#demo: Demokratie auf allen Ebenen

Demokratie auf allen Ebenen
erstellt mithilfe von K.I. (DALL-E)

vom Betrieb über die Schule bis in den Alltag

„Demokratie ist die beste Staatsform, auch wenn sie Probleme mit sich bringen mag.“ Dieser Aussage stimmen 86 Prozent der Österreicher:innen sehr oder ziemlich zu. Laut dem Demokratiemonitor ist diese Zustimmung über die Jahre stabil geblieben. Das Vertrauen ins politische System ist jedoch stark gesunken – und beträgt beim untersten ökonomischen Drittel nur noch 24 Prozent.1

Letzteres fühlt sich in der Politik auch nicht (mehr) vertreten. Mangelnde Repräsentation schwächt wiederum das Systemvertrauen bzw. führt zur Annahme, man könne ohnehin nichts ändern. Ohnmachtsgefühle und Ungerechtigkeitsempfinden machen Menschen passiver und nicht politisch aktiver. Sozioökonomisch Benachteiligte wenden sich vom politischen System ab und gehen seltener zur Wahl. Dies ist kein Naturgesetz, sondern passende politische Angebote fehlen: etwa Parteien, die als glaubwürdige Alternative wahrgenommen werden und fähig sind, jene zu organisieren bzw. für Wahlen zu mobilisieren, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind.

Wesentlich für Demokratiebewusstsein sind Alltagserfahrungen der Mitbestimmung. Demokratie sollte mehr sein als eine Regierungs- oder Verfahrensform im politischen Bereich: Sie sollte vielmehr als Ziel einer gesellschaftlichen Entwicklung verstanden werden, also als Lebensform, die Teilhabe in allen Lebensbereichen anstrebt. Das gilt vor allem für Bildungs- und Arbeitsorte, wo wir einen großen Teil unserer Lebenszeit verbringen.

Betriebliche Mitbestimmung stärkt demokratische Handlungsfähigkeit

erstellt mithilfe von K.I. (DALL-E)

Wo es einen Betriebsrat gibt, gehen die Beschäftigten eher wählen: Die Wahrscheinlichkeit, an der letzten Wien-Wahl teilzunehmen, lag bei Angehörigen des untersten ökonomischen Drittels bei nur 37%, wenn diese in Betrieben ohne Betriebsrat arbeiteten. Bei jenen mit Betriebsrat, stieg die Wahrscheinlichkeit auf 54%.2 Wer am Arbeitsplatz Erfahrungen der Mitbestimmung macht, beteiligt sich aber nicht nur häufiger an Wahlen, es sinkt auch die Zustimmung zu autoritären und rechtsextremen Aussagen. Anders ausgedrückt: Es sinkt die Bereitschaft, „sich nach oben zu bücken und nach unten zu treten.“ Dies zeigt eine aktuelle Studie der deutschen Otto-Brenner-Stiftung, für die 3.000 ostdeutsche Beschäftigte befragt wurden.3

Wer Anerkennung, Solidarität und Mitbestimmung am eigenen Leib erfährt, fühlt sich handlungsfähiger gegenüber Zwängen und Autoritäten unseres (Arbeits)Lebens. Handlungsfähigkeit in der Arbeitswelt motiviert zur demokratischen Betätigung und stärkt so das Selbstbewusstsein. Was für die Arbeitswelt gilt, kann auch auf andere gesellschaftliche Räume umgelegt werden – etwa die Schule.

Wo, wenn nicht in der Schule…

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…sollen Kinder und Jugendliche Demokratie leben und lernen? Keine andere Institution ist in der Lage, praktisch alle Heranwachsenden zu erreichen und über viele Jahre zu prägen. 1974 wurde die demokratische Mitwirkung der Schüler:innen am Schulleben gesetzlich geregelt. Dennoch ist Schule in der Praxis meist ein sehr hierarchischer Ort. Die Mitsprache der Schüler:innen endet oftmals beim Schulbuffet. Geht es um Schulordnung, Schulentwicklung, Leistungsfeststellungen, der Auswahl von Schulleitungen oder Schwerpunktsetzungen im Lehrstoff und Unterricht, kommen Schüler:innenwünsche in der Regel zu kurz. Dazu kommt, dass unser Schulsystem stark auf individuelle Leistungsresultate abzielt und wenig auf Teamarbeit. Gemeinschaftliche, solidarische „Gegenerfahrungen“ zu jenen der alltäglich erlebten individuellen Konkurrenz würden kollektive Handlungskompetenzen stärken. Ein Ausbau von Gruppen- und Projektarbeiten, Schulprojekten oder teamorientierte Unterrichtsmethoden wären auch aus demokratiepolitischer Sicht wünschenswert.

