Erfahrungsberichte sechs Monate nach dem Seminar
Ein halbes Jahr nach dem Online-Seminar “Solidarität lernen, lehren, erleben” im Mai diesen Jahres haben Helmut Ruß und Ulli Lipp nachgefragt, wie die Teilnehmer*innen Solidarität in ihren Kursen, Seminaren und Schulungen thematisieren und bei der Seminargestaltung berücksichtigen.
Das Seminar und die Vereinbarung
Das Seminar fand zum dritten Mal statt, nur die Durchführung im Online-Format war neu. Ein Blick in die Seminardokumentation zeigt schon das Engagement der ganzen Gruppe. Die anfängliche Skepsis gegenüber dem Online-Format war schnell weg und am Ende waren alle ganz zufrieden. Schließlich wollten wir alle in einem Blogbeitrag ein halbes Jahr nach dem Seminar berichten, welche Ideen aus den drei Tagen in der Arbeit realisiert wurden.
Die erste Zeit nach dem Seminar
Bei vielen von uns war das Seminar in den Wochen danach noch ganz vorne im Kopf. Ein Teilnehmer schickte ein Video als „Solidaritätsfund“: Eine ÖGB-Demo von und für Erzieher*innen, zu der Iris Stern das Lied „Große für Kleine“ beisteuerte. Iris war auch Gast in unserem Seminar und hatte uns erklärt, wie ihre Fassung des Solidaritätslieds entstanden war. Auch bei uns selbst wirkte das Solidaritätsseminar nach: „Ich habe gestern in einem Seminar für einen Großkonzern begeistert von unserem Solidaritätsseminar erzählt. Es ging um Wissen weitergeben und Wissen teilen.
Bei mir wirkt das Seminar auch sonst noch nach. Ich höre jeden Tag mindestens einmal eine Fassung des Solidaritätslieds.“ (Aus dem Danke-Mail für den Solidaritätsfund).
Erfahrungen nach sechs Monaten
Solidarität konkret werden lassen – mein Erfahrungsbericht
„Nach meinen Erfahrungen funktioniert dies am besten, wenn man die Teilnehmer*innen über ihre eigenen Erlebnisse mit solidarischem Handeln erzählen bzw. sie darüber reflektieren lässt. Ich habe das bei einem Seminar angewandt, in dem es viel um das Erkennen der eigenen Rolle ging:
Als Übung wurde den Teilnehmerinnen (es war ein Seminar nur für Frauen) der Auftrag gegeben, sich für sich selbst zu überlegen, wo und wann sie in ihrer Rolle als Betriebsrätin/Funktionärin schon einmal Solidarität erfahren durften oder auch in welchen Situationen sie ihnen verwehrt geblieben ist. Im Anschluss haben sich die Teilnehmerinnen dazu in Kleingruppen ausgetauscht.
Diese Übung bringt auch zum Vorschein, wo bzw. bei wem versteckte Ressourcen liegen können, die man „anzapfen“ kann bzw. wo die eigenen Netzwerke sein könnten.
