#legamo: Demokratie lernen

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Im 6. Beitrag der Reihe zur Lehrgangsbegleitung dreht sich alles um das Thema Demokratie. 2024 war ein Superwahljahr: AK-Wahl, Wahlen zum EU-Parlament, Nationalratswahlen, US-Wahl, Landtagswahlen, Personalvertretungswahlen, etc. Aufgrund der aktuellen politischen Ereignisse und Entwicklungen wie illiberalen Demokratien, Polarisierungen, vermutetem Wahlbetrug, vorgeworfenem Wahlbetrug, nachgewiesenem Wahlbetrug, vermuteter Wahlbeeinflussung, nachgewiesener Wahlbeeinflussung, Angriff auf und Umbau der demokratischen Institutionen und Gepflogenheiten, demokratisch gewählten Parteien die mit autoritären Systemen liebäugeln, Rechtsruck, etc. wird immer öfter die Frage gestellt, ob die Demokratie, wie wir sie kennen, insgesamt in Gefahr ist. Demokratiebildung ist in aller Munde. Tagungen werden und wurden abgehalten. Und auch die gewerkschaftliche Erwachsenenbildung ist gefragt Antworten zu geben. Ein paar dieser Antworten kannst du auch im #demo nachlesen.

Demokratie, hä?

Bevor wir über Demokratievermittlung sprechen, eine Definition von Demokratie wie sie auf der offiziellen Seite der demokratischen Republik Österreich zu finden ist: „Das Wort Demokratie stammt aus dem Griechischen und bedeutet ‚Volksherrschaft‘. D.h. […] die politischen Entscheidungen werden durch den Mehrheitswillen der Bevölkerung gefällt. […] Dies entspricht einer repräsentativen Demokratie. Die wichtigsten Merkmale einer Demokratie sind Meinungsfreiheit, Existenz einer Opposition und Gewaltenteilung.“ Als wichtigste Merkmale sollten sie auch in der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung in Bezug auf Demokratiebildung zu finden sein.

Der Betriebsrat fördert Demokratie

Das Fazit einer Erhebung des Foresight Instituts hinsichtlich betrieblicher Mitbestimmung und dessen Auswirkung bzw. Einfluss auf die Demokratie besagt, dass „betriebliche Mitbestimmung die Demokratie insgesamt stärkt, u.a. weil sie den unteren Einkommens-gruppen positive Beteiligungs-erfahrungen ermöglicht“. Menschen die sonst nicht wählen würden (aus der Erhebung ergab sich der Umstand, dass Menschen im unteren Einkommensbereich eine geringere Wahlbeteiligung haben) oder nicht wählen dürfen (weil sie nicht die österreichische Staatsbürgerschaft haben), können aufgrund des aktiven und passiven Wahlrechts bei der Betriebsratswahl die Erfahrung von Teilhabe und Mitbestimmung machen.

Wenn Menschen mitbestimmen können, dann tun sie es.

Mitbestimmung in Betriebsrat und Gewerkschaft

Die letzte AK-Wahl wurde 2024 durchgeführt. Die politischen (Macht-)Verhältnisse in der AK ergeben sich aus dem Abstimmungsverhalten der Arbeitnehmer:innen. Der letzte ÖGB-Bundeskongress fand 2023 statt. Beim Bundeskongress geht es zum Einen um die Weichenstellungen (das ÖGB-Grundsatzprogramm wird beschlossen) der nächsten Jahre, und zum Anderen um die demokratische Legitimation (367 Delegierte wählten den Präsident, die Vizepräsidentinnen und den Vorstand des ÖGB) dieser Weichen. Die Verhältnisse im ÖGB ergeben sich aus den Mitgliederzahlen der Gewerkschaften, aber auch aus der Fraktionierung der Betriebsrät:innen.

