Das Grundmuster der Methode
Die kollegiale Beratung ist eine strukturierte Besprechung, die nach festgelegten Schritten abläuft. Ziel ist, dass zu einer konkreten Problemsituation oder zu einer Frage mehrere Lösungsideen entwickelt werden. Genutzt werden das Wissen und die Erfahrungen von Kolleginnen und Kollegen.
Die klassischen sechs Schritte
1. Situationsbeschreibung/Frage
Der oder die Falleinbringer:in (FB) beschreibt die Situation und formuliert möglichst konkret die Frage, das Anliegen, das bearbeitet werden soll.
2. Verständnisfragen
Die Berater:innen (B) stellen Nachfragen. FB antwortet, um die Situation zu klären. Die Berater:innen müssen sich die Situation gut vorstellen können.
3. Hypothesen-Bildung
Der oder die Falleinbringer:in verlässt die Runde (sitzt zum Beispiel hinter einer Pinnwand), kann aber die Berater:innen gut hören. Diese diskutieren mögliche Ursachen des Problems.
4. Resonanz zu den Hypothesen
FB kommt zurück in die Runde und gibt Rückmeldung: Diese Hypothese(n) könnte(n) zutreffen. Ein Eingehen auf alle geäußerten Vermutungen ist nicht nötig.
5. Entwicklung von Lösungen
FB verlässt die Runde wieder und hört nur zu, wie die Berater:innen Lösungsideen entwickeln. Ziel dieser Phase: Handlungsmöglichkeiten für die Situation entstehen. Je mehr, umso besser. Eine Wertung gibt es in dieser Phase nicht. Der oder die Falleinbringer:in schreibt mit.
6. Rückmeldung
Das nehme ich mit. FB setzt sich wieder in die Runde und benennt die Ideen, die realisiert werden.
Warum dieses komplizierte Vorgehen?
Eigentlich könnte sich ein Team auch „einfach so“ zusammensetzen und Lösungen für ein Problem diskutieren. Nur: Viel zu wenig wird über Hintergründe gesprochen und viel zu schnell werden Für und Wider einzelner Lösungen diskutiert, ohne viele verschiedene Ideen entstehen zu lassen. Oft werden Ideen auch vorschnell verworfen.
Das liegt darin, dass die Person, die den Fall einbringt, sehr oft direkt angesprochen wird oder auf Vorschläge sofort reagiert. Deshalb ist das Verlassen der Runde bei der Hypothesenbildung und der Entwicklung von Lösungen der eigentliche Clou der Methode. Das Zuhören hinter einer Pinnwand oder dergleichen verhindert, dass der oder die Falleinbringer:in durch Blickkontakt einbezogen wird oder mimisch reagiert.
Kollegiale Beratung am Beispiel: Franz und Albert stören
Das Beispiel – weil ganz unverfänglich – stammt aus dem gewerkschaftsfernen Bereich Schule. Die Zwillinge Franz und Albert in einer Ganztagsschulklasse stören viel, streiten sich untereinander permanent und prügeln sich. Die beiden in der Klasse hauptsächlich unterrichtenden Lehrkräfte bringen den Fall in eine Kollegiale Beratung ein. An ihr nehmen außer den beiden zwei Sozialpädagog:innen, zwei weitere Lehrkräfte und zwei Ganztagsbetreuerinnen teil. Eine Sozialpädagogin übernimmt die Moderation der Kollegialen Beratung, für die 90 Minuten angesetzt sind.
Alle kennen die beiden Brüder und dennoch sind die Situationsbeschreibung und Nachfragen dazu wichtig. Als Ziel wird formuliert: Wie können wir die Störungen soweit reduzieren, dass für die anderen Kinder die Störungen beim Lernen weniger werden? Die beiden Lehrkräfte verlassen die Runde. Die Beratenden diskutieren Hypothesen und schreiben sie auch mit.
Im Schritt Resonanz zu den Hypothesen erklären die Lehrkräfte, dass die Brüder in der Familie Konsequenzen nicht gewohnt sind und durch ihre Störungen in der Schule viel Aufmerksamkeit bekommen.
Bei der Entwicklung von Lösungsideen wird wieder an einer Tafel mitgeschrieben. Die den Fall einbringenden Lehrkräfte sind wieder raus aus dem Kreis und hören nur zu. In ihrer Rückmeldung zu den Ideen steht der Vorschlag, bei den Konsequenzen bei Fehlverhalten klarer und vor allem einheitlich zu reagieren, im Mittelpunkt. Die beiden Brüder müssen wissen, dass keine Lehrkraft zuschaut, wenn sie mit Worten oder gar Fäusten aufeinander losgehen.
Anwendungen der Kollegialen Beratung im gewerkschaftlichen Kontext
Für die Arbeit von Betriebsrät:innen kann die Kollegiale Beratung sehr hilfreich sein. In der täglichen Arbeit in den Unternehmen treten immer wieder neue Probleme auf, für die es keine Musterlösungen oder eindeutige gesetzliche Regelungen gibt. Da ist die Kollegiale Beratung im Kreis anderer Gewerkschafter:innen hilfreich. Im Seminar „Mutige Methoden für große Gruppen“ organisierten Lena Doppel-Prix und Peter Hofmann eine Kollegiale Beratung für angedachte Veranstaltungen von einer AK-Klausur bis zu einer Informations-Veranstaltung für Betriebsrät:innen zum Thema klimagerechte Mitbestimmung.
Das zeigt die Stärke der Methode Kollegiale Beratung im Rahmen gewerkschaftlichen Lernens in Seminaren und Kursen. Referent:innen nutzen das Know-how und die Erfahrungen der Teilnehmer:innen. Fragestellungen werden mit der Methode bearbeitet, die Referent:in kann sich dabei auf die Organisation des Lernprozesses und die Moderation zurückziehen.
Der Lerngewinn liegt nicht nur bei denen, die einen Fall bzw. eine Fragestellung einbringen, sondern auch bei den Beratenden und sogar die Referentinnen und Referenten profitieren.
Zum Weiterlesen
- In diesem Blog erscheint demnächst ein Beitrag mit Tipps und Anregungen zur Kollegialen Beratung. Im Netz finden sich darüber hinaus viele Anregungen, zum Beispiel auf der Website Kollegiale Beratung.
- Viele Informationen über Entstehung und verschiedene Varianten der Kollegialen Beratung finden sich in einem Lexikonbeitrag von Wolfgang Schindler.
- Eine wahre Fundgrube für Anwendungen im gewerkschaftlichen Kontext ist eine Broschüre der IG Metall.
Autor: Ulli Lipp
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