Machen wir uns doch was aus…
Rudi ist stinksauer, als er die Nachricht an seine Kolleg*innen schickt, das nächste Treffen auszulassen. Er hat am Vortag das erste Mal mit einer neuen Gruppe gearbeitet und überhaupt keine Lust unter Menschen zu gehen. Yasmine ruft ihn an und fragt, ob sie etwas machen kann, um sein Stimmung zu verbessern. Kurz umreißt Rudi die erlebte Situation und zeigt sich ein bisschen ratlos, wie er sich auf den nächsten Termin mit der Gruppe vorbereiten soll. „Aber Rudi, dann ist ja unser Treffen genau das richtig für dich!“
Yasemine hat die Situation so oder so ähnlich schon öfters erlebt und meint, dass es doch gut wäre, den diesbezüglichen Erfahrungsschatz der anderen anzuzapfen. „Und was ist mit dem Thema, das Maria für unser Treffen vorbereitet?“ fragt Rudi am Telefon. „Stimmt, Maria wollte was über Vereinbarungen am Beginn von Lehrgangsgruppen erzählen. Aber Krisen haben Vorrang!“ beschwichtigt Yasmine und fügt hinzu, dass das Thema ja vielleicht trotzdem hilfreich sein könnte.
Gemeinsam Lösungen finden
Der kurze kollegiale Austausch mit Yasmine hatte bereits Wirkung gezeigt und Rudi ist – wieder einmal – daran erinnert worden, dass alleine die Beschreibung von schwierigen oder nervigen Situationen dazu beitragen kann, einen Umgang damit zu finden. Das bisher präsente Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben und der Ärger darüber waren der Gewissheit gewichen, in einem geschützten Rahmen seine Erfahrungen teilen zu können. Er freute sich nun auf das Treffen. Häufig werden die regelmäßigen Zusammenkünfte unserer Kolleg*innen zur Intervision genutzt.
Was ist eigentlich passiert?
Die Lehrgangsgruppe hatte schon mehrere Seminartage miteinander verbracht und das Kennenlernen hatte laut den beiden Trainerinnen, die den Lehrgang mit der Gruppe gestartet hatten, gut funktioniert. Rudi hatte also begonnen wie immer in so einem Fall: Sich selbst vorgestellt und den Teilnehmer*innen Zeit zum Ankommen gegeben. In diesem Fall mit zwei Impulsfragen, die reihum im Plenum beantwortet wurden: Wie bin ich heute hierher gekommen? Welche Gedanken haben mich am Weg hierher begleitet? Die Fragen ermöglichen den Teilnehmer*innen, etwas über sich und ihren Alltag preis zu geben, die Dosierung und der Grad an persönlicher Offenbarung bleibt ihnen jedoch selbst überlassen.
Meist gibt es bei so einer Runde zum Ankommen gleich was zu lachen. Weil jemand ein lustiges Erlebnis oder auch eine Beobachtung, die am Weg gemacht wurde, erzählt. In Rudis Gruppe hatte eine Teilnehmerin lachend erzählt, dass sie fast zu spät gekommen wäre. „Ich hatte relativ viel Zeit in der Früh. Normalerweise muss ich auch gleich los, wenn die Kinder geschnäuzt, gekampelt und mit Jause ausgerüstet die Wohnung verlassen. Nachdem das Seminar ein wenig später losgeht als ich normalerweise zu arbeiten beginne, hatte ich noch eine halbe Stunde Zeit. Und das ist fatal! Ich fang‘ dann noch schnell was an und kann mir fast sicher sein, dass ich die Zeit übersehe!“ Einige Andere in der Gruppe hatten in das Lachen eingestimmt oder mit einem Nicken bestätigt, dass ihnen dieses Phänomen durchaus bekannt ist. Soweit so gut.
Klarheit und Struktur
Danach stellte Rudi das Programm für den Tag vor und gab Raum für Fragen, wovon jedoch niemand Gebrauch machte. Ab dem Zeitpunkt war die Stimmung schon ein wenig anders, stellte Rudi jetzt in der Reflexion fest. Im Folgenden machte sich immer wieder Unruhe und Widerstand bemerkbar. Rudis Arbeitsaufträge wurden von einzelnen Leuten in Frage gestellt. Was andere Teilnehmer*innen merklich nicht so gut fanden. Missverständnisse entstanden, Anleitungen wurden unterschiedlich aufgefasst, aber niemand fragte nach. Es schien überhaupt so, als ob die Gruppe sich miteinander nicht sehr wohl fühlen würde. Das wiederum verunsicherte Rudi. Er bemühte sich, besonders genau und sauber zu arbeiten, lud aktiv ein, Verständnisfragen zu stellen und versuchte besonders aufmerksam ratlose Gesichter wahrzunehmen, um entsprechend reagieren zu können. „Aber irgendwie war schon der Hund drinnen“, meinte Rudi nachdenklich.
