Viele TrainerInnen und TeilnehmerInnen wurden in den letzten Wochen in eine „Webinarflut“ geworfen. Dabei ging es oft um Inhalte und Technik, aber selten um psychische und gruppendynamische Aspekte: Was macht der aktuelle Veränderungsprozess mit mir als TrainerIn und mit den TeilnehmerInnen, welchen (Weiterbildungs-)Druck erleben wir und wie können wir damit umgehen?
Fest steht: In der Corona-Zeit sind Webinare zu einem wichtigen Bestandteil von Aus- und Fortbildungen geworden – und sie werden auch nach der Krise einen weitaus wichtigeren Stellenwert haben als davor. Webinare werden weiterhin boomen, denn es gibt Geschäftsinteressen der Anbieter und viele Organisationen können sich leicht messbare Seminarkosten ersparen (auf Kosten der nicht so leicht messbaren Outputs von Webinaren). Zwar stellt sich die Frage, ob es aus gesundheitlicher Sicht schlau ist, noch mehr Zeit im Sitzen und in den Bildschirm starrend zu verbringen, aber wie auch immer:
Die letzten Monate haben gezeigt, dass es in Phasen des „social distancing“ offensichtlich keine Alternative zu Webinaren gibt. Falls Corona sich wiederholt, müssen wir froh sein, dass Fortbildungen dann überhaupt stattfinden können. Zum Glück gibt es TrainerkollegInnen, die äußerst wertvolle Tipps für Webinare geben.
Technik & Psyche
Im Vordergrund stehen am Anfang jedes Webinars (auch bei der Planung) verständlicherweise technische Fragen: Funktioniert es überhaupt? Welches Tool? Welcher Browser? Welches Betriebssystem? Welche Hardware?
Wir haben uns früher über unsere Großeltern geschmunzelt, als sie erste Handy-Erfahrungen machten. Jetzt befinden wir uns in ähnlichen Situationen. Technische Unzulänglichkeiten (in der Vorbereitung oder live am Bildschirm – für alle zu erkennen) verursachen Ängste und Stress – und das kann zu Blockaden führen. Aber technische Erfolgserlebnisse können dafür Spaß machen und – wenn alles funktioniert – öffnen sich bei Webinaren neue methodische und spielerische Möglichkeiten!
Im zweiten Schritt geht es nicht nur ums bloße Funktionieren, sondern um die Qualität: Wie ist die Ton- und Bildqualität? Wie schaut mein Hintergrund aus (virtuell/real)? Was ziehe ich an? Wie komme ich rüber?
Der Stress mit der Außenwirkung kann natürlich auch bei Präsenzseminaren passieren: Wenn unerfahrene TeilnehmerInnen erstmals in einem Sesselkreis (ohne schützende Barriere) sitzen, wenn sie etwas präsentieren müssen, wenn sie Spiele mitmachen müssen, ist das vielleicht unangenehm. Wir TrainerInnen kennen diese Ängste, sind darauf vorbereitet und unserer Sache sicher – und diese Sicherheit können wir weitergeben. Das sollte im Idealfall auch in Webinaren so sein.
Kommunikation im Webinar
Es ist ratsam gleich zu Beginn Regeln für die Kommunikation aufzustellen:
> Wollen wir den Chat nützen und wenn ja, wie?
> Wie melden wir uns zu Wort?
> Soll das Handy nebenbei benützt werden?
> Wird es breakout rooms, Abstimmungen, Whiteboards geben?
> Was bedeutet die potentielle Info-Flut für die Aufmerksamkeit?
Technik & Gruppendynamik
Die Technik (unterschiedliche Qualitäten und Kompatibilitäten) hat großen Einfluss auf die Kommunikation – auch auf der Beziehungsebene. Und da kommt das persönliche technische Know-How der TeilnehmerInnen ins Spiel.
