#mm: „Nervige Methoden“ – Der Sesselkreis

Der Sesselkreis ist eigentlich ganz praktisch, weil er die direkte Kommunikation aller an einem Seminar Beteiligten erleichtert – jede*r kann jede*n jederzeit direkt ansehen. Dennoch gehört er inzwischen zu den Dingen, die Seminarteilnehmer*innen zunehmend nerven.

Da macht jemand die Tür zum Seminarraum auf: „Oh je, ein Sesselkreis! Was wird das werden? Ich wollte lernen, nicht in eine Selbsterfahrungsgruppe gehen.“ Teilnehmer*innen artikulieren ihren Missmut über diese Sitzordnung immer häufiger: „Ich will / ich brauche / ich vermisse einen Tisch!!!

Wozu überhaupt Sesselkreis?

„Dienstältere“ Trainer*innen kennen noch die Zeiten, als der Sesselkreis als Innovation eingeführt wurde.

  • Weg von der sterilen Schul- bzw. Hörsaalbestuhlung (Tischreihen hintereinander), die negative Assoziationen mit antiquierten Lehr- und Lernformen aufkommen ließen!
  • Es gab kein Verstecken hinter Tischen mehr.
  • Dadurch wurde auch die gefühlte Distanz zwischen Lernenden und Lehrenden, Teilnehmer*innen und Trainer*innen geringer.
  • Leichtere  Kommunikation untereinander. Endlich können alle miteinander Blickkontakt halten.
  • Sesselkreise unterstützen Methoden wie Brainstorming, Blitzlicht, Murmelgruppen, Kartenabfragen und Aufstellungen.

Allergieauslöser und Nachteile

Sesselkreise kamen in Verruf, als sie besonders in „Psycho“-Seminaren und esoterischen Zirkeln, bei Weight-Watchers-Treffen und Selbsterfahrungsgruppen verwendet wurden. Als auch Grundschulen und Kindergärten den Morgenkreis mit eben dieser Sitzordnung einführten, war ein neues negatives Klischee in der Fortbildung geboren. Allergien ließen nicht lange auf sich warten.

Tatsächliche Nachteile

  • Der Platz zum Ablegen von persönlichen Gegenständen, besonders zum Mitschreiben und Dokumentieren fehlt. Das ist besonders bei längeren Kursen und Ausbildungen ein Grund, auf Sesselkreise zu verzichten. Da gibt es meistens auch noch Ordner oder andere Unterlagen. Auch Tassen und Gläser mit Getränken werden ohne Tische schnell zum Problem.
  • Wohin mit der Technik? Immer mehr Leute nutzen Laptops und Tablets und arbeiten damit ungern auf den Knien.
  • „Ich will nicht auf dem Präsentierteller sitzen!“ Der Vorteil des „Sich-nicht-Verstecken-Könnens“ wird schnell zum Nachteil: Teilnehmer*innen fühlen sich auf diesem Präsentierteller unwohl, weil der es unmöglich macht, sich vorübergehend aus dem Geschehen rauszunehmen und in die Beobachtungsrolle zu schlüpfen.

Was tun?

Grundsätzlich sollten wir mit Sitzordnungen variabel sein und uns von einer Sesselkreis-Monokultur verabschieden. Es kommt darauf an, dass unsere Teilnehmer*innen lernen und sich dabei auch wohlfühlen, nicht auf das Durchsetzen ungeliebter Methoden oder Raumgestaltungen.

Bei längeren Ausbildungen oder Lehrgängen gestalten Teilnehmer*innen ihre Lernumgebung, in der sie viele Stunden gemeinsam arbeiten und leben, ohnehin am besten selbst.

Alternativen

Da gibt es den Tischblock, wenn die Gruppe nicht zu groß ist. Tische, die in U-Form aufgestellt sind, erleichtern Blickkontakt und Kommunikation, bilden aber gleichzeitig eine massive Barriere zwischen Trainer*innen und Teilnehmer*innen. Tischgruppen werden bevorzugt (aber nicht nur) bei längeren Ausbildungsgängen verwendet.

Gut ausgestattete Tagungshäuser haben ganz variable Bestuhlungsmöglichkeiten, zum Beispiel kleine Einzeltische, die sich bequem zu Doppel- oder Gruppentischen zusammenstellen lassen.

Aus: Ulrich Lipp: 100 Tipps für Training und Seminar
Das Kapitel: „Sitzordnung: Gestalten statt hinnehmen!“

„Desensibilisierung“ für Sesselkreis-Allergiker

Wer auf Sesselkreise nicht ganz verzichten will, hat Möglichkeiten, diese Sitzordnung „verträglicher“ einzusetzen.

Ganz daneben!
  • Nicht immer Sesselkreis! Oft haben Sesselkreis und Tischgruppen oder ein Tisch-U in einem Seminarraum Platz und man kann wechseln.
  • Schreibunterlagen bereitstellen. Praktisch sind einfache Schreibbretter oder spezielle Stühle mit aufklappbarer Schreibunterlage.
  • Ablagemöglichkeiten zwischen den Stühlen. Das können Hocker oder kleine Tische sein. Es gibt Tagungshäuser, die platzieren stoffbezogene Schaumstoffwürfel (ca. 50cm Kantenlänge) zwischen Sesseln. Dann „kleben“ die Teilnehmerinnen auch nicht so eng aneinander.

Sprachverwirrung

Ein Sesselkreis wäre in Deutschland eine Runde mit Polstermöbeln oder Ohrensesseln. Das deutsche Wort „Stuhlkreis“ löst in Österreich eher Ekel aus. Im Englischen ist es wiederum einfach: Chair circle.

Autor: Ulli Lipp

Englische Übersetzung finden Sie hier.

Lust auf mehr? Zu allen Einträgen der Serie #mm kommst du HIER!

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen unter gleichen Bedingungen 3.0 Österreich Lizenz.
Volltext der Lizenz

2 Gedanken zu „#mm: „Nervige Methoden“ – Der Sesselkreis

  1. T. W.

    Also ich bin nach wie vor ein Fan von U-förmiger Anordnung für Seminare. Unsere Seminarhotels fragen eigentlich immer, ob eine andere Anordnung gewünscht ist. Es scheint der Standard zu sein. Sesselkreise finde ich auch schwierig.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.