Regeln & Vereinbarungen
Mittlerweile waren die anderen – Yasemine, Paul, Maria und Beate – im Bilde von Rudis Schwierigkeiten und gerne bereit, ihre Gedanken mit ihm zu teilen und so Antworten auf Rudis Frage zu finden: „Wie soll ich mich auf den nächsten Termin mit der Gruppe vorbereiten?“
Rudi sitzt ein bisschen ratlos mit hängenden Schultern in der Runde. Maria, die selbst schon einige Lehrgänge begleitet hat, ist neugierig auf das Programm, das die Trainerinnen des ersten Seminars mit der Lehrgangsgruppe durchgemacht haben. „Hattest du eine Übergabe mit den beiden Trainerinnen? Oder weißt du, was die gemacht haben?“ Rudi meint „Na ja, so ungefähr weiß ich es schon. Die Lehrgangsleitung hat Infos bekommen und die mir telefonisch weitergegeben.“ Laut dem Telefonat waren die Themen Kennenlernen, das Curriculum gemeinsam durchgehen und Fragen dazu besprechen sowie die Bildung von Peergruppen. Rudi wusste auch, wie die Kolleginnen zu Beginn methodisch vorgegangen waren, danach wurde das Bild etwas unschärfer.
Wie wollen wir zusammenarbeiten?
„Es kann jetzt natürlich ein Zufall sein, weil ich das Thema für heute vorbereitet habe, aber was mir gleich aufgefallen ist: Vereinbarungen zur Zusammenarbeit waren kein Thema?“ wirft Maria ein. Das weiß Rudi nicht. Entweder wurde die Info nicht an ihn weitergegeben oder die Gruppe hat tatsächlich nicht miteinander vereinbart, wie sie ihre Zusammenarbeit während des Lehrgangs gestalten möchte. „Aber wie dem auch sei, jetzt wo du das so konkret ansprichst, fällt mir auf, dass die Teilnehmer*innen verunsichert darüber zu sein schienen, was sie dürfen und was nicht. Beispielsweise Fragen stellen oder Arbeitsaufträge in Frage stellen.“
„Aber ich gebe doch vor, wie sie arbeiten sollen, teile sie in Kleingruppen ein und gib ihnen Arbeitsaufträge!“ meint Beate, „was kann denn da nicht klar sein?!“ Es seien unterschiedliche Grade an Selbstorganisation gefordert, erwidert Maria. Bei Fachtrainings stehe das Programm oft von vornherein fest, es gibt einen klaren Ablauf und Arbeitsaufträge, die gemeinsam abgearbeitet werden. Je prozessorientierter angelegt, desto wichtiger ist es, sich auch über Regeln und Notwendigkeiten für eine gute Zusammenarbeit auszutauschen. Bei einem Lehrgang, der die Teilnehmer*innen dazu befähigen soll, mit Gruppen zu arbeiten, ist es durchaus sinnvoll, so einen Prozess selbst zu erleben und zu reflektieren.
Was brauchen wir für gute Zusammenarbeit?
„Das muss auch gar nicht aufwändig sein“ fährt Maria fort. „Nachdem die Teilnehmer*innen sich schon ein wenig kennen und erste Erfahrung miteinander gemacht haben, fordere ich die Gruppe dazu auf, sich zu überlegen, wie sie sich die künftige Zusammenarbeit vorstellen, was sie selber dazu beitragen werden und was sie von den anderen dazu brauchen.“
Yasemine integriert Fragen dieser Art häufig in eine Erwartungsklärung, die sie am Beginn der Zusammenarbeit mit einer Gruppe macht. „Ich kommuniziere der Gruppe ja auch, was ich brauche, damit ich gut arbeiten kann. Also, beispielsweise dass die Telefone auf lautlos sein sollen und dass Rückmeldungen auch zwischendurch willkommen sind, nicht erst am Ende“ meint Yasemine weiter. „Grade bei einer Lehrgangsgruppe finde ich Vereinbarungen, wie sie miteinander tun wollen, sehr wichtig. Schließlich ist der eigene Lernerfolg und der als Gruppe davon abhängig. Ganz zu schweigen vom dem Prozess, dass jede und jeder sich bewusst macht, was sie dafür brauchen und wie sie ihre Anliegen und Forderungen formulieren können. Der Einigungsprozess, durch den die Gruppe dann gemeinsam muss, ist außerdem oft ein erstes, wichtiges, gemeinsames Ergebnis. Am liebsten ist es mir, wenn am Ende dieses Aushandlungsprozesses Regeln und Leitlinien rauskommen, schriftlich festgehalten auf einem Flip. Manchmal unterschreiben auch alle, wie bei einem Ritual und es entsteht eine feierliche Atmosphäre, die toll ist für die Identität der Gruppe.“
Für Rudi ist nun Vieles klar geworden. Auch Beate nickt interessiert und hat sich einige Notizen gemacht. Rudi findet die Vorschläge super und hat auch selbst schon solche Vereinbarungsprozesse angeleitet. Er nimmt sich vor, wieder mehr Achtsamkeit auf Übergaben und Vorab-Informationen zu legen. So wie er das auch zu Beginn seiner Trainertätigkeit getan hat. Manchmal ist auch die Routine, die sich durch Erfahrung einstellt, der Hund!
Autorinnen: Gerda Kolb und Irene Zavarsky
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