Niemals würden wir bei einem Präsenzseminar einen unsicheren und ungeübten Teilnehmer ständig am Flipchart arbeiten lassen, immer im Scheinwerferlicht, immer im Vergleich zu den anderen und immer mit dem bedauernden Hinweis, dass man eigentlich gerne schneller voran käme. Doch in Webinaren haben wir genau solche Situationen immer wieder. Dabei helfen kürzere Einheiten, ausreichend geplante und gut genutzte Bildschirmpausen, ein guter Start (was Lustiges und Verbindendes) und genug Zeit für einen positiven Abschluss mit Feedbackmöglichkeiten.
Kreativität & positive Dynamik
Normalerweise bleiben Webinar-Diskussionen eher an der Oberfläche. Das war auch in politischen Diskussionen (z.B. „Im Zentrum“/ORF) zu beobachten. Helga Rabl-Stadler platzt fast (ab 46:00), weil sie nicht unterbrechen kann und sagt auch, wie schwer ihr das fällt:
Eine Diskussion lebt auch von schneller, kurzer Interaktion, von Körpersprache (über die Mimik hinaus), von bestätigenden oder zweifelnden Blicken oder Geräuschen – und damit ist nicht ständiges unhöfliches und destruktives Hineinplatzen gemeint. Gruppendynamik ist im Normalfall positiv und eine Aufwärtsspirale, die Seminare zu Erfolgen werden lassen und aus einer Gruppe ein Team.
Lebendige, konstruktive und kreative Prozesse sind durch das Videomedium sehr erschwert – vor allem wenn sich die Personen nicht gut kennen oder wenn es sehr viele TeilnehmerInnen sind. Letztlich bedeutet das, wir dürfen von einem Webinar auch nicht zu viel erwarten, wenn es um Interaktion, Kommunikation und Partizipation geht. Diesem Erwartungsdruck sollten wir TrainerInnen mit einer gewissen Akzeptanz und realistischem Optimismus begegnen…😊
Moderation & Beziehungsaufbau
Wenn wir über Frontalunterreicht und reine Wissensvermittlung hinausgehen und kreative Prozesse fördern wollen, gilt es Vertrauen zu schaffen!
Dabei spielt es eine Rolle wie groß und homogen die Gruppe ist und wie viele sich untereinander kennen. Auch bei Webinaren stehen Respekt und Empathie im Vordergrund, um Missverständnissen und Konflikten vorzubeugen.
Empfehlung für den Start: Wenn alle an Bord sind, 5 – 10 Minuten investieren, um persönliche Neuigkeiten auszutauschen. Zufrieden arbeitet es sich besser und produktiver, eine positive oder lustige Nachricht kann helfen, alle Teammitglieder ins Boot zu holen.
Breakout-Rooms (Kleingruppen) sind bei Webinaren eine enorme Bereicherung, hier ist der Moderator/die Moderatorin aber sehr gefordert. Schon die Einteilung der Kleingruppen sollte gut überlegt sein und zügig funktionieren. Bei realen Kleingruppen sind vier TeilnehmerInnen die Obergrenze, damit alle zu Wort kommen. Bei Webinaren würde ich die Obergrenze fast auf drei reduzieren. Es ist nämlich ganz wichtig, dass es hier zu einem guten Austausch kommt und alle involviert sind.
Ob man nach den Breakout-Rooms die Inhalte teilt, muss vorher ausgemacht werden. Und nicht vergessen: Es geht primär um Sicherheit, Orientierung und Beziehungsaufbau. In der kleinen Gruppe traut man sich Fragen stellen, die man in der großen Runde vielleicht nicht riskiert. Das gilt für Präsenzseminare – und noch viel mehr für Webinare.
Das ist auch mein persönliches Resümee: Eine gute und vertrauensvolle Atmosphäre ist eine Voraussetzung für freudvolles und kreatives Lernen und für positive Gruppendynamik – daran sollten wir bei allen technischen Themen in Zusammenhang mit Webinaren denken!
Autor: Helmut Buzzi
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