Unsere fünf Expert*innen treffen sich heute bei Rudi in der Praxis. Die schnellen Veränderungen und teilweise Unklarheit, was gerade wo wie erlaubt ist, haben Maria, Yasemine, Rudi, Paul und Beate ein wenig verunsichert. Deswegen haben sich alle gefreut, als Rudi vorschlug, sich bei ihm zu treffen. Im Sesselkreis sitzend und mit Getränken und Knabbereien versorgt, kommen sie ins Gespräch.
Free-, Post- und andere Karten
„Hier arbeitest du also meistens?“, fragt Beate an Rudi gewandt. Dieser nickt bestätigend und erläutert die Settings – Gruppentherapie, Coaching und Teamsupervision – für die er meistens diesen Raum nutzt. „Ja und manchmal finden hier auch Klausuren von kleineren Teams statt, so wie gestern. Hier steht ja noch die Schachtel mit den Freecards“, sagt Rudi und deutet in die Ecke neben dem Flipchart. Freecards sind Postkarten mit unterschiedlichsten Themen, die zu Werbezwecken in Lokalen und an Veranstaltungsorten aufliegen. Nachdem unsere Protagonist*innen dieses Mal ohnehin über die Möglichkeiten von Visualisierungen in der Arbeit mit Gruppen sprechen wollten, führt Rudi gleich weiter aus: „Seit Jahren schon sammle ich diese Karten und so ist ein gewisser Kartenfundus entstanden, den ich gerne zur Unterstützung von Kennenlernrunden oder auch zum Einstieg in ein Thema verwende. Meist treffe ich eine Vorauswahl, je nach Gruppe/Gruppenkultur und Gruppengröße. Ich lege die Karten auf einen Tisch oder ein Tuch am Boden und bitte alle Teilnehmer*innen, sich eine Karte auszusuchen.“
„Diese Aufforderung ist begleitet von unterschiedlichen Hinweisen, je nach Ziel der Intervention. Wenn es ums Ankommen oder Kennenlernen geht, fordere ich beispielsweise dazu auf, eine Karte zu nehmen, die ‚dich gerade anspricht‘ oder die ‚für eine Erwartung von dir steht‘. Als Einstieg für die Bearbeitung eines bestimmten Themas passen wiederum Fragen wie ‚Nimm eine Karte, die zu dem Gefühl passt, das du bei diesem Thema hast‘ oder ‚Die Karte soll illustrieren, welchen Stellenwert das Thema für dich hat‘. Die Frage soll geeignet sein, auf die Beschäftigung mit dem Thema hinzuführen.“
„Momentan bitte ich die Teilnehmer*innen, sich vorher die Hände zu desinfizieren und nacheinander zum Kartentisch zu treten. Das ist zwar viel weniger dynamisch, als wenn alle zeitgleich ihre Auswahl treffen, hat aber die Qualität, dass jede Person kurz mal im Fokus steht und das Tempo eher gedrosselt wird. Sonst können die Karten auch auf mehrere Tische aufgeteilt werden.“ „Und was passiert dann damit?“, fragt Paul. „Wenn alle eine Karte gefunden haben, sitzen alle wieder im Sesselkreis und die Teilnehmer*innen stellen reihum ihre Karten vor. Beim Kennenlernen bitte ich darum, den Namen zu sagen, die Karte herzuzeigen und zu beschreiben und zu erzählen, warum gerade diese Karte ausgesucht wurde“, antwortet Rudi. Neben diesen kostenlosen Karten gibt es eine große Vielfalt an Bildkarten, die speziell für den Trainingsbereich konzipiert wurden.
Wir lieben Flips!
„Mir waren meine Flips oft so peinlich! Trotzdem hat es viele Jahre Vorsatz gebraucht, bis ich endlich an einem Workshop teilgenommen habe, in dem ich gelernt habe, meine Flips besser zu gestalten. Und ich finde es hat sich ausgezahlt!“, berichtet Yasemine mit einem Blick auf das Flipchart und einem gewissen Stolz in der Stimme. Rudis Frage, „Aber ist das nicht einfach eine Übungssache?“ wird von Yasemine eindeutig mit ja beantwortet, „aber das Üben ist wesentlich effektiver, wenn ich weiß, worauf ich achten soll. Und auch die vielen Tipps und Tricks, die ich beim Workshop gelernt habe, waren nicht nur hilfreich, sondern es macht mir seitdem auch mehr Spaß, Flips vorzubereiten.“
Sie erzählte weiter, dass es viel Aufwand ist und die vorbereiten Flips auch schöner sind, als die, die während eines Workshops entstehen. „Aber es ist ein zusätzlicher Effekt eingetreten: Meist bereite ich die ersten Flips – zur Begrüßung, Zeitplan, Themen, Arbeitsaufträge – in den Tagen vor der Veranstaltung vor. Ich nehme mir dazu rund zwei Stunden Zeit und schaffe mir eine störungsfreie Atmosphäre. In dieser Zeit gestalte ich nicht nur die Flips, sondern tauche auch inhaltlich und atmosphärisch in die Situation ein, die mich erwartet. Dabei spüre ich auch ganz gut, wenn etwas in meiner Vorbereitung noch fehlt oder doch nicht so gut passt, wie angenommen.“
Yasemine fügt noch hinzu, dass die Entscheidung, mit welchen Farben und in welchem Stil die Flips für die jeweilige Veranstaltung gehalten sein sollen und auch das Flip schreiben, währenddessen deutlich erleichtert. Außerdem gebe es immer wieder positive Rückmeldungen von Teilnehmer*innen, für die es auch Wertschätzung ausdrückt, wenn sich jemand die Arbeit antut. Ganz zu schweigen von der Wahrscheinlichkeit, dass das Fotoprotokoll, das zum Großteil aus abfotografierten Flips besteht, tatsächlich angeschaut wird.
