Routinierte Seminarteilnehmer*innen kennen die Situation: man betritt den Seminarraum, sucht sich einen Platz, wirft neugierige Blicke auf die anderen Anwesenden, Teilnehmer*innen wie Trainer*innen…
Und dann geht es los: Die unvermeidliche Vorstellrunde… Reihum sagen alle, wie sie heißen, aus welcher Gewerkschaft und welchem Betrieb sie kommen und was sie sich vom gerade beginnenden Seminar erwarten. Vorprogrammierte Langeweile…
Wozu das ganze?
Sinn und Ziel der Vorstellrunde liegt auf der Hand – und damit auch die Erkenntnis, dass es ganz ohne halt auch nicht geht. Trotzdem, werfen wir einen genaueren Blick auf die Zielsetzungen, die Vorstellrunden erfüllen können:
- Trainer*innen lernen ihre Teilnehmer*innen kennen: Klar – Trainer*innen müssen ein Gespür dafür bekommen, mit wem sie es im Seminar zu tun haben. Welche betriebsrätlichen Hintergründe und Erfahrungen, welches Vorwissen sie mitbringen. Grundlegende Informationen haben Trainer*innen schon im Vorgespräch zur Planung des Seminars erhalten, die Vorstellrunde bietet die Möglichkeit, sie durch persönliche Beobachtungen zu ergänzen: Wer sind die selbstbewussten, extrovertierten Teilnehmer*innen und wer ist eher zurückhaltend? Nur so können Trainer*innen ihre Moderation auf die Teilnehmer*innen optimal abstimmen und sicherstellen, dass alle gleichermaßen davon profitieren
- Teilnehmer*innen lernen sich untereinander kennen: Hier gilt natürlich Ähnliches. Teilnehmer*innen haben vor Beginn eines Seminars oft überhaupt keine Information darüber, wer sonst noch teilnehmen wird. Die Vorstellrunde vermittelt grundlegende Basisinfos und einen ersten Eindruck über die anderen Anwesenden und bietet somit die Möglichkeit, sich selbst in der Gruppe zu verorten
- Die Eisbrecher-Funktion – alle müssen reden: Auch wenn man nur belanglose Informationen preisgibt – während der Vorstellrunde müssen alle Teilnehmer*innen das Wort ergreifen und sich selbst präsentieren. Die erste Hürde für das Sprechen in der Gruppe ist dadurch schon mal genommen, sich an Diskussionen im Lauf des Seminars zu beteiligen, fällt da schon mal leichter
- Warm werden mit und in der Gruppe: Die kurze Kommunikation während der Vorstellrunde ist die Basis für alle weiteren Gruppenprozesse, gewissermaßen das erste „Beschnuppern“. Eine persönliche Basis zwischen allen Anwesenden ist hergestellt, eine freundliche Atmosphäre geschaffen – jetzt kanns losgehen
- Das unverzichtbare Ritual: Auch, wenn Teilnehmer*innen oft angeben, von Vorstellrunden genervt zu sein – wenn sie fehlt, fehlt einfach was. Und wird mit Sicherheit innerhalb kürzester Zeit von irgendjemand aus der Runde eingefordert.
Wann und wo – der didaktische Ort
Das liegt ja nun wirklich auf der Hand: zu Beginn natürlich! Zu Beginn heißt, wenn alle Teilnehmer*innen eingetroffen und angekommen sind, sich also einen Platz gesucht, ihre Dinge ausgepackt und rund um sich verteilt und sich gemütlich eingerichtet haben. Gebt den Teilnehmer*innen unbedingt Zeit dafür, eine Vorstellrunde zu beginnen, während ein Teil der Gruppe noch unruhig herumnestelt und daher unaufmerksam ist, macht keinen Sinn. Sollte eine Person nicht anwesend sein, kann man sich als Trainer*in bei der Gruppe erkundigen, ob jemand nähere Infos über eine eventuelle Verspätung hat und ob man noch ein paar Minuten warten soll. Ideal ist es natürlich nicht, mit einer unvollständig anwesenden Gruppe zu beginnen – vermeiden lässt es sich, wie alle Trainer*innen aus leidvoller Erfahrung wissen, leider oft nicht. Beginnen sollte man aber auf alle Fälle mit dem Einverständnis der Gruppe. Dann ist auch für alle klar, dass noch jemand fehlt und es ist weniger irritierend, wenn die Person verspätet eintrifft und in die Vorstellrunde platzt.
