Man spürt schon ein leises Knistern in der Luft. Die Stimmung ist seltsam aufgekratzt, das ist sogar durchs Internet spürbar. Unsere fünf Expert*innen treffen sich diesmal wieder online um über das das Thema „Attraktivität“ zu reden. Paul und Maria blödeln herum, Beate ist ungewöhnlich schlagfertig und Rudi schaut so spitzbübisch, wie schon lange nicht mehr. Sobald das Thema Nähe, Attraktivität, Interesse, Anziehung auf den Tisch kommt, ist niemand ganz unberührt davon. Klar – es ist ja auch ein wichtiger Bestandteil von menschlicher Interaktion, manche würden sogar behaupten der wichtigste. Also: Reden wir über Attraktivität.
Nachdem das Geplänkel etwas nachgelassen hat, räuspert sich Yasemine. Sie hat zugesagt, das heutige Treffen zu gestalten und beginnt nun mit der Einleitungsrunde: „Also, bei so einem persönlichen Thema sollten wir auch persönlich starten: Was ist eure Erfahrung mit Attraktivität im Seminar?“ Paul hat gleich eine Nachfrage: „Als Teilnehmer oder als Trainer?“ Yasmin nickt und ergänzt: „Gute Frage! In beiden Rollen: Die Frage nach Sympathie und Attraktivität betrifft einen in einer Gruppe sowohl als Teilnehmer*in als auch als Trainer*in„. Sie schaut auffordernd in die Runde. Nach und nach erzählen alle von ihren Erfahrungen, erst ein bisschen stockend und zögernd, aber mit Nachfragen und Ergänzungen kommen sie so richtig in Fahrt.
Früher…
Die ersten Erinnerungen, die die fünf teilen sind die, als sie selbst Teilnehmer*innen waren, bei ihrer ersten Ausbildung. Das ist natürlich unterschiedlich lange her, aber die Erfahrungen, die sie bei sich und ihren damaligen Kolleg*innen miterleben konnten, sind sehr ähnlich.
Beate kichert, als sie erzählt, dass sie ganz fest verknallt war in den coolsten Typen der Gruppe, aber natürlich selber viel zu cool um das vor irgendjemandem, geschweige denn sich selbst, zuzugeben. „Ich hab immer unauffällig versucht, in die selbe Kleingruppe zu kommen und im Sesselkreis gehofft, dass er sich neben mich setzt. Echt! Ich hab mich verhalten wie mit 16, dabei war ich damals schon gut Mitte 20.“
Yasemine erstaunt die anderen damit, dass sie an Wochenendseminaren immer bei den letzten war, die schlafen gegangen sind und bei jeder Party die Initiatorin war. „Das würde man dir heute gar nicht mehr zuschreiben“ meint Paul überrascht. „Du weißt schon, dass wir jetzt eine Post-Corona Party von dir erwarten.“ Yasemine nickt lachend „Na klar, die steigt auf jeden Fall!“ und prostet den andern in die Kamera zu.
Paul erzählt, dass er dauernd versucht hat, superreflektiert zu sein und über den ganzen Gruppenprozessen drüber zu stehen. „Ich war so ein nerviger Klugscheißer“ stöhnt er. Rudi hat versucht, durch Belesenheit zu punkten: „Ich hab wirklich ALLES gelesen. Egal was die Lehrgangstrainer*innen erwähnt haben, ich hab’s bis zur nächsten Einheit gelesen gehabt. Leider hat sich dann oft niemand mehr drauf bezogen.“ Beate legt den Kopf schief „Aaaw, das ist blöd. Aber dafür bist du jetzt unser größter Schlaukopf!“ Rudi muss grinsen. „Was ist mit dir, Maria?“ Maria schaut verlegen „Oh, ich hab mich damals ganz heftig in einen Trainer verschaut. Wir sind dann sogar einmal was Trinken gegangen, aber dabei ist es geblieben. Außerhalb vom Seminar war’s dann plötzlich gar nicht mehr so spannend.“
„Schon witzig, oder? Da haben wir uns alle voll verstellt und bemüht, andere zu beeindrucken, nur weil wir nicht zugeben konnten, dass uns interessiert, was die anderen von uns halten. Einfach fragen ging halt nicht“ fasst Yasemine zusammen. „Stimmt“ meint Rudi „und Marias Beispiel zeigt schön, dass es halt doch vor allem um den Kontext der Gruppe geht. Außerhalb der Gruppe verliert sich das Interesse oft. Nicht immer, aber oft.“
… dann….
„Ich hab meine Frau in einem Seminar kennengelernt“ meint Paul. Die anderen schauen ihn interessiert an und ihre Stille fordert ihn auf weiter zu erzählen. „Ich war damals Trainer und sie Teilnehmerin und ich hab echt lange mit mir gehadert, ob ich sie wirklich ansprechen soll. Ich hab dann bis ganz zum Ende vom Lehrgang gewartet, bis zu dem Zeitpunkt, wo ich formal nichts mehr mit der Gruppe zu tun hatte und hab sie dann gefragt, ob sie was trinken gehen mag. Zum Glück hat sie ja gesagt, sonst wäre ich mir echt blöd vorgekommen…“ Paul lacht erleichtert. Man sieht ihm an, dass es ihm nicht leicht fällt, das den anderen zu erzählen.