Paul hat auch noch eine Ergänzung: „Auf der REFAK gibt es regelmäßig das Seminar Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, bei dem es auch um Flipchartgestaltung geht. Nachdem das Seminar immer sehr schnell ausgebucht ist, ist sogar eine Blogreihe dazu gestartet worden, der #visdo, der mittlerweile über 30 Beiträge mit Anleitungen zum Ausprobieren beinhaltet.
Aufstellungen
Kurz diskutieren die fünf, ob es sich bei einer Aufstellung auch um eine Visualisierung handelt. Beate argumentiert so: „Wenn ich mit einer Gruppe Aufstellungen mache, sage ich oft, dass damit etwas sichtbar werden soll. Daher würde ich schon sagen, dass es sich um eine Visualisierung handelt.“ Das klingt auch für die anderen stimmig und Maria fordert Beate dazu auf, den Einsatz der Methode an einem konkreten Beispiel zu beschreiben. „Ich mache sehr häufig Aufstellungen, grade wenn ich mit Gruppen oder Teams arbeite, die künftig auch intensiv zusammenarbeiten sollen. Ich bin davon überzeugt, dass Zusammenarbeit besser gelingt, wenn die einzelnen Leute über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Gruppe Bescheid wissen. Außerdem wird so auch gesetzt, dass beides – Gemeinsamkeiten UND Unterschiede – Platz haben und wichtig und legitim sind.“ Maria ist heute ein wenig ungeduldig und fragt: „Und was machst du konkret?“ Rudi unterstützt die Konkretisierung mit dem Vorschlag, die Methode doch hier und jetzt anzuwenden. Kurz sind die Kolleg*innen erstaunt, gleichzeitig aber auch neugierig darauf, ihr Treffen auch zum Ausprobieren von Methoden zu nutzen.
Maria ist einverstanden die Übung anzuleiten, möchte aber gleichzeitig auch mitmachen. Das würde sie in einem professionellen Setting zwar nie machen, aber in diesem Rahmen hält sie das für machbar und formuliert folgenden Auftrag: Jede Person soll sich ein Kriterium für Gemeinsamkeiten und Unterschiede überlegen, die in ihrer Gruppe relevant sein könnten und dieses Kriterium aufschreiben. „Wie meinst du das genau?“, fragt Paul. „Wenn wir beispielsweise eine Gruppe von Schuster*innen oder Schuhverkäufer*innen wären, könnten unsere Schuhgroßen relevant sein. Nachdem wir aber andere berufliche Hintergründe haben, und unsere Treffen ja auch bestimmte Ziele verfolgen, sind wahrscheinlich andere Dinge relevanter, wie beispielsweise, wie viel Erfahrung wir in der Arbeit mit Gruppen haben oder Ähnliches.“ „Ja klar“, stößt Paul aus, „oder auch wie wichtig uns der Austausch miteinander ist!“
Angeregt überlegt jede*r für sich und schreibt ein Kriterium auf einen Zettel. Als Beate die Zettel durchliest, fällt ihr auf, dass zwei Mal dasselbe Kriterium aufgeschrieben wurde. „Das kommt fast immer vor und deshalb ist es wichtig, das einzukalkulieren. Wenn nicht ganz klar ist, was gemeint ist – z.B. hat eine Gruppe Erfahrung aufgeschrieben – klären wir noch mal gemeinsam, um was es konkret geht, also Lebenserfahrung oder Arbeitserfahrung beispielsweise. Wenn das geklärt ist, ist es auch leichter zu entscheiden, wie aufgestellt werden soll. Manchmal eigenen sich Skalierungen, Kleingruppen oder oder auch die Positionierung zu einem Mittelpunkt.“ Die folgenden 20 Minuten nutzen die fünf den Raum, der ihnen zur Verfügung steht, und machen die Kriterien sichtbar. Angeregt tauschen sie sich nach der Differenzierungsübung noch über andere Möglichkeiten von Aufstellungen, auch mit Gegenständen oder etwa Moderationskarten, aus.
Das praktische Ausprobieren hat den fünf „Gruppenarbeiter*innen“ Spaß gemacht und sie vereinbaren, experimentelle Settings und Methoden in der Arbeit mit Gruppen zum Thema ihres nächsten Treffens zu machen!
Autorinnen: Gerda Kolb und Irene Zavarsky
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Toller Artikel <3
Bei den Bildkarten fällt mir noch ein: ich habe mir einen Kalender mit Bildern und Zitaten gekauft (gibt es für ca. 10€ in den meisten Buchgeschäften) und die Postkartengroßen Bilder dann zurechtgeschnitten um sie im Seminar zu verwenden. Wer extra motiviert ist (ich war es haha) kann die Bilder vorm Einsatz noch laminieren…