Welche Herausforderungen warten, wenn wir mit Gruppen oder Teams arbeiten, in denen TeilnehmerInnen unterschiedlicher hierarchischer Ebenen zusammenkommen? Mit genau dieser Frage beschäftigen sich unsere fünf ExpertInnen für die Arbeit mit Gruppen bei ihrem heutigen Treffen.
Die Rolle der Leitung
„Kennt ihr das, wenn bei einer Vorbesprechung für ein Training die Teamleitung oder der Auftraggeber fragt, wie er sich bei dem Workshop oder bei der Weiterbildung verhalten soll? Ob er oder sie beispielsweise mitmachen soll oder eigene Aufgaben bekommt?“, fragt Yasemine in die Runde. Nachdem vereinzeltes Nicken, aber auch überraschte Gesichter zu sehen sind, fährt sie fort: „Wie ich das erste Mal in so einer Situation war, war ich völlig überrumpelt. Ich wusste zuerst gar nicht, was ich darauf sagen sollte. Bis dahin war für mich immer klar gewesen, dass für alle dasselbe gilt und alle irgendwie gleich sind.“ Yasemine weiß auch gar nicht mehr so genau, was sie damals geantwortet hat. In Erinnerung geblieben ist ihr aber, dass sie diese Situation mit KollegInnen nachbesprochen hat und einige Aha-Erlebnisse dabei gewesen sind.
Formelle und informelle Hierarchien
„Was waren denn die Schlüsse, die du daraus gezogen hast?“, möchte Beate wissen. „Na zuerst Mal“, antwortet Yasemine, „bin ich drauf gekommen, dass ich bis dahin hauptsächlich in Gruppen aktiv gewesen bin, wo – zumindest formal – alle mit denselben Gestaltungsspielräumen und Entscheidungskompetenzen ausgestattet waren. Das waren mehr oder weniger basisdemokratisch organisierte Gruppen. Auch die Organisationen, in denen ich als Arbeitnehmerin tätig gewesen bin, haben so gearbeitet. Da gab es zwar formal Hierarchien, weil es einen Verein gab, mit den entsprechenden Funktionen. Aber die gelebte Praxis war eine basisdemokratische, mit gemeinsamer Entscheidungsfindung und Konsensprinzip.“ Yasemine erzählt weiter, dass sie daher nicht für Teamarbeit sensibilisiert war, wo es formale Hierarchien gibt, die auch in der gemeinsamen Praxis entsprechend zum Tragen kommen. Mit dieser Erkenntnis konnte sie auch besser verstehen, wieso eine Leitungsperson bei der Vorbesprechung so eine Frage stellt. „Das ist ja auch eine ungewöhnliche Situation für so ein Team oder eine Abteilung. Sie gehen ja nicht ihrer alltäglichen Arbeit nach, wo klar ist, wer was zu tun hat und wie die Verantwortlichkeiten verteilt sind.
„Beim Workshop sind alle Lernende und dann irgendwie doch gleich.“ Maria möchte nun gerne wissen, wie Yasemine denn damit in der Praxis umgeht. „Für mich ist es wichtig, mit der Unterschiedlichkeit aktiv umzugehen und sie nicht zu verschleiern. Auch wenn es ein Workshop oder ein Seminar ist, bei dem die Hierarchieunterschiede aufgrund des inhaltlichen Themas nicht relevant sind, achte ich dennoch darauf. Das Team arbeitet zusammen und es bestehen gewissen Dynamiken, egal womit sie gerade beschäftigt sind.“ Maria runzelt die Stirn: “Heißt das, du vergibst unterschiedliche Arbeitsaufträge, je nach Hierarchiestufe?“ Yasemine antwortet, dass sie das nur manchmal tue, wenn es den Zielen des Workshops dienlich erscheint. Meistens aber bekommen alle dieselbe Aufgabe, aber es geht ihr darum, nicht zu tabuisieren, dass es Unterschiede in der Gruppe gibt, sondern damit zu arbeiten. Rudi, der bisher auch sehr interessiert zugehört und öfters mit dem Kopf genickt hat, bringt sich mit einem Literaturtipp ein, den er verspricht, via Email an alle zu schicken.