Demokratie(bildung) in der Gewerkschaftsschule

Auf der Wissensebene gibt es unterschiedliche Formate und Inhalte bezüglich Mitbestimmung und Teilhabe. Es gibt Parlamentsbesuche und Diskussionen mit Nationalratsabgeordneten, es gibt Einheiten zur betrieblichen und überbetrieblichen Mitbestimmung, zum Aufbau und den Statuten des ÖGB, zu BR-Wahl, …

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Auf der Erfahrungsebene passiert Demokratievermittlung zu einem großen Teil durch die Gruppe. Demokratie heißt Vielfalt. Die Gewerkschaftsschulen haben ganz viel davon. Diese Vielfalt auszuhalten, sich dieser Vielfalt auszusetzen und einen konstruktiven Umgang damit zu finden ist ein wichtiger Teil in der Lehrgangs-begleitung. Dies wird durch Einheiten und Inputs zu Gruppenphänomenen, Diversität und Vielfalt sowie Solidarität unterstützt. Demokratie bedeutet mehr als eine Meinung zu haben, mehr als eine Meinung zuzulassen. Wenn wir zur obenstehenden Definition von Demokratie schauen, wären das die Bereiche Meinungsfreiheit und Existenz einer Opposition.

Fraktionierung braucht Imagepflege: „reden wir darüber“

Vor allem im Setting von vertraulichen Einzelgesprächen ist es wichtig, Fraktionierungen und politische Haltungen anzusprechen und zu reflektieren. Nicht-Fraktionierung wird häufig als „Qualität“, im Sinne von Unabhängigkeit, wahrgenommen. Ohne das Verständnis dafür, dass Nicht-Fraktionieren wie Nicht-Wählen ist, bleibt es dabei und die Gewerkschaftsbewegung wird früher oder später ihren Wertekompass und ihre demokratische Legitimation verlieren.

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Fraktionierungen werden häufig als „veraltet“ wahrgenommen. Sich zu etwas zu bekennen erzeugt in Zeiten der Individualisierung große innere (und auch äußere) Spannungen. Die Teilnehmer:innen auch hier in die Differenzierung zu bringen ist Teil der Lehrgangsbegleitung. Ohne innere und äußere Differenzierung ist keine demokratische Haltung möglich. Ein Blick in und auf die Gesamtgruppe ist hierbei eine ständige Einladung zur Differenzierung.

Demokratie und ihre Grenzen

Wichtige Grundlage für das Aushalten von Demokratie ist Frustrationstoleranz. Die Erkenntnis und Einsicht, dass weder in der betrieblichen Praxis, noch auf der gewerkschaftlichen Ebene, in der Gewerkschaftsschulgruppe oder sonst wo, es möglich ist, alles immer und überall durchzusetzen, sollte nicht als Problem, sondern als Qualitätskriterium angesehen werden. Diese innere Haltung, das Aushalten der Spannung zwischen Vision und realistischer Zielsetzung ermöglicht erst den Umgang mit unterschiedlichen Interessen. Es ist der Gegenentwurf zum „starken Mann“, zur „starken Frau“. Hier hätten wir dann noch das dritte, zu Beginn erwähnte, Kriterium der Demokratie: die Gewaltenteilung. Es wird nicht alleine entschieden.

Demokratie hat ganz viel mit Grenzen zu tun. Mit den eigenen, mit den anderen, mit den institutionellen. Für die Lehrgangsbegleitung bedeutet das konkret mit den Teilnehmer:innen

  • eigene Haltungen und Grenzen zu reflektieren,
  • andere Haltungen und Grenzen zu kennen,
  • andere Haltungen und Grenzen stehen lassen zu können – „agree to disagree“
  • die Einsicht gegenüber Haltungen, die außerhalb der Demokratie liegen, Grenzen zu setzen.

Im Namen der Toleranz sollten wir … das Recht beanspruchen, die Intoleranz nicht zu tolerieren. (Karl Popper)

Gegen die Vereinzelung

Abschließend noch einmal der Appell, Heterogenität in der Gewerkschaftsschule nicht nur als Zumutung, sondern als große Ressource zu sehen, bzw. gerade die Zumutung als Ressource zu sehen. Sich in der „Wohlfühlblase“ zu bewegen hat nicht viel mit Demokratie zu tun. Die Teilnehmer:innen (aber auch die Organisation) sind ständig mit einer großen Bandbreite von Meinungen und Werthaltungen konfrontiert. Das Aushalten davon, der Umgang damit ist ein großer Hebel für das Lernen von Demokratie. Demokratie bietet keine einfachen Lösungen. Es gilt Störungen/Opposition auszuhalten, Mehrheiten und Minderheiten anzuerkennen und trotzdem mitzumachen. Der ÖGB als Einheitsgewerkschaft lebt es vor. Es ist gut ein Teil davon zu sein.

Autor: Markus Reisinger

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