#thedi: Noch rechtzeitig vor dem Urlaub: Das Recht auf Muße und Faulheit

Wir lernen auch beim Nichtstun!

Bild: Wien, S.V.

„Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht. Diese Sucht, die Einzel- und Massenelend zur Folge hat, quält die traurige Menschheit seit zwei Jahrhunderten. Diese Sucht ist die Liebe zur Arbeit, die rasende Arbeitssucht, getrieben bis zur Erschöpfung der Lebensenergie des Einzelnen und seiner Nachkommen.“
Paul Lafargue

Lernen wird ja oft mit Disziplin gleichgesetzt, mit dem Büffeln am Schreibtisch, alleine, schwitzend, angsterfüllt, gestresst und unter der Drohung schlechter Benotung. Gerade letztens durfte ich von einem Bildungsexperten dieser wehleidigen und an sich selbst gescheiterten türkis-blauen Regierung folgendes Zitat hören: „Jeder weiß doch, dass nur gelernt wird, wenn am Ende eine strenge Prüfung droht!“

Ein Plädoyer für die Langsamkeit

So plausibel wie falsch: Wir leben in einer Zeit, der deutlich mehr Muße, Nachdenken, Langsamkeit und weniger Gehetze gut täte. Jeden Tag muss im Büro oder Betrieb noch das und das und das und das gemacht werden, immer mehr in immer weniger Zeit mit immer weniger KollegInnen. Auch die Bedingungen der Bildung und des Lernens „sind (…) derart von Hektik und Druck gekennzeichnet, dass akuter Handlungsbedarf besteht.

„Schon in der Schule, deren Name sich bekanntlich von „schole“, dem Wort für Muße ableitet, ist Stress zu einem Alltagsphänomen geworden. Allerdings wird dieser himmelschreiende Umstand nicht zum Anlass genommen, um den Ursachen dieser Entwicklung nachzugehen und sie zu verändern. Verändern sollen sich die Stressopfer, sie – die Lehrer/innen und Schüler/innen – sollen lernen, mit Stress besser zurechtzukommen; Entspannungstechniken sollen sie in die Lage versetzen, sich an die Stressbedingungen anzupassen und diese besser ertragen zu können. Hier findet eine eindeutige Täter-Opfer-Umkehrung statt, ein gesellschaftliches Problem wird zu einem individuellen umgedeutet.“ (Erich Ribolits im Vorwort zum unten zum Weiterlesen genannten „schulheft“).

In der Ruhe liegt die Kraft

Gesund ist das nicht und weiterbringen kann uns das auch nicht! Zumal Weiterentwicklung von Menschen und von Gesellschaft oder auch Wissenserwerb, also Lernen, auch mit Innehalten und Nachdenken zu tun hat. Und besonders Lernen hat auch mit Muße zu tun, dazu könnte man den griechischen Philosophen Aristoteles bemühen, der die höchste und nützlichste Form des Wissens aus einer zweck-losen und ruhigen, entspannten Form der Reflexion in Muße entstehen sah – und das zurecht! 

Und gerade am Anfang des Sommers darf besonders der Muße und Faulheit gehuldigt werden! Gerade im Nichtstun können wir viel lernen und Anderes lernen. Zumal gelernt ja besonders auch im Tun wird und nicht nur in Schulen oder Seminarräumen, an unbequemen Schreibtischen oder über einem vielleicht uninteressantem Skript – informales Lernen nennt das die Pädagogik. Und schon jetzt freue ich mich besonders auf das, was wir beim Lesen von Büchern am Strand lernen können. Da halte ich mich an Gayatri Ch. Spivak: Lesen trainiert und übt die Fähigkeit sich eine andere Welt vorzustellen. Was gäbe es heutzutage Wichtigeres zu lernen? In diesem Sinne einen schönen Urlaub!

Zum Weiterlesen

  • Paul Lafargue, Das Recht auf Faulheit. Widerlegung des „Rechts auf Arbeit“ von 1848, Grafenau 2010, Erstveröffentlichung 1883
    Das Buch kann HIER im Webshop des ÖGB-Verlags versandkostenfrei bestellt werden oder ist HIER online abrufbar!
  • Erich Ribolits: Die Arbeit hoch? Berufspädagogische Streitschrift wider die Totalverzweckung des Menschen im Post-Fordismus, München / Wien 1997
  • Pädagogisierung. Die Kunst, Menschen mittels Lernen immer dümmer zu machen! schulheft 116/2004
    HIER online abrufbar (PDF 1,6MB)
  • Margit Schäfer, Zeit und Raum für Muße!
    HIER online abrufbar (PDF 68KB)
  • Und noch ein Roman für den Sommer:
    Sten Nadolny, Die Entdeckung der Langsamkeit. München 2012.

Die Bücher können HIER im Webshop des ÖGB-Verlags versandkostenfrei bestellt werden.

Autor: Stefan Vater

Creative Commons Lizenzvertrag

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen unter gleichen Bedingungen 3.0 Österreich Lizenz.
Volltext der Lizenz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.