„Das ist ein echt spannendes Thema und ich bin wirklich froh, dass du das einbringst“ meint Yasemine und hakt nach: „Wie seht ihr denn das: Darf man sich als Trainer*in mit Teilnehmer*innen privat treffen?“ Eine Frage zu der tatsächlich alle was zu sagen haben. Es entsteht sofort eine rege Diskussion. Sie sind sich einig, dass es sehr schief kommt, wenn man ein bestehendes Macht- oder Vertrauensverhältnis ausnutzt. Gleichzeitig ist das Seminar oder der Lehrgang auch irgendwann vorbei und am Ende des Tages sind alle nur Menschen.
Beate fasst die Debatte gut zusammen: „Also, wenn ich nach einer IT-Schulung mit einem Teilnehmer was trinken gehe, dann ist das was anderes als wenn ich nach einer Selbsterfahrungs-Session gefragt werde, ob ich schon was vor habe. Es kommt einfach auf die Rolle und die Situation drauf an. Ich finde, man muss sich jedenfalls der eigenen Verantwortung bewusst sein. Auch, um sich selbst vor Enttäuschungen zu bewahren. „Beate die Trainerin“ hat andere Bedürfnisse als „Beate die Frau“ und die Frau könnte enttäuscht werden, wenn vom Gegenüber nur die Trainerin gefragt ist. “ Heftiges Nicken in allen vier Bildschirmteilen ist die Folge.
… und heute.
„Wie ist das heute für euch? Was für eine Rolle spielt Attraktivität heute im Seminar?“ Beate schaut in die Runde. „Also ich finde Gruppen nach wie vor höllisch aufregend“, grinst Yasemine. „Natürlich ist das nicht mehr das selbe Gefühl wie ganz am Beginn, aber aufgeregt bin ich nach wie vor. Ich kann mein Interesse besser einordnen und es bringt mich nicht mehr so oft aus dem Konzept, aber ab und zu schaffen es Teilnehmer*innen immer noch, dass ich den Faden verliere.“
Maria hakt sofort nach: „Oh ja, das kenn ich auch.“ Auch Paul und Rudi nicken. „Ich glaube ja, das hört nie auf. Wir finden uns als Menschen einfach gegenseitig mehr oder weniger interessant. Und das beeinflusst uns. Ich glaube, wir könnten unseren Job nicht machen, wenn wir Attraktivität, Anziehung und Interesse nicht spüren würden. Manchmal braucht uns die Gruppe ja auch, um zu benennen, was da gerade im Raum ist. Gerade in der Gruppendynamik ist Attraktivität ein großes Thema und ein Ziel, das auch in der Gruppe besprechbar zu machen.
Manchmal muss man da selbst als Katalysator dienen und Dinge beim Namen nennen.“ Rudi räuspert sich kurz. „Wenn ich so wie du, Yasemine, beschrieben hast – den Faden verliere, weil mich Teilnehmer*innen nervös machen, dann sprech ich das manchmal an. Die finden mich dann oft „süß“, weil sie mich von der Rolle geschubst haben, aber damit muss ich dann leben.“
Yasemine nimmt sich noch mal das Wort und ergänzt: „Attraktivität ist oft eine Frage von Status und eine Frage von Macht. Nicht um sonst sagt man „Macht macht sexy“, das funktioniert für die Trainer*innenrolle. Es klappt aber auch umgekehrt, die Trainer*in aus dem Konzept bringen, macht auch mächtig. Und da kommt dann wieder eine Gender-Frage dazu.“ Beate stützt den Kopf in die Hände. „Ah. Du hast völlig recht. Das wird alles schon wieder so kompliziert.“ Yasemine lacht: „Ich hab nie gesagt, dass es einfach ist, Schätzchen.“ Beate wirft ihr ein Küsschen zu: „Ich hab dich auch lieb!“ Das löst ein kurzes Lachintermezzo aus, als wieder alle zuhören meint Rudi: „Attraktivität war natürlich immer schon eine Macht- und eine Genderfrage. Ganz klar. Ich glaube, es ist wie bei allem im Leben: Mit steigender Erfahrung hat man das Gefühl, einen besseren Durchblick zu bekommen, nur um dann ab und zu wieder ordentlich auf die Nase zu fallen“.
„Das ist doch ein schönes Schlusswort“ meint Yasemine und gähnt. Es ist spät geworden. Die fünf winken sich noch einmal zu und beenden dann ihr heutiges Meeting. Beim nächsten Mal wollen sie sich drüber unterhalten, wie man Gruppenprozesse gut beendet.
Autorinnen: Gerda Kolb und Irene Zavarsky
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Das Schlusswort „Mit steigender Erfahrung hat man das Gefühl, einen besseren Durchblick zu bekommen, nur um dann ab und zu wieder ordentlich auf die Nase zu fallen“ passt perfekt zu mir: In jeder neuen Beziehung denke ich, es wird jetzt alles besser. Leider bin ich wieder einmal mehr single ;-(
LG, Anja Schilter