Allergieauslöser
Nachdem uns jetzt klar ist, warum Vorstellrunden absolut sinnvoll und notwendig sind und alle ihre Vorteile auf der Hand liegen: Warum sind Teilnehmer*innen trotzdem von dem Prozedere genervt???
- Immer wieder das gleiche…: Wir haben es in der kurzen Einleitung schon angedeutet: Seminarteilnehmer*innen absolvieren häufig Ausbildungen, sie besuchen also Lehrgänge, wie die Lehrgänge Politik, Recht Wirtschaft oder Soziale Kompetenz modular aufgebaut sein können oder sogar durchgehend in der gleichen Gruppe stattfinden, wie Gewerkschaftsschule, BetriebsrätInnen Akademie oder Sozialakademie.
Sie haben also oft schon viele Vorstellrunden miterlebt. Leider laufen die oft nach dem in der Einleitung beschriebenen Schema F ab und sind daher methodisch wenig anregend.
Verschärft wird der Wiederholungseffekt natürlich in durchgehenden Lehrgängen – hier sind nur die jeweiligen Trainer*innen neu, die Gruppe kennt sich längst und hat sich die üblichen Basisinfos schon mehrfach gegenseitig vorgebetet. Man kann es niemandem verübeln, wenn da Gedanken abschweifen oder das Smartphone gezückt wird… - Laaaaaaaaaaaangweilige Infos: Ja, es ist eh wichtig, aus welcher Gewerkschaft die Teilnehmer*innen kommen und wie lang sie schon Betriebsrät*innen sind… Aber, ganz ehrlich: Sind das die Dinge, die einen an einem unbekannten Gegenüber wirklich am brennendsten interessieren??? Oder wollen wir nicht eigentlich ganz andere Dinge wissen: Was machen diese Menschen eigentlich in ihrer Freizeit? Haben sie Familie, Kinder? Was sind ihre Hobbies und Interessen? Persönliche Infos und Nebensächlichkeiten wecken Interesse, schaffen eine gemeinsame Basis und eine lockere Stimmung in der Gruppe
- Zeitfresser: Schon eine ganze Stunde vorbei und noch immer kein Inhalt!!! Vorstellrunden können ganz schön Zeit kosten – wenn 15 Teilnehmer*innen anwesend sind, die sich wirklich kurz fassen, und tatsächlich nur die Basics thematisiert werden, kommt man mit einer halben Stunde durch. ABER. Wenn nur ein bisschen mehr als die erwähnten Basics erzählt werden sollen und dann eventuell noch ein bis zwei besonders Sendungsbewusste in der Runde sind… Wir alle kennen Vorstellrunden, die gewissermaßen ausgeufert sind. Und in erster Linie kommen Teilnehmer*innen nicht, um neue Leute kennenzulernen, sondern weil sie was lernen, sich mit einem bestimmten Thema auseinandersetzen wollen. Darauf sollten sie nicht allzu lange warten müssen
- Bühne für Selbstdarsteller: Das steht im direkten Zusammenhang mit dem Thema Zeitfresser. Manche Teilnehmer*innen finden sich selbst besonders spannend und interessant und wollen daher ihre wertvollen Erfahrungen und Erkenntnisse schon in der Vorstellrunde unbedingt mit ihren Mitmenschen teilen! Grundsätzlich ein lobenswerter Ansatz – nur, wenn wir unsere Erfahrungen teilen, können wir voneinander lernen – aber in der Vorstellrunde soll tatsächlich nur ein erster Eindruck vermittelt werden und nicht mehr. Mission possible für die Trainer*innen ist es, die Statements kurz zu halten, ohne den Teilnehmer*innen unhöflich ins Wort zu fallen
- Nicht brain-friendly: Infos aus Vorstellrunden sind nur schwer zu behalten. Da kommen zu viele, zu ähnliche und zu belanglose Dinge auf unser Gehirn zu, das in der Regel nur wenig davon wirklich speichert.
Alternativen – wie geht’s besser?
Der Beginn ist eigentlich gar nicht der Beginn…
Eine freundliche, entspannte Atmosphäre herzustellen ist eine Grundvoraussetzung für ein gelungenes Seminar. Damit können Trainer*innen aber schon beginnen, bevor das Seminar eigentlich anfängt und zwar auf digitalen wie analogen Wegen – dadurch kann dann die eigentliche Vorstellrunde im Seminar auch kürzer gehalten werden und der Hunger auf „Inhalte“ wird schneller gestillt!
