Das kennen viele: Eine „kleine“ Veränderung bei einem gewohnten Ablauf kann kaum auffallen oder aber alles aus der Reihe bringen – oder irgendwas dazwischen, was der wahrscheinlichere und häufigere Effekt ist. So auch bei Lehrgängen, die schon öfters durchgeführt wurden, wo Struktur und Inhalt zwar erhalten bleiben, es bei den Trainer_innen aber immer wieder mal einen Wechsel gibt. Paul und Beate stehen vor genau so einer Situation und möchten sich dieses Mal entsprechend von ihren Kolleg_innen beraten lassen.
Unsere fünf Expert_innen treffen sich diesmal im Prater. Sie wollen ihren Austausch während eines Spazierganges erledigen und als Methode haben sie eine etwas abgewandelte Form das Ideenkarussells gewählt. In einer Zweier- bzw. Dreiergruppe besprechen sie Pauls und Beates Anliegen mehrere Male für jeweils rund 15 Minuten aus verschiedenen Perspektiven. Dazwischen gibt es kurze Zusammenkünfte, wo alle gemeinsam im Kreis stehend ihre Ergebnisse zusammenführen. Paul und Beate erklären noch einmal kurz, worum es ihnen geht: Paul trainiert schon viele Jahre in einem Lehrgang, immer gemeinsam mit derselben Trainingspartnerin. Diese hat sich jetzt allerdings beruflich anders orientiert. Also hat Paul Beate gefragt, ob sie das Seminar mit ihm leiten möchte.
Nun wollen die beiden einen Blick darauf werden, was es braucht, damit die „Integration“ Beates in diesen Auftrag auch gut gelingt. Paul formuliert sein Anliegen so: „Wir werden das Seminar, das ja inhaltlich gut funktioniert, natürlich nicht völlig umgestalten. Allerdings braucht Beate auch Raum, um ihre Vorstellungen und Ideen umzusetzen.„
Erste Runde: Problemaufriss
Paul und Beate schildern aus ihrer Perspektive die Situation: Paul ist mit Yasemine unterwegs, Beate mit Maria und Rudi. Nach einer Viertelstunde kommt das erste „Plenum“ bei dem die beiden Standpunkte ausgetauscht werden:
Beide, Paul und Beate, freuen sich sehr auf die Zusammenarbeit und sind grundsätzlich zuversichtlich, dass alles gut klappen wird. Paul befürchtet, dass er Beate möglicherweise überrollt und ihr keinen Platz lässt, weil er das Design und den Lehrgang schon gut kennt. Gleichzeitig möchte er nicht das Seminar völlig neu erfinden, weil das bisherige Konzept ja gut funktioniert hat. Er weiß, dass er dazu tendiert, Kollegen und Kolleginnen, die sehr jung im Trainingskontext arbeiten, vor der Gruppe zu „schützen“. Bei Beate hätte er diese Angst nicht, weil er sie als „alten Hasen“ sieht und weiß, dass sie in diesem Bereich viel Erfahrung hat.
Beate hört sich Pauls Ausführungen ruhig an, dann erzählt sie ihre Sichtweise: Es beschäftigt sie die Frage nach „ihrem“ Platz im Seminar. Inhaltlich macht sie sich gar keine Sorgen, aber sie ist sich bewusst, dass sie die Gruppenkultur nicht so gut kennt wie Paul und dadurch vielleicht mal wo aneckt. Sie befürchtet, dass neue Inputs von ihr von Paul nicht aufgegriffen werden könnten mit Argumenten wie: „das hab ich schon probiert, das klappt nicht“ oder „das passt für die Gruppe nicht“, also nach dem Motto „Das haben wir noch nie so gemacht.“
Yasemine hat die Moderation der einzelnen Teile übernommen: „Sehr cool wie gut ihr schon über euch selber und eure Eigenheiten Bescheid wisst. Das ist echt ein hohes Niveau an Selbstreflexion! Bevor wir jetzt weiter drüber diskutieren, gehen wir zu Schritt zwei, der wahrscheinlich ziemlich seltsam klingt: Wir unterhalten uns nun drüber, was beide Seiten tun könnten, um die Situation noch schwierigerer für euch zwei zu machen. In einer Viertelstunde treffen wir uns wieder, da vorne, beim großen Baum.“
Schritt zwei: Was könnten wir tun, um die Situation noch schlimmer zu machen?