Demokratie lernt man durch´s Tun.

erstellt mithilfe von K.I. (DALL-E)

Ob Nachbarschaftshilfe, karitative Einrichtungen, Katastrophenhilfs- und Rettungsdienste, Feuerwehren, Sport- und Kulturvereine oder politische (Jugend-)Organisationen: 49,3 Prozent aller 15- bis 29-jährigen Menschen in Österreich sind formell in Vereinen/Organisationen oder informell (Nachbarschaftshilfe) aktiv.4 Dieses freiwillige Engagement ermöglicht erst eine lebendige Gemeinschaft. Gleichzeitig erleben die dort Engagierten Mitbestimmung und Partizipation. Denn insbesondere in Kinder- und Jugendorganisationen sind es junge Menschen, die die leitenden Funktionen besetzen und Aktivitäten durchführen. Themen müssen verhandelt und Arbeitsschwerpunkte gesetzt werden. Vereine sind damit Räume selbstbestimmten Handelns, in denen kollektive Handlungserfahrungen gesammelt und oft grundlegende demokratische Kompetenzen erworben werden.

Interessensvertretung erlebbar machen

Letztlich stellt sich auch für uns als Arbeiter:innenbewegung die Frage, wie wir uns in der Öffentlichkeit präsentieren. Die im Unterricht oftmals vermittelte, sehr auf Institutionenkunde abzielende Darstellung des österreichischen Systems der Interessensvertretung und Sozialpartnerschaft, knüpft wenig an der Lebenswelt der Jugendlichen an bzw. wirkt oft zu abstrakt. Für den deutschen Sozialphilosophen Oskar Negt ist nicht nur die Demokratie die „einzige Staatsform, die gelernt werden muss“, auch Arbeit und Arbeitserfahrungen sind zentrale Bezugspunkte, über die in der Bildungsarbeit gesellschaftliche Emanzipation und Selbstermächtigung vermittelt werden kann.5 Ausgehend von konkreten Konfliktfällen, vermittelt das AK-Programm „Arbeitswelt & Schule“ mit dem 2-stündigen Schulworkshop „Gemeinsam sind wir stark“, wie Arbeiter:innen bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und sozialen Fortschritt erkämpfen konnten.

Im Rollenspiel arbeiten die Schüler:innen als Belegschaft einer Schiffsfabrik und lernen, sich für gemeinsame Ziele zu organisieren. Sie erhalten wenig Lohn, während der:die Fabrikbesitzer:in großen Gewinn macht. Die Schüler:innen entwickeln gemeinsam Strategien, um zu mehr Lohn zu kommen: sie organisieren sich, legen Forderungen fest, verhandeln Vereinbarungen und Regeln, wählen Stellvertreter:innen, schließen Kompromisse und gehen manchmal bis zum Streik. Mehr dazu hier.

Schüler:innen lernen im Tun, wie entscheidend es ist, sich zu organisieren, um soziale Verbesserungen und ein menschenwürdiges Arbeitsleben durchzusetzen.

Am nächsten „demokratischen Montag“…

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…gehen wir der Frage nach, wie man Bildung selbst demokratischer gestalten kann. Welche Voraussetzungen braucht es dafür, welche Haltungen, Fähigkeiten und welches Wissen entwickeln die Beteiligten dabei? Von welchen Beispielen können wir lernen und was kannst du ganz konkret ausprobieren, wenn du dein Bildungsangebot demokratischer gestalten willst?

Autor: Boris Ginner

Weiterführende Links:

Lust auf mehr? Zu allen Beiträgen der Serie kommst du HIER!

  1. Österreichischer Demokratie Monitor 2023 ↩︎
  2. SORA (2020) ↩︎
  3. Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland (otto-brenner-stiftung.de) ↩︎
  4. STATISTIK AUSTRIA (2023) ↩︎
  5. Negt, Oskar: „Politische Bildung ist die Befreiung der Menschen“, in: Hufer, Klaus-Peter/Pohl, Kerstin/Scheurich, Imke (Hrsg.): Positionen der politischen Bildung 2. Ein Interviewbuch zur außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung. Schwalbach/Ts. 2004, S. 196–213 ↩︎
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