Dieses Mal lassen wir es krachen! Genau, es geht um Konflikte in der Gruppe. Was mache ich, wenn alle streiten? Was ist ein Konflikt eigentlich und wie gehe ich als Gruppenleiter*in oder -begleiter*in damit um? Ist ein Konflikt immer laut? Und was mache ich, wenn sich keine Lösung einstellen will?
Ein Konflikt ist ein Unterschied von Interessen, die im Widerspruch zueinander stehen. Beispielsweise möchte ich ein Eis essen, aber auf Süßes verzichten. Das kann zu einem inneren Konflikt führen. Oder jemand möchte am Land wohnen, der Großteil der Familienmitglieder wollen aber in der Stadt leben.
Versuchen wir es eine Nummer kleiner: Ich habe eine Seminargruppe und möchte eine Zeit für die Mittagspause vereinbaren. Ich gebe den Rahmen vor: Mindestens eine Stunde, maximal eineinhalb Stunden. Das Ende des Seminartages richtet sich nach der Dauer der Mittagspause. It’s a classic! Ein Drittel der Teilnehmer*innen ist für das eine, ein Drittel für das andere und dem Rest ist es egal oder nein – für den Rest ist beides in Ordnung. Aber wo sind die anderen? Keine Sorge, unsere fünf Expert*innen für alles, was mit Gruppe zu tun hat, treten gleich auf den Plan. Auch sie haben natürlich mannigfaltige Erfahrungen mit Konflikten in Gruppen, und auch in Konstellation, wo sie selbst Konfliktpartei waren.
Meeting im Gastgarten
„Ich liebe Konflikte!“, seufzt Yasemine, als Reaktion auf Rudis taufrische Anekdote aus der Straßenbahn. „Außer natürlich ich bin eine Beteiligte. Das finde ich weniger ‚interessant‘.“ Sie und Rudi sind schon da und ein bisschen nervös. Schließlich ist es das erste Mal seit Wochen, dass sie in einem Lokal sind – die gelockerten Bestimmungen und Marias Abwesenheit, sonst wären sie nämlich zu viele, machen es möglich. Im Gastgarten ist wenig los, riesige, nicht aufgespannte Sonnenschirme stehen als Abstandhalter zwischen Tischen und Gästen.
In den nächsten Minuten kommen auch Beate und Paul. Letzterer beendet gerade noch einen Anruf. Die anderen drei verstehen zwar nicht, worum es in dem Gespräch ging, aber dass es unangenehm und emotional war, bekommen sie trotz ihrer fehlenden Polnisch-Kenntnisse mit. „Das darf doch nicht wahr sein! Meine Mutter besteht auf meinem Besuch und ignoriert einfach die aktuellen Grenzbestimmungen. Sie tut so, als ob ich nicht will, und will nicht begreifen, dass es gerade nicht möglich ist!“, erzählt Paul noch aufgewühlt vom Telefonat. Die drei Kolleg*innen erkennen die Situation sofort und beschließen intuitiv, dem Problem Raum zu geben, weil ein Austausch zu einem anderen Thema ohnehin nicht möglich scheint, so lange Paul so aufgewühlt ist.
Fragestellungen und Perspektiven
Ganz nach dem Motto ‚Störungen haben Vorrang’, begleiten die drei Paul durch die Situation. Es werden Fragen gestellt und unterschiedliche Perspektiven eingenommen. Nach rund einer halben Stunde ist Paul einen Schritt weiter. Er beschließt mit seiner Mutter über Videotelefonie – mit technischer Unterstützung durch Pauls Cousine – die Situation genauer zu besprechen und gemeinsam zu schauen, wie sie ihre Bedürfnisse unter einen Hut bringen können. Paul dürfte nämlich aktuell als Angehöriger zwar einreisen, befürchtet aber, nach einer Rückkehr nach Österreich in Quarantäne gehen zu müssen, was er sich momentan nicht vorstellen kann. Die kollegiale Beratung hat in jedem Fall gut getan und Paul dabei unterstützt, die Situation zu differenzieren und herauszufinden, worum es eigentlich gehen könnte. Außerdem ist Paul eingefallen, dass es gut wäre, sich wieder mal ein bisschen Theorie zum Thema anzuschauen, wie beispielsweise Friedrich Glasl und seine Eskalationsstufen in Konflikten, die bei der Orientierung in entsprechenden Situationen helfen und außerdem noch Vorschläge für den Umgang damit geben.