Die fünf marschieren wieder los, in der gleichen Konstellation wie vorher. Dieser Teil ist sehr lustvoll und von viel Gelächter unterbrochen. Man hört Gesprächsfetzen wie „Beate könnte immer die Augen verdrehen, wenn Paul etwas sagt“ oder „Paul könnte sich mit verschränkten Armen hinsetzen und wie ein Fahrprüfer einfach nur zuschauen.“ Als die fünf beim Baum ankommen, ist eine gelöstere Stimmung zu bemerken. Beate und Paul sind in der Übung viel Energie und Befürchtungen losgeworden, die entweder auf früheren Erfahrungen beruhen oder einfach manifestierte Ängste sind, die die beiden mit sich rumtragen. Yasemine leitet den nächsten Schritt ein: „Jetzt geht’s um die Lösungen: Was könnten die beiden machen, um die Situation für sich und den jeweils anderen zu erleichtern? Einfach mal sammeln, aussortiert wird dann später! Wir gehen einfach die Hauptallee zurück und ich sag Bescheid, wenn 15 Minuten vorbei sind.“
Schritt drei: Lösungsvorschläge sammeln
Paul und Yasemine gehen vor, Beate, Maria und Rudi mit ein klein wenig Abstand hinterher. Es ist gar nicht so einfach für Beate und Paul nur Vorschläge zu sammeln ohne sie gleich auf Umsetzbarkeit zu prüfen, aber die anderen passen streng auf sie auf und holen sie jedes Mal wieder zurück. Yasemine und Rudi haben die Aufgabe übernommen, in ihren Handies Stichworte mit zu notieren. Als sich die fünf zum letzten Plenum treffen, tauschen sie die Stichworte aus:
- Eigene Grenzen und Befürchtungen offen legen: Was brauche ich persönlich, um gut arbeiten zu können, was bringt mich sicher auf die Palme?
- Codewort vereinbaren für eine kurze Auszeit/Zwischenbesprechung.
- Design durchgehen, klare Arbeitsaufteilung treffen und jeder darf „seinen/ihren“ Teil verändern.
- In den Pausen kurze Staff-Zwischenchecks machen zum Abklären, ob noch alles passt.
- Miteinander reden, reden, reden!
- Tabula Rasa: Das alte Design verwerfen und völlig neu planen.
- Gemeinsame Arbeitsweise besprechen: Sind ad hoc Ergänzungen ok? Ist das nicht gewünscht?
- Ziel vom Seminar noch mal vor Augen führen: Was ist wirklich wichtig?
- Gender-Age-Balance: Traditionelle Rollenaufteilung vermeiden: Der „alte Mann“ macht die toughen Inhalte, die „junge Frau“ ist für das Soziale zuständig.
Beim letzten Punkt müssen Paul und Beate laut lachen: „Das haben wir auch schon besprochen“ meint Paul, „den Eindruck wollen wir auf keinen Fall hinterlassen. Wir haben schon ausgemacht, dass Beate die fachlichen Inputs anleitet und ich eher die gruppendynamischen Sachen, um dem Stereotyp gleich entgegenzuwirken.“
Schritt vier: Aussortieren und ausprobieren
Yasemine und Rudi schicken die gesammelten Punkte in die gemeinsame Signal-Gruppe, damit sie für die anderen auch zur Verfügung stehen. Yasemine fragt Beate und Paul, ob sie noch was brauchen von der Gruppe. Sie fasst zusammen: „Der nächste Schritt wäre jetzt, dass ihr euch gemeinsam überlegt, was von den Vorschlägen für euch umsetzbar ist und was ihr ausprobieren wollt.
Im Grunde ist es für länger existierende Strukturen immer eine Chance, wenn frischer Wind rein kommt. Paul ist vielleicht für viele Dinge schon betriebsblind und Beate kann gewachsene Strukturen mit einem frischen Blick viel leichter in Frage stellen.“ Paul nickt nachdenklich: „Da hast du natürlich völlig recht. Ich hinterfrage sicher manche Sachen einfach nicht mehr, weil sie für mich schon so „normal“ sind. Ich freu mich jedenfalls schon sehr auf die Zusammenarbeit.“ Beate nickt heftig. „Oh ja, jetzt freu ich mich auch schon richtig drauf, wenn unser Seminar startet.“
Maria ergänzt noch: „Ich glaub, auch für die Gruppe ist es gut, wenn sie sieht, dass neue Leute auch in Leitungsfunktionen gut integriert werden können. Das kommt ja im Arbeitsalltag auch immer wieder vor. Wenn sie dann sehen, dass man das ehrlich ansprechen kann und es auch möglich ist, alte Strukturen zu hinterfragen, dann birgt das ja auch immer eine Chance auf Veränderung. Ich würde gar kein großes Augenmerk drauf legen, dass die Gruppe nicht merken soll, dass der Erfahrungshorizont im Staff unterschiedlich ist. Ich find da einen offenlegenden Umgang damit viel besser.“ Die anderen nicken nachdenklich. Auf der Ebene haben sie das noch gar nicht betrachtet.
Beim nächsten Treffen wollen sich die fünf damit beschäftigen, was ihre Erfahrungen sind, wenn Erwartungen nicht gut oder gar nicht an die Teilnehmer_innen kommuniziert sind oder wenn die Teilnehmer_innen nicht ganz freiwillig am Seminar teilnehmen.
Autorinnen: Gerda Kolb und Irene Zavarsky
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