- Die digitale Vorstellrunde
Auf einer digitalen Pinwand wie Padlet können Teilnehmer*innen sich schon einige Tage vor Seminarbeginn gegenseitig vorstellen. Dazu schreiben die Trainer*innen vorab ein Mail mit einigen Fragen an alle und bitten sie, die Antworten und im Idealfall auch ein Foto, auf der digitalen Pinwand zu posten. Das macht Spaß, man kann sich im wahrsten Sinn des Wortes schon ein Bild von den anderen machen und startet schon mit einigen Infos ins Seminar! Aussehen kann das zum Beispiel so wie auf dem Foto.
Weitere Infos zum Einsatz von Padlet im Seminar findest du in #dido_17! - Voll old school: Teilnehmer*innen-Liste und Vorbesprechung
Schon in der Vorbereitung des Seminars sollten sich Trainer*innen Informationen über die Teilnehmer*innen besorgen. Das kann durch die Übermittlung der Anmeldelisten und im Rahmen einer Vorbesprechung mit der Lehrgangsleitung gemacht werden. Die langweiligen Basisinfos können so schon erhoben werden und man kann sich dann auf die wirklich spannenden Fragen konzentrieren - Auch alt, aber gut: Small Talk!
Im Idealfall treffen die Trainer*innen ein, bevor die Teilnehmer*innen eintrudeln. Dann können sie die nämlich persönlich begrüßen und schon mal ein bisschen Small Talk mit ihnen führen – gute Anreise gehabt? Wie ist das Hotel?… Damit wird schon mal eine positive Atmosphäre geschaffen und die eine oder andere Information kitzelt man dabei auch raus - Die unbekannte Gruppe und wir Trainer*innen
Besonders bei länger dauernden Lehrgängen, in denen sich die Teilnehmer*innen untereinander schon kennen haben sich im Lauf der Zeit schon „kollektive Allergien“ herausgebildet. Also Dinge, die der Gruppe höchst unsympathisch sind und mit denen man sich als Trainer*in so richtig unbeliebt machen kann. Der einfachste Trick hier: Nachfragen!
Trainer*innen können einfach wirklich ganz direkt fragen: „Gibt’s irgendwas, das ich über euch als Gruppe wissen sollte oder worauf ihr allergisch reagiert?“ Das kann nur positives bewirken: Trainer*innen ersparen sich selbst und der Gruppe unnötige Frusterlebnisse - „Wie heißt du nochmal?„
Nicht alle Trainer*innen sind Genies darin, sich Namen sofort auswendig zu merken… Abhilfe schaffen hier die guten alten Namensschilder, die entweder vor den Teilnehmer*innen stehen oder die man sich auf irgendeine Art anheften kann. Besonders in langen Lehrgängen werden sie gern vergessen – die Teilnehmer*innen kennen sich untereinander ja sowieso schon und da ist das Namensschild nicht mehr so wichtig. Für die Trainer*innen aber schon! Daher, auch in diesem Fall: Einfach nachfragen und die Gruppe bitten, Namensschilder zu verwenden!
Weg vom Schema F!
Dass immer gleich ablaufende Vorstellrunden langweilig sind, hat sich auch in der Trainer*innen-Community längst herumgesprochen. Um Abhilfe zu schaffen, haben viele schlaue Menschen daher viele schlaue Methodenbücher oder auch -Blogs etc. geschrieben, in denen jede Menge Vorstell-Spiele zu finden sind. Recherchiert mal ein bisschen und lasst euch inspirieren – beim Einsatz ist aber Vorsicht geboten: Vorstell-Spiele müssen sowohl zu den Trainer*innen als auch zur Gruppe und zum Anlass passen und oft ist weniger dann doch wieder mehr. Ein paar wollen wir euch aber trotzdem vorstellen, konzentriert haben wir dabei auf Methoden, die einfach und unkompliziert umgesetzt werden und auch individuell verändert werden können!
Weg von den langweiligen Infos!
- BPA-Analyse
- SMART-Start: Teilnehmer*innen stellen sich vor – mit Hilfe eines eigenen Handyfotos
- Interviews
- Triaden
Setzt eure Kreativität ein!
- Porträts zeichnen
- Einen Film drehen – Tipps dazu findet ihr HIER, HIER oder HIER
Und hopp, rein ins Thema
- Was wissen wir schon zum Thema?
Autor*innen: Pia Lichtblau, Ulli Lipp
Englische Übersetzung finden Sie hier
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