Die Schriftstellerin und Frauenbildnerin Etta Federn, die „Mujeres Libres“ und die moderne Schule
Wenn ihr für (…) den freien Geist seid, dann beseitigt die Angst, die Strafe und die Drohung aus euren Häusern (…) Macht (…) wertvolle Menschen, Menschen ohne Angst, freie Menschen“
Etta Federn 1937
Die Schriftstellerin und Erwachsenenbildnerin Etta Federn ist heute unbekannt. Sie wurde in Wien in einer bürgerlich-jüdischen Familie geboren, besuchte die Höhere Töchterschule und das Mädchengymnasium in Wien, legte die Matura ab und studierte danach – als eine der ersten Frauen – Griechisch, Literaturgeschichte und Germanistik in Wien. Danach setzte sie ihr Studium in Berlin fort. Sie übersetzte Märchen von Hans Christian Andersen und publizierte Bücher über Goethe, Dante und andere mit dem Zweck, die Werke zugänglich zu machen und zu popularisieren.
Während der 1920er-Jahre war Etta Federn eine bekannte Schriftstellerin und schloss sich in Berlin einem Kreis von Freidenker*innen an, zu welchem unter anderem Rudolf Rocker, Mollie Steimer, Senya Fleshin, Emma Goldman und Milly Witkop gehörten. In den 1930ern floh sie nach Morddrohungen aus der erstarkenden Rechten nach Barcelona.
Spanien war bis zum Wahlsieg der Volksfront im Jahre 1936 wohl eines der am wenigsten demokratischen und fortschrittlichen Länder Europas. Das Militär putschte unmittelbar nach dem Wahlsieg, unterstützt von der katholischen Kirche, der spanische Bürgerkrieg begann. Kirche und feudale Oligarchien regierten vor 1936 mit eiserner, unbarmherziger Hand. Dennoch war besonders die syndikalistische-gewerkschaftliche Linke stark. Im Spanien der 1930er-Jahre bildete sich mit den Mujeres Libres eine gewerkschaftlich organisierte Frauenorganisation, die bald 20.000 Frauen in rund 150 Basisgruppen organisieren konnte. Etta Federn schloss sich ihnen an und nachdem sie Spanisch gelernt hatte, unterrichtete sie im Kulturzentrum der syndikalistischen Frauenbewegung von Barcelona Literatur, Sprache und Pädagogik. Ein Schwerpunkt der Mujeres Libres war Erwachsenenbildung: Berufsbildung für Frauen, Alphabetisierung, Kulturarbeit und Gemeinwesenarbeit.
Die „Mujeres Libres“ vertraten das theoretische Konzept des „Doble Lucha“ (doppelter Kampf): gemeinsam mit Männern für eine herrschaftsfreie Gesellschaft zu arbeiten – in gewerkschaftlicher und basisdemokratischer Aktion, aber gleichzeitig gegen die sexistische Tradition anzukämpfen, die sich sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen festgesetzt hat.
Bereits Emma Goldman hatte, als sie sich auf Rundreise durch das republikanische Spanien befand, in der Zeitschrift “Mujeres Libres” einige historische Frauen präsentiert, um durch die Darstellung der “erstaunlichen Taten der Frauen in der Vergangenheit die Legende von ihrer Minderwertigkeit” (Federn 1937) zu widerlegen. Gleiches leistet Etta Federn mit ihren 1997 wiederveröffentlichten Frauenporträts, die ebenso in den 1930ern in der Zeitschrift „Mujeres Libres“ erschienen. Es war grundlegender Bestandteil der feministischen Erwachsenenbildung, das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken und gezielt das Wissen um eine Frauengeschichte mit ihnen zusammen zu entfalten. Dafür war es methodisch sinnvoll, historische Frauenportraits als Medium einzusetzen um mögliche Orientierungsvorbilder zu geben.
“Capacitatión” (Befähigung) lautete das Schlagwort der Schulungs- und Bildungsprogramme für Frauen. Im Wesentlichen bedeutete dies, gemeinsam die gesellschaftlichen Mechanismen zu durchschauen, sich der eigenen Position innerhalb der Gesellschaft bewusst zu werden und sich beruflich und allgemein weiterzubilden, um ein kompetentes, selbstbewusstes und schöpferisches, solidarisches Individuum zu werden. Die Organisation “Mujeres Libres” bot für diese Zielsetzung zum Beispiel Kurse für Analphabetinnen an, aber auch weiterführende berufsbildende Lehrgänge oder auch Kurse zu Literatur und Geschichte. Im Kulturzentrum der Frauenbewegung von Barcelona unterrichtete Etta Federn Literatur, Sprache und Pädagogik.