Wenn man die Übung dementsprechend einleitet, wird den Teilnehmer*innen außerdem bewusst, dass Solidarität etwas täglich zu Lebendes ist und kein reines Schlagwort, das fern der Realität existiert.“
Solidarität als Inhalt einer Übung
„Im Rahmen der ‚Soziale Kompetenz‘-Seminare des VÖGB haben Teilnehmer*innen eine spontane freie Rede vorzubereiten gehabt zum Thema Solidarität. Einige haben aus ihrer Sicht den Begriff und die Entstehungsgeschichte präsentiert, andere haben in ihrer Rede erklärt, was Solidarität für sie ist bzw. nicht ist. Eine Rednerin hat Überlegungen angestellt, warum das Wort SOLIDARITÄT kaum noch verwendet wird.“
Solidarität bewusst erlebt
„Da ich noch nicht die Funktion eines Coaches, Trainers, … innehabe, konnte ich die Solidarität weder in Kursen, Seminaren noch Schulungen leben lassen, allerdings durch Besuche von Seminaren sehen und spüren, insbesondere beim Seminar „Erfolg durch Erlebnisse“ in Wien. Insbesondere bei den Übungen zu den Methoden war die Solidarität spürbar …, da ein Miteinander erforderlich war, um das vorgegebene Ziel zu erreichen. Ohne war es unmöglich, erfolgreich zu sein. Nach dem ersten Misserfolg wurde uns allen nochmals bewusst, dass die Teilnahme und Berücksichtigung aller notwendig war. Erst dann schafften wir es.“
Solidarität in breiter Front
„Was auf jeden Fall passiert ist, ist dass das Thema Solidarität in vielen Bereichen Einzug hält – das beginnt in der Familie und im Job, aber auch in meiner gewerkschaftlichen Arbeit. Habe in vielen Diskussionen und Gesprächen Teile eures Seminars anwenden können. Und in der neuen Gewerkschaftsschule, die gerade startet, werde ich in den Projekten vermehrt Kampagne und Mitgliederwerbung einfließen lassen müssen. Demnach kommt mir ebenfalls vieles, was ich von euch gehört habe, sehr zugute.“
Solidarität in Pandemiezeiten
Bei einem Teilnehmer gab es zwar keine Trainingstätigkeit und deshalb keine Schulungserfahrungen mit Solidarität, aber ihn treibt die Thematik Solidarität der Geimpften /Ungeimpften um. Wir hatten das im Seminar im Mai schon kurz unter der Thematik „Gibt es so etwas wie Entsolidarisierung in der Gewerkschaft?“ angerissen, ohne zu ahnen, welche Brisanz das Thema ein halbes Jahr später haben würd. Auszüge aus dem Statement des Teilnehmers:
„… Was mich in Sachen Solidarität momentan mehr beschäftigt, ist der Zusammenhang mit der … COVID-19-Pandemie. Ich erlebe die Spaltung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte in den letzten Tagen auch im persönlichen Bekanntenkreis immer mehr.… Als Geimpfter sehe ich die Schutzimpfung als Schutz meiner eigenen Person, meiner Familie und meines Freundes- und Bekanntenkreises – aber auch als Solidaritätsakt gegenüber der Gesellschaft, um diese Krise rascher überwinden zu können. In Österreich „treffen“ die Schutzmaßnahmen momentan aufgrund der immer umfassender gültigen 2G-Regel vor allem die Ungeimpften. Dies soll dazu führen, dass auch sie „umgestimmt“ werden. Andererseits denke ich mir, dass es Jedermanns/-fraus individuelle Entscheidung ist, sich impfen zu lassen oder nicht. Jeder Mann/jede Frau muss dann mit den Konsequenzen leben. Auf der anderen Seite erlebe ich immer mehr (Gut-)Menschen, die sagen, dass eine Trennung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte zu einer weiteren Spaltung beiträgt und daher die Geimpften aus „Solidarität“ mit der Gesamtheit (auch den Ungeimpften) die Maßnahmen mittragen sollten (z.B. ein möglicher Lockdown). Ist das dann nicht eine falsch verstandene „Solidarität“, wenn sich die Mehrheit an eine nicht-solidarische Minderheit anpasst? …
(Hier das ganze Statement.)
Das „kleine“ Beispiel
Eine Blogabonnentin schickte einen Beitrag, wie Solidarität „im Kleinen“ realisiert werden kann:
„Was ich ein kleines Beispiel von Solidarität (die echt nicht viel kostet) von Seminarteilnehmer*innen finde, ist, wenn die am Ende des Seminar(tages)/ vor der Pause, bevor das Personal zum Aufräumen in den Raum kommt, ihre Tassen, Gläser, etc. zentral irgendwo hinräumen, dass die Angestellten weniger Arbeit haben.
Ein anderes Beispiel (wo ich schon auf positives Erstaunen im Seminarhotel gestoßen bin) ist es, wenn man als Trainer*in am Trainingsende alles nicht wie Kraut und Rüben hinterlässt, sondern sich für das Abbauen der eigenen Materialien (Pinnwände, Flipcharts, etc.) mitverantwortlich fühlt… Ich dachte immer, das wäre für Trainer*innen selbstverständlich, ist es aber wohl nicht. Viele rauschen wohl nach Seminarende ab und lassen das die Angestellten erledigen. Das hat mit Respekt und ein bisschen Perspektivwechsel zu tun.“
Zusammengestellt von Helmut Ruß und Ulli Lipp
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