Hierarchiefreie Räume?
Paul interessiert noch ein ganz anderer Aspekt: “Yasemine, wie du da früher bei dem Verein gearbeitet hast – da gab es wirklich gar keine Hierarchien? Das ist für mich schwer vorstellbar, muss ich zugeben…“ Yasemine schmunzelt und erzählt, dass sie durchaus auch die Erfahrung gemacht hat, dass informelle Hierarchien – auf Grund von Alter, Erfahrungs- oder Wissensvorsprung, Fachexpertise oder Ähnlichem – zu unterschiedlicher Machtverteilung führen. Als wirklich kontraproduktiv hat sie aber eher die Tabuisierung dessen erlebt.
„Das kenne ich auch gut!“, schaltet Rudi sich ein. „Vor meiner Supervisionsausbildung, und auch bevor ich als Psychotherapeut angefangen habe zu arbeiten, war ich in, ich sag mal, alternativen Kreisen unterwegs und in den 1980er Jahren bin ich zu einem Verein gestoßen, der sich viel mit sozialen Fragen beschäftigt hat, auch Umverteilung und so. Das war echt super und spannend und auch die stundenlangen Diskussionen und Meinungsbildungsprozesse haben mir viel Spaß gemacht, auch wenn es manchmal zäh war.“
Beate meint richtiggehend ein Feuer in Rudis Augen zu entdecken, als er davon erzählt und fragt „Aber was hast du dann vorhin damit gemeint, dass du das auch gut kennst, als Yasemine von informellen Hierarchien gesprochen hat?“ Rudi erzählt davon, wie er mit der Zeit drauf gekommen ist, dass für unterschiedliche Personen unterschiedliche Spielregeln gegolten haben. Es hat auf der einen Seite ganz klare Regeln gegeben, wie sie zu Entscheidungen kamen, auf der anderen Seite aber schienen sich dich Gründerinnen der Gruppe weniger daran halten zu müssen. Es war tabu, eine ihrer Ideen in Frage zu stellen oder eine regelkonforme Vorgehensweise einzufordern. Sie hatten dadurch einfach mehr Macht und Gestaltungsspielraum und niemand traute sich, so richtig dagegen aufzubegehren.
Unterschiede annehmen statt verschleiern
Yasemine seufzt laut auf „Ja, das kann ich mir echt gut vorstellen. Sowas Ähnliches hab ich auch schon erlebt, wenn auch zwanzig Jahre später.“ „Aber wie seid ihr damit umgegangen? Das stell ich mir sehr schwierig vor“, meint Beate und schaut Rudi und Yasemine neugierig an. Yasemine antwortet als erste und erzählt, dass sie immer wieder versucht hat, das informelle Machtgefälle anzusprechen und auch externe Begleitung einfordert hat. Aber irgendwann war die Luft draußen, nichts schien sich zu verändern. Die Situation belastete sie, und auch das Team, immer mehr und so verließ sie die Organisation. „Um aber auf das Thema zurück zu kommen – was ich mir aus dieser Erfahrung in jeden Fall mitgenommen habe, ist, ein Leitsatz, den ich mir immer wieder ins Gedächtnis rufe, wenn ich mit Teams arbeite, in denen es unterschiedliche Hierarchien gibt: Niemals Hierarchien negieren und so tun, als ob alle gleich wären bzw. dieselben Möglichkeiten hätten, wenn es nicht so ist!“
Das nächste Mal beschäftigt sich die Gruppe mit Methoden zur Aktivierung von Teilnehmer*innen und Gruppen, die schon etwas müde sind.
Autorinnen: Gerda Kolb und Irene Zavarsky
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