Wenn wir eine Welt wollen, die nicht eine Welt des vereinzelten Gegeneinander, des reinen Profits, der einsamen Eigenverantwortung und nicht nur eine konkurrenzorientierte Welt ist (zum Nachlesen #thedi_04), dann muss dies auch in der alltäglichen Praxis der Bildung sichtbar sein. Darüber hinaus müssen Gemeinsamkeit und das Prinzip Solidarität auch gelernt werden!
Lernen als Ego-Trip…
Wenn Lernen allerdings nichts anderes ist als ein anstrengender, egoistischer Wettbewerb um das brauchbarste, vermarktbarste Wissen, dann wird Lernen nicht helfen, eine solidarische Welt zu verwirklichen. Wenn Lernen vereinzelt, egoistisch und konkurrenzorientiert erfolgt, dann wird unsere gemeinsame Lebenswelt, unser Alltag ebenso aussehen. Das wollen wir nicht!
…oder als solidarischer Prozess
Lernen muss so nicht sein! Dafür sprechen viele Aspekte, die zeigen, dass diese Ideologie des Lernens nur eine kapitalistische, disziplinierende Fiktion ist, um emanzipatives Lernen zu verhindern. Wissen entsteht im Dialog, im Streit über Dinge, im Vorzeigen und im Abschauen von KollegInnen und im Austausch von Erfahrungen.
Gerade in der Erwachsenenbildung und insbesondere der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit lernen wir in heterogenen Gruppen, in der alle TeilnehmerInnen unterschiedliche Erfahrungen mitbringen. Wir lernen in Gruppen, in denen es nicht darum geht, wer sich am schnellsten Lerninhalte in den leeren Kopf saugt. Unsere Köpfe sind nämlich nicht leer!
In der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit geht es um die kollegiale Besprechung und Lösung von Problemen des betriebsrätlichen Arbeitsalltages – Rechte von ArbeitnehmerInnen, Arbeitszeitregelungen, der Gestaltung des Arbeitsumfeldes – und von unterschiedlichsten Problemen der anwesenden TeilnehmerInnen. Ihre Erfahrungen bilden den Ausgangspunkt für dieses Lernen. Ihre Probleme sind nicht durch fix-fertig bereitstehendes Wissen zu lösen, sondern nur durch Zusammenarbeit, durch gemeinsames Nachdenken, durch den Austausch von Erfahrungen, auch durch den Austausch über MIsserfolge und Scheitern. Erfahrungen, die wir abgleichen, austauschen und solidarisch gegenüberstellen und diskutieren.
Wissen wird mehr, wenn man es teilt!
In der Marktwirtschaften wird Wissen oft mit der Gefahr des Diebstahls, Copyright und behauptetem Plagiat verbunden, mit der Vorstellung des egoistischen Genies, das aus sich heraus Wissen gebiert und durch reine individuelle, wenn auch empirisch gestützte, Innenschau zu Erkenntnissen gelangt – das somit um die eigene Schöpfung und Erkenntnis bestohlen werden kann. Wissen wird auch verstanden als etwas, das es aufzunehmen, anzueignen, einzusaugen gälte um besser zu sein als alle anderen. Eine sehr ideologische Vorstellung von Wissen!
Allerdings wäre dies auch kein Wissen, das hilft, Probleme der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit zu lösen. Das Wissen, das BetriebsrätInnen brauchen, liegt nicht bei einer einzelnen Person, mag sie auch über noch so viel Expertise verfügen. Es entsteht in der gemeinsamen Diskussion und Analyse von den Situationen des Arbeits- und Alltagslebens, die wir verändern wollen und müssen. Diese Situationen des Alltags sind meist zu komplex für vorgefertigte Lehrbuchlösungen. Die Lösung kann nur gemeinsam auf dem Hintergrund der geteilten Erfahrungen gefunden werden.
Erwachsenenbildung und gewerkschaftliche Bildungsarbeit zeigen, dass Wissen oft gleichzeitig erdacht und erarbeitet wird, weil es vielmehr ein Partizipieren an Bekanntem und ein Aussprechen gesellschaftlichen Wissens und von Aspekten der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung ist. Wissen entsteht aus Diskussion, Kollaboration, im Tun und besonders in demokratischer Öffentlichkeit. Und es wird vor allem auch nicht weniger, wenn es geteilt wird. Es wird höchstens weniger wert, wenn es vermarktet wird.
Zum Weiterlesen
- Helmut Russ, Ulli Lipp: Solidarität lernen, lehren, erleben. Seminardokumentation mit Methodentipps
- Erwin Kaiser, Gerhard Loibl: Gemeinsam lernen – solidarisch handeln! Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit in der Sozialakademie. In: Brigitte Kulovits-Rupp, Gerechtigkeit Muss Sein. Eisenstadt 2015
- Für Philosophisch interessierte: Judith Butler, Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung. Frankfurt 2016
…und zum Hören
- The Temptations: Message From A Black Man – mit dem wunderschön dargebrachten Textstück „United we stand, divided we fall“ im Kontext der US- Bürgerrechtsbewegung (Black Power Movement)
Die Bücher können HIER im Webshop des ÖGB-Verlags versandkostenfrei bestellt werden.
Autor: Stefan Vater
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen unter gleichen Bedingungen 3.0 Österreich Lizenz.
Volltext der Lizenz