Ein Problem ist eine Beschreibung
„Eigentlich sind wir eh schon mitten im Thema“, meint Beate und erinnert daran, dass die Gruppe dieses Mal über den Umgang mit Konflikten sprechen wollte. Die anderen finden das auch und sind wieder einmal berührt von der Erkenntnis, welch gute Ressource sie und ihre Treffen für einander sind. „Ich finde, bei der Situation von dir, Paul, wurde auch gut sichtbar, was ein Problem eigentlich ist, nämlich die Beschreibung einer Situation.
Für viele Situationen gibt es ebenso viele Beschreibungen wie Personen, die involviert sind, und daraus können sich dann auch Konflikte ergeben“, räumt Rudi ein. Auf Pauls Frage, wie er das denn meine, führt Rudi weiter aus: “Ich habe es so verstanden, dass deine Mutter gekränkt oder grantig ist, weil du sie nicht besuchen möchtest, obwohl die aktuellen Bestimmungen es zulassen würden und du gerade mehr Freizeit hast, als üblicherweise.“ „Ja, und zwar mehr als mir lieb ist“, fügt Paul schnell ein, bevor Rudi weiter ausführt: „Von dir habe ich verstanden, dass du deine Mutter zwar gerne wiedersehen möchtest, du das Risiko einer Quarantäne nach deiner Rückkunft aber als zu groß einschätzt, und es für dich wichtig ist, flexibel auf Veränderungen reagieren zu können, um beispielsweise wieder als Lehrgangscoach zur Verfügung zu stehen, sobald die Bestimmungen es erlauben. Hier ist gut zu sehen, dass ihr das Problem ganz unterschiedlich beschreibt und es hilfreich sein könnte, eure Perspektiven einander näher zu bringen.“ Paul versteht nun: „Das stimmt total, weil es ist eine ganz andere Ausgangsbasis als der Vorwurf, ich würde nicht wollen.“
Ansprechen und Raum geben
Yasemine findet, dass so eine Vorgehensweise in Konfliktsituationen ganz oft hilfreich ist. Im Idealfall gibt es auch noch Personen, die nicht involviert sind und die die Konfliktparteien dabei unterstützen können, andere Perspektiven einzubringen oder sich zumindest die unterschiedlichen Problembeschreibungen anhören. „Wichtig ist natürlich, das Problem vorab zu formulieren, weil ganz oft glauben wir, es ist eh klar, was grad nicht passt, weil schlechte Stimmung oder Unwohlsein zu bemerken sind. Das habe ich auch schon mit Gruppen öfters erlebt“, erzählt Yasemine. „Und, wie tust du dann?“ fragt Beate, die solche Situationen zwar auch kennt, es aber mehr als Störung, denn als Herausforderung empfindet.
