#demo: Tanzen im Atomkraftwerk

Wahlrecht
erstellt mithilfe von K.I. (DALL-E)

Mitbestimmung mit und ohne Wahlrecht

Gestern habe ich zwei Berufsschüler:innen getroffen, die im August 2024 zu einem Musikfestival fahren werden, dem „Shutdown-Festival“. Seit vielen Jahren kann man dort zu elektronischer Musik tanzen. Es findet direkt auf dem Gelände des ehemaligen Atomkraftwerks Zwentendorf statt, jenes Atomkraftwerks, dass uns auch eine Geschichte über Zivilgesellschaft, Protest und Mitbestimmung erzählt:

Zwentendorf

Das AKW Zwentendorf ist das einzige Atomkraftwerk auf der Welt, das – obwohl in den 1970er-Jahren fertig gebaut – nie eingeschaltet wurde und das bei Baukosten von geschätzt einer Milliarde Euro. Der Grund dafür war die Zwentendorf-Protestbewegung, die von vielen jungen Menschen mitgetragen wurde, die der damals amtierende Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) als „Lausbuben“ bezeichnete. Dieser „Lausbuben-Protest“ war jedoch höchst erfolgreich und veranlasste den Bundeskanzler schließlich dazu, im November 1978 eine Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Kraftwerks durchzuführen. Trotz des öffentlichen Engagements des populären Kanzlers für ein „Ja“ zum Kraftwerk, ging die Abstimmung knapp negativ aus und in Österreich ist auch heute – mehr als 45 Jahre später – kein Atomkraftwerk in Betrieb.

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Mitbestimmungsrechte vermitteln

Man sieht also, und das ist beim Thema Mitbestimmung besonders wichtig, dass Proteste bzw. verschiedene Formen der Mitbestimmung wirksam sind. Sie prägen unser Land dauerhaft, unabhängig davon, ob die sich beteiligenden Menschen ein Wahlrecht haben oder nicht. Das sieht man aktuell auch an Protestbewegungen wie „Fridays for Future“, die großteils von Schüler:innen gegründet und organisiert wurden, die (noch) kein Wahlrecht hatten. Auch wenn die Form des Protests für Kritik sorgt, ist es jungen Menschen gelungen, Themen wie Klimakrise und Nachhaltigkeit noch stärker in die öffentliche Diskussion und auf die politische Agenda zu bringen.

(Wahl-)Recht und Pflicht

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Eine der wirkungsvollsten und ganz sicher eine der bequemsten Formen der Mitbestimmung ist es, an verschiedenen Wahlen teilzunehmen. Durch die Möglichkeit der Wahl per Briefwahl bzw. Wahlkarte muss man für diese Form der Mitbestimmung nicht einmal die eigene Wohnung verlassen.

Österreich war das erste Land in der EU, in dem 16- und 17-Jährige bei nationalen Wahlen seit 2008 wählen durften. Und trotzdem nimmt eine Vielzahl von Menschen in Österreich nicht an den wichtigsten Wahlen teil. Eine Gruppe davon ist jene der Nicht- oder der Weißwähler:innen. Damit sind jene Menschen gemeint, die eigentlich wahlberechtigt wären, die aber von diesem Wahlrecht nicht Gebrauch machen. Bei der letzten Nationalratswahl (2019) hat etwa jede:r vierte Wahlberechtigte das Wahlrecht nicht genutzt. Im internationalen Vergleich ist dies ein recht guter Wert.

Paradoxerweise entscheiden sich eher jene Menschen, die besonders unzufrieden mit der politischen Situation sind oder sich wenig repräsentiert fühlen, nicht wählen zu gehen (siehe etwa Ergebnisse des Demokratiemonitors 2023). Diese Haltung, an einem demokratischen Prozess nicht teilzunehmen, wenn man grundsätzlich wenig Vertrauen in diesen hat, scheint im ersten Moment durchaus nachvollziehbar. Andererseits könnte man aber genauso argumentieren, dass eine verstärkte Teilnahme an Wahlen durch „wahlskeptische Personen“ und die persönliche Wahl der gewünschten politischen Vertretung, das politische System nach deren Wünschen verändern kann.

