Ohnmacht. Macht. Gegenmacht. Für Peter Imbusch bedeutet Macht „die Fähigkeit einer Institution, Person oder Gruppe, auf das Denken und Verhalten einzelner Personen, sozialer Gruppen oder Bevölkerungsteile so einzuwirken, dass diese sich ihren Ansichten oder Wünschen unterordnen und entsprechend verhalten.“
Der fünfte Beitrag der Blogreihe zur Lehrgangsbegleitung befasst sich mit dem Kern der Gewerkschaftsarbeit: Der Durchsetzung der Interessen der Arbeitnehmer:innen. Wie gelingt es uns Gegenmachtsfähigkeit zu vermitteln? Was bedeutet das für die Begleitung? Für den Rahmen? Für die Begleiter:innen?
Was meinen wir mit Gegenmacht?
„Gewerkschaftliche Gegenmacht ist das Organisieren kollektiven Widerstands gegen wirtschaftliche und politische Zumutungen und Zustände, die menschenwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen entgegenstehen. Überall, wo sich Betroffene ihrer kollektiven Wirkungs- und Gegenmacht als Korrektiv gegen ungerechte und diskriminierende Verhältnisse bewusst werden und sich für den gesellschaftlichen, ökologischen und wirtschaftlichen Fortschritt sowie Gendergerechtigkeit und ein ‚gutes Leben für alle‘ engagieren, tragen sie dazu bei, den Sozialstaat zu verteidigen bzw. auszubauen.“ (ÖGB Definition Gegenmacht, 2024)
Gegenmacht in der Begleitung bedeutet:
Widerstand zulassen. Nicht hierarchisch niederbügeln. Diskussionen ermöglichen. Gegenmacht ist immer eine ZUMUTUNG für die Organisation, für Strukturen, für die „Herrschaft“ und die sind im Fall von Bildungsveranstaltungen WIR. Ob wir es wollen oder nicht, werden wir im Gruppenprozess (immer wieder) als Gegenüber/Gegner wahrgenommen. In diesem Sinne übernehmen wir eine wichtige Funktion. Wie wir Macht verhandeln, wie wir mit dieser Rolle umgehen, ermöglicht wiederum intensives Erfahrungslernen in Bezug auf den Umgang mit Macht bei den Teilnehmer:innen.
Gegenmacht = Handlungsfähigkeit
Ein wichtiger Aspekt in der Begleitung besteht darin, die Teilnehmer:innen in die Handlungsfähigkeit zu bringen. Handlungsfähigkeit bedeutet (mit)gestalten. Dafür braucht es Wissen und Erfahrung. In den zwei Jahren erfahren die Teilnehmer:innen viel Wissen in den Bereichen Arbeitsrecht, Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, sozialer Kompetenz, usw. In der Begleitung liegt das Hauptaugenmerk darauf, den Teilnehmer:innen Handlungsfähigkeit durch Erfahrung zu vermitteln.
Mitgestalten bedeutet tun, aktiv sein. Wir versuchen den Teilnehmer:innen die Möglichkeit zu geben zu Co-Produzent:innen ihres Lehr- und Lernraums zu werden.
Die Selbstorganisation ist Teil des Curriculums. Die Teilnehmer:innen (wechselnd in der Funktion der Monatsverantwortlichen) übernehmen unterschiedliche Aufgaben wie etwa:
- Austeilen und Einsammeln der Anwesenheitsliste (KEINE Kontrollfunktion)
- Ausgabe der Skripten und Unterlagen
- Bereitstellung der Technik (Laptop) usw.
Darüber hinaus haben sie unterschiedliche Möglichkeiten und Freiräume sich ihren Lernraum selbst zu gestalten. Dies reicht von der Versorgung mit Essen und Getränken bis hin zur Organisation (in Abstimmung mit dem Lehrgangsteam) von 2 inhaltlichen Abenden pro Jahr außerhalb des Curriculums. Quasi als Bonus. Je nach Interessenslage.
Wir begegnen den Teilnehmer:innen auf Augenhöhe. Wir halten den Rahmen, die Struktur, sprechen aber KEIN „Machtwort“.
Wir holen Feedback ab und nehmen es ernst. Über Feedbackbögen, im direkten Kontakt, im Rahmen der Semestergespräche, aber auch an eigenen „Reflexionsabenden“.
Wir versuchen Räume für Austausch und Diskussion mit den Teilnehmer:innen zu schaffen. Teilnehmer:innen werden von Anfang an als Expert:innen ihrer Lebens- und Arbeitswelt angesehen.
An „Gruppenabenden“ werden die Teilnehmer:innen in die Rolle der Berater:innen bzw. der Wissenträger:innen gebracht, und erfahren im Rahmen von gemeinsamer Praxisreflexion ihre eigene Kompetenz bzw. machen die Erfahrung für andere hilfreich zu sein.
Welche Rollenerfahrung ermöglichen wir in der Wiener Gewerkschaftsschule:
- Die Erfahrung mitzugestalten
- Die Erfahrung anderen zu helfen
- Die Erfahrung von Augenhöhe
- Die Erfahrung von Wichtigkeit
- Die Erfahrung ein Teil des Ganzen zu sein
- Die Erfahrung Werte zu leben
- Die Erfahrung dazuzugehören
- Die Erfahrung von Kompetenz
- Die Erfahrung von Wertschätzung ihrer Kompetenz
Gegenmacht oder Macht braucht die Erfahrung von „sich mächtig fühlen“ bzw. „zu machen“. Diese Erfahrungsräume können wir den Teilnehmer:innen im Rahmen der zwei Jahre zur Verfügung stellen.
Autor: Markus Reisinger
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