„Wenn moderne Pädagogik ein Bemühen um die Verwirklichung einer neuen und gerechteren Gesellschaftsform bedeutet; wenn sie bedeutet, dass wir vorhaben, die heranwachsende Generation über die Ursachen zu unterrichten, die den Mangel an sozialem Gleichgewicht verursacht haben und aufrechterhalten; wenn es bedeutet, dass wir bestrebt sind, die Menschen auf bessere Tage vorzubereiten, indem wir sie von religiösen Fiktionen und von jeder Idee der Unterwerfung unter eine unvermeidliche sozioökonomische Ungleichheit befreien; wir können dies nicht dem Staat oder anderen offiziellen Organen anvertrauen, die notwendigerweise die bestehenden Privilegien aufrechterhalten und die Gesetze unterstützen (…)“
Francisco Ferrer, Die moderne Schule 1908
Nach dem Modell der “Escuela Moderna” (Moderne Schule) des 1909 wegen seiner pädagogischen Ansichten hingerichteten libertären Pädagogen Francisco Ferrer (1859-1909) entwickelte Etta Federn eigene libertär-pädagogische Konzepte. Später gründete sie – ebenso im Zusammenhang mit den “Mujeres Libres” – ein Schulzentrum im katalonischen Ort Blanes, dessen Leiterin sie auch war und wo sie nicht nur Kinder, sondern auch zukünftige Lehrerinnen ausbildete. Dieses Schulmodell war nicht nur atheistisch und koedukativ ausgerichtet, sondern auch antimilitaristisch und pazifistisch. Eine angstfreie, kooperative, anregende und fürsorgliche Atmosphäre war dabei maßgebend.
„Man braucht nur wenig darüber nachzudenken, um zu erkennen, dass eine Schule nur für reiche Kinder keine vernünftige Schule sein kann. Es liegt in der Natur der Sache, dass sie dazu neigt, auf der Aufrechterhaltung von Privilegien und der Sicherung von deren Vorteilen zu beharren. Die einzige gesunde und aufgeklärte Schulform ist diejenige, die Arme und Reiche gemeinsam erzieht, die die eine Klasse mit der anderen in der unschuldigen Gleichheit der Kindheit in Berührung bringt, durch die systematische Gleichheit der vernünftigen Schule.“
Francisco Ferrer
Die Prinzipien dieser Pädagogik, der sich Federn – angeregt von Ferrer – verschrieb, wirken so ungemein zeitgemäß und auch gewerkschaftlich, mit ihrer Community-Orientierung, der Kritik der kapitalistischen Industriegesellschaft, mit ihrer Betonung der Eigenständigkeit der Menschen und ihres Rechts auf Mitbestimmung und Demokratie. Gearbeitet wird gleichberechtigt und ohne Hierarchien selbstorganisiert in Gruppen. Betont wurde der „Freie Ausdruck“, es gab Klassenversammlungen, Ateliers um das Gelernte praktisch werden zu lassen und mit allen Sinnen zu erfahren. Ziel ist ein autonomer und solidarischer Mensch, der Freude am Lernen hat und fähig ist zur Mit- und Selbstbestimmung. Es geht um angstfreie demokratiefähige Menschen, die Verantwortung für sich und andere übernehmen und die sich nichts gefallen lassen.
Zum Weiterlesen und für diesen Beitrag verwendet:
- Marianne Kröger (Hg.) (1979): Etta Federn. Revolutionär auf ihre Art. Von Angelica Balabanoff bis Madame Roland – 12 Skizzen unkonventioneller Frauen, Gießen: Psychosozial-Verlag.
- Martina Pawlowski (1998): Etta Federn (1883-1951) und die Mujeres Libres. Ein Portrait anlässlich der Wiederveröffentlichung ihrer Broschüre „Mujeres de las revoluciones“, Hier online abrufbar (11.09.2022)
- Stefan Vater (2022): thedi: Frauen zum Mittelpunkt der Geschichten machen – Ursula Le Guin. Hier online abrufbar (11.09.2022)
- Johanna Hellkerns (2003): Feministinnen in der Revolution. Die Gruppe Mujeres Libres im Spanischen Bürgerkrieg. Hier online abrufbar (11.09.2022)
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