Der Pass ist nicht egal

Die zweite relevante Gruppe sind jene Personen, die eigentlich im wahlfähigen Alter wären und grundsätzlich wählen wollen, dies aber auf Grund von formellen Hürden – in der Regel auf Grund von einer fehlenden Staatsbürgerschaft – nicht dürfen. Diese Gruppe wird in Österreich in Städten wie Wien tendenziell größer. So waren bei der letzten Landtags- und Gemeinderatswahl 2020 etwa 30 Prozent der Menschen im wahlfähigen Alter nicht wahlberechtigt.


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Mit vielen betroffenen Jugendlichen (16 Jahre oder älter) haben wir von Sapere Aude in den letzten Jahren (trotzdem) zu politischen Themen gearbeitet. Dies ist insofern eine besondere Herausforderung, weil die Berechtigung an einer Wahl teilzunehmen, für viele Menschen auch eine Initialzündung ist, sich politisch zu interessieren und von diesem Recht auch Gebrauch zu machen. Ein fehlendes Wahlrecht kann zu Frustration und zu einer Abkehr von politischer Beteiligung führen, gerade wenn man in Österreich lebt, arbeitet und – nicht unwichtig – Steuern zahlt. Der Gedanke liegt nahe, dass Wahlen, bei denen eine immer größere Anzahl an Menschen nicht mitmachen (können oder dürfen), auf Dauer an Legitimität einbüßen und zu einem demokratiepolitischen Problem werden. Schließlich können alle Wahlberechtigte am Wahlabend bequem auf der Couch beobachten, was mit ihren Stimmen passiert und wie sich das Land durch das Ergebnis ein Stück weit verändert und hoffentlich auch ein wenig schöner oder besser wird. Eine Änderung des Wahlrechts ist politisch immer eine heikle Sache, ihre Notwendigkeit wird hoffentlich von den politischen Akteur:innen am Horizont erkannt.

In der Zwischenzeit bleibt uns in der Demokratiebildung nur, jene Menschen mit Wahlrecht stetig an dieses zu erinnern und jenen Menschen ohne Wahlrecht, Geschichten wie die vom Tanzen im Atomkraftwerk zu erzählen.

Praktische Anregungen

  • Pro- und Contra-Debatte: Starte eine Debatte zum Thema Wahlrecht und Mitbestimmung mit der Frage „Soll es einen Wähler:innen-Führerschein geben?“, also eine Art Test, durch den relevantes Wissen zur Teilnahme an einer Wahl abgefragt wird. Du kannst deine Zielgruppe in eine Pro- und Contra-Gruppe einteilen und Argumente vorher recherchieren lassen oder gleich in eine offene Diskussion einsteigen.
  • Recherche und Diskussion: Lasse deine Zielgruppe zu erfolgreichen Protestformen recherchieren, etwa gegen das AKW Zwentendorf und in der Folge zu aktuellen Protestformen von Fridays for Future oder der „Letzten Generation“. Diskutiere mit deiner Gruppe, welche der recherchierten Protestformen dem Anliegen angemessen sind oder nicht. Daran anschließen kannst du die Diskussionsfrage, wie sich Menschen politisch beteiligen sollen, die kein Wahlrecht besitzen.

Autor: Patrick Danter von Sapere Aude

Am nächsten demokratischen Montag…

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…untersucht Boris Ginner, wie Wahlen mit sozialer Ungleichheit zusammenhängen. Wie ist die Wahlbeteiligung in der Bevölkerung verteilt? Wer hat dadurch mehr, wer weniger Einfluss? Wie wird damit soziale Ungleichheit beeinflusst?

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