„Wenn ich den Eindruck hab, es gibt dicke Luft, aber nicht genau weiß, worum es geht, dann mache ich das auch mal öffentlich und frage in die Gruppe oder spreche die Stimmung und meine Irritation an. Häufig eröffnet sich dann ein Raum der Auseinandersetzung, wo Konflikte auch aufgelöst werden können oder ein Umgang damit gefunden wird.“ Beate ist skeptisch und meint: “Ja und dann gibt es die Teilnehmer*innen, denen das voll taugt und die gerne auch emotionale oder heftigere Diskussionen führen, und die, denen das egal ist oder die sich raushalten möchten, und die fühlen sich um wertvolle Zeit bestohlen. Ich kenne das auch von mir selbst als Teilnehmerin.“
Konfliktbearbeitung braucht Struktur
„Man muss sich halt was ausmachen“, wirft Rudi ein und meint, dass es in so einer Situation wichtig ist, die weitere Vorgehensweise zu vereinbaren, bevor es in der Konfliktbearbeitung weitergeht. „Ich schlage dann zum Beispiel vor, dass wir dem Thema jetzt, bis zur Pause, Zeit geben und dann nochmal schauen, wie es allen damit geht, und ob es wieder Arbeitsfähigkeit gibt oder ob es noch was braucht. Ich hab auch schon mal die Gruppe geteilt und bin mit denen, die involviert oder betroffen waren, noch in der Konfliktbearbeitung geblieben und die anderen haben sich mit einem anderen Thema beschäftigt. Das hat gut geklappt! Wichtig ist es, die Teilgruppen dann wieder zusammenzuführen, eventuell gegenseitige Berichte, und auch nochmal ein Stimmungsbild einzuholen“, führt Rudi weiter aus. „Ich persönlich finde auch, dass jede Bearbeitung, oder auch nur Ansprechen, besser ist, als den offenen oder latenten Konflikt zu ignorieren.
Ich weiß aber auch, dass so eine Haltung nicht für alle stimmig ist. Für Gruppenleiter*innen ist es sinnvoll, so zu agieren, wie es für sie in ihrer professionellen Haltung passend ist“, ergänzt Yasemine. Mit einem Seufzer der Erleichterung bringt sich Beate wieder in die Diskussion ein: „Da bin ich jetzt echt froh, dass du das gesagt hast, Yasemine, weil ich kann ja nicht so gut mit Konflikten in der Gruppe und finde das einfach nur lästig. Gleichzeitig hab ich aber beim Zuhören auch gemerkt, dass eure Herangehensweisen mir das Thema Konflikte irgendwie differenzierter erscheinen lässt. Ich denke, das ermöglicht mir nochmal eine andere Auseinandersetzung, wo es vielleicht nicht schlecht wäre, mal genauer hinzuschauen. „Problembeschreibung“ und „unterschiedliche Interessen“ klingt irgendwie weniger schlimm und anstrengend als „Konflikt“. Danke dafür!“
Und jetzt?
Aber jetzt nochmal zurück an den Anfang: Was mache ich nun mit der Gruppe, die entscheiden soll, wie lange ihre Mittagspause dauert? Oft braucht es nur ein bisschen Zeit, in der die Gruppe die Möglichkeit hat, selbst eine Lösung zu finden. Dafür ist es nötig, die unterschiedlichen Positionen von einander zu wissen. Als Moderator*in oder Trainer*in habe ich nur die Aufgabe, das zu ermöglichen.
Im Idealfall hat die Gruppe ein Erfolgserlebnis, weil es gelingt, trotz unterschiedlicher Wünsche, zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen. Beobachte ich, dass mehr Unterstützung hilfreich wäre, kann ich nach Werkzeugen fragen, die die Teilnehmer*innen in ähnlichen Fällen bereits genutzt haben oder entsprechende Methoden vorschlagen. Die einfachste und schnellste Methode, ist wohl das Abstimmen. Dabei gilt es zu beachten, das eine Abstimmung individuellen Bedürfnissen oder Argumenten kaum Raum gibt und es vorab zu klären gilt, bei welcher Mehrheit ein Entscheid gültig ist. Wenn Bedürfnisse und Argumente Raum haben sollen und dennoch eine Abstimmung gewünscht ist, kann beispielsweise davor Zeit für Diskussion oder für eine Runde, wo jede/r Einzelne die Möglichkeit hat, etwas dazu zu sagen, gegeben werden. Eine interessante Methode ist ‚Systemisch konsensieren‘, wo nicht die Wünsche, sondern der Widerstand gegen die zur Auswahl stehenden Szenarien, abgefragt wird. Ebenfalls bewährt hat sich das Konzept der gewaltfreien Kommunikation, das für eine Bestandsaufnahme von Konflikten, Bedürfnisse und Wünschen äußerst hilfreich ist, wenn – und das gilt für alle Methoden und Werkzeuge – es zur eigenen professionellen Identität passt.
