnen bleiben und emanzipatorisch sein? Oder wird sie dann Bildung für den Standort und Wirtschaftsinteressen, also simple Anpassungsbildung? Reduziert diese Zwanghaftigkeit der Bildung nicht jeden Aspekt von Offenheit und Neugierde, die doch relevant sind für kollegiales, gemeinsames Lernen?
Standardisierung, Outputorientierung und Vergleichbarkeit sind die scheinbaren Zauberworte einer Verbesserung von Bildung und einer Anerkennung von Lernergebnissen. Wofür? Für die Bedarfe der Wirtschaft, wie es in zahllosen EU-Papieren zweifelsfrei nachzulesen ist. Lernen ist nötig für die adäquate Adaption an die Bedürfnisse der Wirtschaft. Und diese Adaption und Bedarfsorientierung muss genau gemessen werden, auch um die Lernenden zu vergleichen, in Konkurrenz zu stellen und abzuwerten!
Es ist eine grundlegenden Veränderung im Bildungsbereich, die einerseits eine unmittelbare Verantwortlichmachung der Lehrenden und Lernenden für Leistungen – im speziellen Testergebnisse wie PISA betont. Dies ist nur möglich vor dem Hintergrund einer Vorstellung von Bildung als simpler „industrieller Herstellung von Qualifikation“ nach einem fixen Plan. Lehren reduziert sich zunehmend auf Klonen und Prüfungsvorbereitung. Das direkte in Verantwortung setzen der Lehrenden erscheint als bildungsspezifisches Unikum, niemals kämen wir auf die Idee, beispielsweise PolizistInnen für Kriminalität verantwortlich zu machen. Die direkte Verantwortung führt zu einer schädlichen Konkurrenz bei Lernenden und Lehrenden, zu einer Aushöhlung des Ethos des Lehrens und zu einer Erosion der „Educational Community“ mit ihren Prinzipien, kollegialer Unterstützung und Qualität. Im Grunde wird lehrende Tätigkeit so auf das Negativbild Paulo Freires eines Ausfüllens von Hohlräumen und auf Prüfungsvorbereitung reduziert, umsponnen von der diskursiven Begleitmusik eines laufenden Verlustes von Qualität und Können der SchülerInnen und Lernenden.
Dagegen stehen gewerkschaftliches Lernen und emanzipatorische Bildung für einen offenen Lernprozess, wo eben nicht klar ist, was am Ende herauskommen muss. Sie stehen für eine nie enden wollende Neugier auf die Dinge des alltäglichen Lebens und ihre Veränderung im Sinne eines guten Zusammenlebens. Ihre Ergebnisse sind vielleicht messbar, aber das macht gewerkschaftliche Bildung nicht vorrangig aus – und vor allem ist nicht schon vorher klar was im Lernprozess entsteht.
Zum Weiterlesen
- Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2005
- Steffen Mau, Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen, Berlin 2017
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Autor: Stefan Vater
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