„Irgendwie hab ich mich auf heute genauso gefreut, wie gefürchtet“, Maria ist merklich aufgeregt. Heute treffen sich unsere fünf Expert:innen für die Arbeit mit Gruppen geplanterweise zum letzten Mal. Die beruflichen und privaten Veränderungen haben sie dazu bewogen, ihre regelmäßigen Treffen einzustellen. Wir begleiten sie – zum letzten Mal – bei ihrem gemeinsamen Abschluss.
Rudi hat Maria gebeten ihre ambivalenten Gefühle noch ein bisschen auszuführen. „Naja, ich freu mich total auf die Abschlussrituale mit Euch, aber gleichzeitig hab ich in den letzten Wochen gemerkt, dass ich innerlich schon Abschied genommen habe.“ Sie schaut etwas verlegen in die Runde. „Ich bin mit dem Kopf schon bei der Zukunft, bei neuen Plänen. Ich komm mir ein bisschen schäbig vor: ihr seid noch nicht mal bei der Tür draußen, da hab ich den Kopf schon voll mit neuen Sachen.“ Sie muss selber lachen und die anderen stimmen ein. Abschiede sind immer etwas Ambivalentes. Und auch die Geschwindigkeiten und Bedürfnisse sind sehr verschieden: die einen brauchen lange Abschiedsszenen, bleiben noch am Bahnsteig stehen und winken dem abfahrenden Zug hinterher. Die anderen verabschieden sich und gehen noch bevor die Person überhaupt in den Zug eingestiegen ist.
Auch in unserer Gruppe sind alle Abschiedsvorlieben vertreten. Das Einzige wo sich alle einige sind: einfach gehen ohne was zu sagen ist nicht fein. „Es gibt, finde ich, eine gewisse Verpflichtung zumindest zum Verabschieden zur Verfügung zu stehen“ meint Yasemine. Unsere Expert:innen schweifen kurz aus ihrem eigenen Abschied ab und diskutieren wie sie das als Seminarbegleitung handhaben: von allen-die-Hände-schütteln bis hin zu mit-der-Abschlussrunde-in-der-Gruppe-ist-der-Abschied-erledigt ist auch hier fast alles dabei. Umarmungen kommen im professionellen Kontext nicht so oft vor, sind sich unsere fünf einig. Beate lächelt „Ich glaub, wir werden unseren Austausch immer irgendwie aufrecht erhalten. Uns macht das viel zu viel Spaß“. Und damit beginnen sie nun endlich mit ihrem eigenen Abschied.
„Ich mach gern den Vertrauenskreis“ beginnt Maria ihre Lieblingsmethode einzuleiten. Alle nehmen sich an den Händen und gehen auseinander bis sie in einem großen Kreis stehen. Dann lehnen sich die einen nach vor, die jeweiligen Nachbar:innen zurück. „Das funktioniert nur mit einer geraden Anzahl“ lacht Maria als Paul verzweifelt versucht sich gleichzeitig nach vor und zurück zu lehnen damit Beate und Rudi, die neben ihm stehen nicht umfallen. „Ihr könnt gleich im Kreis stehen bleiben“ meint Rudi „nur müsst ihr jetzt viel näher zusammengehen: bis ihr Schulter an Schulter steht.“ Nun leitet Rudi an: alle drehen sich nach rechts, heben die rechte Hand über die Schulter des Partners oder der Partnerin und „Heben, senken, heben, senken, heben, senken“ – lachend klopfen alle ihrer Vorderperson auf die Schulter. „Einmal umdrehen“ ordert Rudi „und noch einmal: heben, senken, heben, senken. Jetzt zur Mitte drehen und beide Hände schnell zusammen und wieder auseinander“ Die anderen beginnen zu Klatschen zu Jubeln. „So eine technische Art Schulterklopfen und Klatschen anzumoderieren, ist schon lustig“, meint Beate.
Sie setzt gleich fort mit der Sektkübelübung. Die ist etwas komplizierter: sie braucht dazu einen Kübel, fünf lange Schnüre, fünf Sektgläser und einen Flasche Sekt. Gut vorbereitet hat Beate natürlich alles mit. Nun werden die Schnüre an den Kübel gebunden, der Sekt in den Kübel geleert und die Sektgläser auf den Boden gestellt. Jede Person bekommt eine Schnur in die Hand und die Aufgabe ist es, den Sekt in die Gläser zu füllen – möglichst ohne auszuschütten. Unsere Seminarprofis scheuen vor dieser Aufgabe freilich nicht zurück und schon kurze Zeit später stehen alle erfolgreich mit einem vollen Sektglas in der Hand da. Bis auf eine kleine Stelle ist der Boden auch wirklich trocken geblieben. Beate hebt ihr Glas: „Auf uns!“ Stolz stoßen alle an. Während sie ihre Gläser leeren, plaudern sie über das, was sich privat die letzten Wochen ereignet hat. Vor lauter Abschied nehmen haben unsere fünf heute auf ihre Check-in Runde vergessen. Die wird jetzt nachgeholt.
„Yasmine, ich bin neugierig: was ist dein Lieblingsabschiedsritual?“, fragt Beate und verstaut die Reste von der Sektkübel-Aufgabe in ihrer Tasche. „Fangt mal an, im Raum herumzugehen“, leitet Yasmine ihre Methode ein. „Überlegt euch kurz, mit welchen verschiedenen Gesten ihr euch von den anderen verabschieden könnt. Jedes Mal, wenn ihr jemandem begegnet, bietet eure Geste an oder lasst euch auf das Angebot der anderen ein.“ Die nächsten 10 Minuten sind voll von: Schulterklopfen, Fist-Bumps, Winken, Zuzwinkern, Luft-Bussis, verschiedensten Verbeugungen, Händeschütteln und ganz, ganz vielen Umarmungen. Yasemine löst sich lachend aus Pauls Umarmung: „Eigentlich ist nicht vorgesehen, dass alle mit allen alles ausprobieren – aber mir war schon klar, dass das bei uns so ausarten wird.“ Nun schauen alle erwartungsvoll zu Paul.
Der grinst verlegen und meint: „Ich sag meistens ganz einfach „Auf Wiedersehen“, weil ich das einen schönen Wunsch finde. Wenn mir Leute besonders ans Herz gewachsen sind, frag ich manchmal ob sie noch was essen gehen wollen, dann schleicht sich das Formelle so langsam ins Informelle hinüber. Das mag ich.“ Er schaut erwartungsvoll die Runde und lächelt verschmitzt: „Wollen wir noch was essen gehen?“
Die fünf ziehen sich ihre Jacken an und machen sich lachend und plaudernd auf den Weg ins Informelle. Auf Wiedersehen.
Autorinnen: Gerda Kolb und Irene Zavarsky
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen unter gleichen Bedingungen 3.0 Österreich Lizenz.
Volltext der Lizenz