Bei ihrem nächsten Treffen beschäftigen sich Maria, Paul, Yasemin, Rudi und Beate mit Vielfalt in Gruppen und freuen sich auf euer Interesse!
Autorinnen: Gerda Kolb und Irene Zavarsky
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Volltext der Lizenz
Danke für diesen Beitrag und die weiterführenden Links! Ich finde die Art der Aufbereitung dieses Themas echt super. Und ich finde es enorm wertvoll, die hier enthaltenen Bezüge , Zusammenhänge, Verweise speziell auch in der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung zu thematisieren. Wobei das Thematisieren für viele Akteur*innen in unserem Bereich zunächst eventuell nur eine Reaktion des „eh nix Neues“ auslösen mag – weshalb ich den Beitrag auch gern als einen wichtigen Teil eines neuen „vor den Vorhang Holens“ des Themas und der angesprochenen Verweise verstehen möchte. Ich habe nämlich den Eindruck, dass ihr praktischer Wert in der gewerkschaftlichen Bildung nicht (mehr) ausreichend gewürdigt wird – aber das trifft wohl auf noch mehr oder alle Aspekte der Gruppendynamik zu. An mein diesbezügliches Dankeschön knüpfe ich auch noch einen Wunsch bzw. eine Bitte, und zwar: ich würde bei Gelegenheit gerne etwas über das ausgewiesen Demokratische bzw. Demokratisierende der Gruppendynamik im #grumo lesen. In diesem Beitrag wäre es aus meiner Sicht – und mehr vermutend als wissend – etwa die besondere Bedeutung eines solchen (gruppendynamisch kompetenten und z.B. um Soziokratie und/oder gewaltfreie Kommunikation erweitert) Umgangs mit Konflikten für die partizipative bzw. beteiligungsorientierte Organisation von Teams (etwa Betriebsratsteams) oder (Mitglieder-)Gremien oder Organisationen (bzw. Organisationsbereichen). Denn anhand der Art und Weise wie Entscheidungen getroffen werden und wie mit Konflikten umgegangen wird entscheidet sich auch wie demokratisch die Arbgeitnehmer*innenorganisationen Gesellschaft (mit-)gestalten können. Gruppendynamische Kompetenz im Umgang mit Konflikten und Entscheidungsprozessen zu trainieren – so lese ich die Intention dieses Beitrags – wäre dann so etwas wie die Mikroprozesse der Demokratie zu trainieren, nämlich: die demokratische Alltagspraxis, die immer aus einem Mit- und Gegeneinander besteht, zu üben. Ich beobachte sehr viel Trainingsbedarf, beginnend bei mir selbst.
Vielen Dank für deine Rückmeldung Thomas!
Wir nehmen deinen Vorschlag gerne auf und skizzieren in einem der nächsten Beiträge den Zuammenhang zwischen Gruppendynamik und Demokratie bzw. Partizipation. Wann genau wissen wir noch nicht, aber wir geben vorab Bescheid!
In unserer Haltung als Trainerinnen/Beraterinnen ist es für uns selbstverständlich Entscheidungsprozesse möglichst partizipativ zu gestalten. Dabei vergessen wir manchmal, dass dies nicht automatisch so praktiziert/verlangt/für gut befunden wird, obwohl auch wir in unserer Arbeit mit Teams und Organisationen immer wieder eine Differenz zwischen formalen Regeln und praktischer Umsetzung von Mitgestaltungsmöglichkeiten wahrnehmen. (Moment mal, formelle und informelle Regeln – das könnte auch ein gutes #grumo-Thema sein… 🙂 Beste Grüße, Gerda und Irene