Die Gruppe holt sich das Wissen, das sie braucht.
Eine Alternative zu Vorträgen und Präsentationen von Spezialisten mit Detailwissen ist die Methode Expert:innenbefragung. Die Lernenden steuern durch ihre Fragen, welche Informationen vermittelt werden.
Die Methode eignet sich auch für Workshops und andere Veranstaltungen wie Lehrgänge, bei denen Information und fachlicher Input von außen nötig sind. Das macht sie im gewerkschaftlichen Kontext nützlich.
Ein Beispiel
Die Student:innenvertretung einer Uni hat mich zum Thema Mind-Mapping als Experte eingeladen. Vorfeldkontakte mit dem Publikum dieser offenen Veranstaltung waren nicht möglich. Deshalb gestaltete ich die „Vorlesung“ als Expert:innenbefragung.
1. „Tut euch in Gruppen zusammen und schreibt eure drei dringendsten Fragen zum Thema Mind-Mapping auf A4-Blätter.“
2. Ich sammelte die Fragen ein und klebte sie grob sortiert an die Hörsaal-Tafel.
3. Ich beantwortete die Fragen. Nachfragen waren zugelassen. Diskussionen hielt ich wegen der begrenzten Zeit und der vielen Fragen kurz.
Ich war einigermaßen erstaunt, welche Richtung die Veranstaltung nahm. Viele Fragen gingen in die Richtung Prüfungsvorbereitung mit Mind-Maps. Das hatte ich nicht erwartet.
So läuft eine Expert:innenbefragung ab
Das Grundmuster sind immer drei Schritte: Fragen sammeln, Fragen grob ordnen, Fragen beantworten.
Wir haben mit vielen Varianten gearbeitet. In der Variante im Beispiel oben zum Thema Mind-Mapping organisiert und moderiert eine Expert:in selbst. Es geht aber auch anders – mit Moderation. Als Situation: In einem Lehrgang, in einem Workshop ist Spezialwissen gefragt. Eine Expert:in wird eingeladen.
Schritt 1: Die Moderator:in bzw. Seminar-/Lehrgangsleitung kündigt die Expert:in zum Thema xy an. Die muss da noch nicht unbedingt dabei sein. Dann werden Fragen in Kleingruppen auf Karten gesammelt.
Schritt 2: Die Fragen werden von Moderator:in und Gruppe grob geordnet. Ich mache das immer noch gerne an der Pinnwand. Grob geordnet heißt, dass thematisch zusammengehörige Fragen auch zusammen hängen und eventuell eine Überschrift bekommen. Das geht natürlich auch mit digitalen interaktiven Boards.
In dieser Phase lassen sich Fragen reduzieren, wenn es wirklich zu viele sind. Ich lasse dazu Fragen kennzeichnen (durchaus mit Klebepunkten), die der Gruppe besonders wichtig sind.
Phase 3: Beantwortung der Fragen Spätestens jetzt muss die Expert:in anwesend sein und braucht ein ausreichendes Zeitfenster, um sich mit den Fragen vertraut zu machen. Die Reihenfolge der Beantwortung kann die Expert:in bestimmen. Sie steckt im Thema drin. Die Moderation achtet auf die Zeit und kennzeichnet beantwortete Fragen.
Tipps für die Durchführung
- Im Vorfeld muss geklärt sein, welche Erwartungen allgemein an die Befragung der Expert:innen geknüpft werden. Was wollen wir wissen.
- Die Fragen der Teilnehmer:innen werden am besten schriftlich gesammelt (entweder vorab oder am Beginn der Veranstaltung z. B. über Murmelgruppen).
- Der zeitliche Rahmen muss geklärt sein.
- Expert:innen: Wer Expert:in ist, hängt von dem gewählten Thema und der konkreten Fragestellung ab. Je nach Zeitressourcen und Inhalt im Seminar kann es durchaus Sinn machen, dass zwei Personen eingeladen werden. Grundsätzlich ist wichtig, dass die Person sehr sicher im Thema ist und spontan auf Fragen antworten kann. Die Expert:innen müssen vorab gut informiert werden, zu welchem Thema sie geladen sind und wie der Ablauf aussieht.
- Die Spielregeln müssen festgelegt z. B., ob (spontan) ergänzende Zusatzfragen gestellt werden dürfen oder nicht.
Einsatzbeispiele im gewerkschaftlichen Kontext
1. Im Rahmen einer Betriebsversammlung könnte eine Expert:innenbefragung genutzt werden
**zu einem Thema, das die Belegschaft interessiert, zu dem es zahlreiche Fragen gibt und umfassend informiert werden soll
**zur Befragung von Expert:innen des Unternehmens zu einem für die Belegschaft relevanten Thema
Fragen können auch auf Wandzeitungen oder digital in den Wochen davor gesammelt werden.
2. Eine Befragung zu den rechtlichen Grundlagen zur Vernetzung von Teilbetriebsversammlungen im Rahmen des Seminars „Betriebsversammlungen aktiv gestalten“ im Anschluss an eine allgemeine Einführung ins Recht.
Die Methode Expert:innenbefragung als „Köder“
In Lehrgängen und Kursen im gewerkschaftlichen Kontext ist immer wieder Spezialwissen gefragt. Wer jemals Expertinnen und Experten für Vorträge und Referate gewinnen wollte, weiß, wie schwer das ist. Da bekommt man öfter einen Korb, weil diese Vermittlungsformen intensive Vorbereitung erfordern, auch wenn die Spezialisten tief in der Materie stecken.
Die Alternative: „Du brauchst dich nicht eigens vorbereiten, du beantwortest einfach unsere Fragen.“
FAQs
Warum beantwortet eine Expert:in nicht einfach Fragen, so wie sie kommen?
Wenn Fragen zuerst gesammelt werden, kann man sie thematisch ordnen, vielleicht auch gewichten. Die Informationen, die durch eine Expert:in vermittelt werden, bekommen Struktur.
Wann ist eine Expert:innenbefragung ungeeignet?
Ist das Wissen, die Information etwas ganz Neues und Vorwissen gibt es bei den Lernenden nicht, ist eine Expert:innenbefragung die falsche Methode. Eine neue Software kann nicht mit einer Expert:innenbefragung vermittelt werden.
Nach einer Einführung und einer Erprobungsphase ist eine Expert:innenbefragung gut, um Stolpersteine aus dem Weg zu räumen.
Wie werden die Informationen festgehalten?
Dass Input verloren geht, ist ein Risiko der Methode. Da hilft nur eins: Vorher festlegen, wer welche Antworten dokumentiert.
Quellen/Weiterlesen…
Das große Workshop-Buch: Seite 47-50
Autorinnen: Nicola Sekler & Elisabeth Steinklammer & Ulli Lipp
Lust auf mehr? Zu allen Einträgen der Serie #mm kommst du HIER!